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Michelangelo schielte aus den Augenwinkeln zu dem Mönch hinüber. Dieser beobachtete das Geschehen mit einem undurchdringlichen Blick, der keine Rückschlüsse auf sein Denken oder Empfinden zuließ.

»Und deshalb, Messèr Michelangelo, sollst du Uns ein Grabmal bauen!«, rief der Papst und breitete die Arme aus. »Aber rasch muss es gehen, wer weiß, wie lange Wir noch Zeit haben.«

»Ein Grabmal?«, brachte Michelangelo überrascht hervor. »Ihr seid bei Kräften wie kein Zweiter. Ihr werdet uns alle hier überleben!«

»Mag sein oder auch nicht. Wir können der Vorsehung nicht ins Gewerk schauen! Aber wenn Wir dich, Michelangelo, überleben sollten, werden Wir kein Grabmal mehr aus deiner Hand erhalten. Und wenn auch Wir eines Tages tot sind, wird irgendein Pfuscher ein grauenvolles Mausoleum oder einen schrecklich geschmacklosen Sarkophag zurechtschustern. Nein, so oder so wäre der Tod, sei es der Unsere oder deiner, ein schlechtes Geschäft für Uns. Es bleibt dabei, zu Lebzeiten wollen Wir Unsere letzte Ruhestätte von dir erbaut sehen. Und zwar schnell.«

»Sehr klug, im Leben noch zu schauen, wo es endet«, warf einer der Bischöfe eifrig ein und nickte zur Bestätigung seiner unglaublichen Erkenntnis wie ein Specht mit dem Kopf.

»In jedem Falle endet es im Himmel. Oder zweifelst du daran?«, fragte Julius II., der Schmeicheleien verabscheute – zumindest die, die er durchschaute, weil sie seine Intelligenz beleidigten.

»Nein, nein, natürlich nicht, Euer Heiligkeit! Ihr werdet bei Euren Brüdern im Amte zur Rechten Gottes Platz nehmen«, suchte der Bischoff, der rote Flecken im Gesicht bekommen hatte, den Papst zu beschwichtigen.

»Ich soll also neben diesem Borgia sitzen, neben diesem Vieh voller Inzest und Sünde?« Julius’ Gesicht war vor Zorn rot angelaufen, die Wangen wechselten bereits gefährlich in einen violetten Farbton. Kardinal Alidosi, dem der ungeschickte Bischof, der die Augen gen Himmel richtete und verzweifelt über die richtige Antwort nachgrübelte, augenscheinlich leidtat, wollte eben mit über der Brust gekreuzten Händen in die Diskussion eingreifen, als Michelangelo ihm zuvorkam.

»Aber nie und nimmer, Eure Heiligkeit. Alexander VI. wird ebenso in der Hölle schmoren wie Bonifaz VIII. So steht es zumindest bei Dante. Nein Ihr, Ihr werdet natürlich neben Eurem teuren Onkel Platz nehmen.«

Jeder in Rom wusste, dass Julius II. seinen Onkel, der als Papst den Namen Sixtus IV. geführt, die nach ihm benannte Sixtinische Kapelle errichtet und den kaum achtundzwanzigjährigen Hungerleider Giuliano della Rovere zum Kardinal gemacht hatte, zutiefst verehrte. Die Gesichtszüge des Papstes entspannten sich merklich.

»Gut, dass du auf Unseren Onkel zu sprechen kommst. Unser Grabmal soll sich nämlich auf das Seine beziehen, aber nicht, indem es jenes nachahmt, sondern, indem es dieses Monument weiterführt, eine neue, bisher unerreichte Qualität erreicht, so wie Unser Pontifikat bei ihm beginnt. Es soll das Gefühl wecken, von Sixtus sei Großes ausgegangen, das Wir verwirklicht haben.«

»Und das zum Ruhme der Christenheit und der Familie della Rovere himmelwärts strebt«, fügte Michelangelo hinzu.

»Willst du Uns schmeicheln, junger Mann?«, fragte Julius scharf.

»Nein, denn Menschen zu schmeicheln bedeutet, Gott zu lästern. Verzeiht, wenn es so klang, aber ich habe nur die künstlerische Grundidee Eures Grabmals formuliert, Heiliger Vater.«

Michelangelo hielt dem prüfenden Blick des Pontifex stand. Nach einer Weile entspannten sich dessen Züge, und sein Gesicht nahm wieder eine gesunde Farbe an.

»Besser hätten Wir es nicht sagen können. Beeil dich, junger Freund. Wir warten darauf, dass du Uns einen Entwurf unterbreitest.«

Michelangelo verneigte sich zum Abschied. Wie es der Brauch war, hielt ihm der Papst die Hand mit dem Fischerring hin, auf die er einen Kuss drückte. Bevor der junge Bildhauer davoneilen konnte, meldete sich Sangallo zu Wort.

»Hat Eure Heiligkeit eine Vorstellung von der Größe des Grabmals, von der Bauart oder den Motiven für die Skulpturen?«

Beide, der Papst und der Künstler, schauten den Architekten verwundert an.

»Nun, was denkst du, Michelangelo«, fragte Julius, »benötigst du noch nähere Instruktionen von Uns?«

»Nein«, erwiderte der Bildhauer mit fester Stimme, »ich kann gar nicht fehlgehen, weil das Grabmal Eurer wahren Größe, mein Heiliger Vater, entsprechen wird!«

Stunden später, die Nacht war schon hereingebrochen, saß Michelangelo immer noch im Kerzenschein in der länglichen Stube an seinem großen Holztisch und skizzierte. Er zweifelte nicht daran, dass es ihm mit Bravour gelingen würde, sein Versprechen gegenüber dem Papst einzulösen, doch er kämpfte mit dem Gegenstand. Es wollte nicht einfach werden. Ein Mausoleum in der Form eines Rundbaus nach dem anderen entstand unter seinem Bleigriffel, aber alle wirkten sie nur wie traurige Kopien von Bramantes Tempietto. Es wollte sich noch nicht recht fügen. Die Formen entsprangen Formen, fremden Formen und nicht Inhalten. Irgendetwas passte nicht! Michelangelo konnte die Unstimmigkeit mit Händen greifen, er wusste nur noch nicht, wo der Fehler lag.

Er lehnte sich zurück und streckte die verspannten Glieder. Seinen Entwürfen fehlte das Leben, seine Vorstellungen blieben merkwürdig allgemein, blutleer und abstrakt. Seit Jahren hatte er die Erinnerung an die Vergangenheit verdrängt, an seine Liebe, an seine Freunde. Nur langsam drang ihm die Erkenntnis ins Bewusstsein, dass die schmerzlichen Gefühle ein Teil seines Schaffens waren, der Tribut, den er der Kunst zu entrichten hatte. Ohne Qual gab es kein künstlerisches Denken und Entwerfen, jedes Werk musste Gott unter Schmerzen und Verzicht abgerungen werden …

8

Florenz, Anno Domini 1491

Begonnen hatte alles mit einem alten Faun im Garten Lorenzos des Prächtigen. Der heimliche Herrscher von Florenz stellte dort antike Figuren aus und ließ den alten Bildhauer Bertoldo begabte junge Burschen zu Bildhauern ausbilden. Auch der fünfzehnjährige Michelangelo besuchte täglich die Ausbildungsstätte, und Lorenzo de Medici zahlte ihm sogar ein kleines Gehalt dafür. Für den Knaben war es das Vestibül des Paradieses.

Als Michelangelo an diesem Morgen in den Garten trat, stand der älteste Lehrling, Pietro Torrigiani, ein schöner, wenngleich bereits etwas verdorben wirkender junger Mann, vor einem Stück Marmor. Die Werkzeuge – Hammer, Meißel, die verschiedenen Eisen – lagen säuberlich aufgereiht rechts neben dem Stein. Michelangelo trat hinzu und beobachtete, wie Pietro mit dem Polierzahn die Rundungen der Nase an seiner Plastik nacharbeitete. Nach dem Modell zu schließen, das vor ihm stand, mühte sich Pietro redlich, den Kopf eines Saturns zu schaffen.

Michelangelo musterte das mäßig gelungene Modell des Älteren und bedachte dessen noch dürftigere Ausführung in Marmor mit einem spöttischen Lächeln. Dann sah er zu seinem eigenen Marmorblock und verharrte einen Moment in stiller Konzentration, als lausche er einem unendlichen dünnen Stimmchen. Plötzlich blitzten seine Augen auf. Beherzt griff er zu Hammer und Spitzmeißel und begann, derart ungestüm auf den Stein einzuschlagen, dass die Splitter nur so absprangen und einige wohl auch Pietros Hand streiften. Dieser ließ von seiner Arbeit ab und beobachtete einen Moment lang den wild meißelnden Jungen.

»Ach, Giolo, ohne Modell wird das nie was! Wie schade um den guten Marmor, dass er einem Anfänger wie dir in die Hände fällt«, rief er.

»Warten wir’s ab, um wessen Marmor es am Ende schade gewesen sein wird«, knurrte Michelangelo zurück, ohne in seiner Arbeit innezuhalten.

Pietro Torrigiani stutzte kurz wegen der Respektlosigkeit des Neulings, der erst seit wenigen Tagen in der Ausbildung war, und lachte ihn dann aus vollem Halse aus.