»Kommt alle her«, rief er den anderen zu, nachdem er sich wieder beruhigt hatte. Die übrigen Bildhauerschüler unterbrachen ihre Arbeit und scharten sich neugierig um die beiden Konkurrenten. Durch das Gelächter und die Rufe aufmerksam geworden, kam auch der alte Bertoldo ächzend herangestapft, um den Anlass für den kleinen Auflauf, der sich gebildet hatte, zu erfahren.
»Dieser Hosenscheißer«, verkündete der schöne Pietro, »hat es gewagt, mich herauszufordern. Bilden wir ein Gericht: Du, Francesco, du, Jacopo, du, Andrea, und du, Giovan, findet euch dazu bereit! Und Ihr, ehrwürdiger Bertoldo, übernehmt bitte den Vorsitz. Wer in vier Tagen zur gleichen Stunde mit seiner Figur nicht fertig geworden ist oder das unvollkommenere Werk geschaffen hat, soll sich in die Mitte des Gartens stellen, sich aufplustern und eine volle halbe Stunde laut wie ein Hahn krähen, zur Strafe für seine Überheblichkeit.«
Die vier Tage vergingen wie ein Wimpernschlag. Pietro postierte sich vor dem Kopf seines Saturns, strahlend im Vollgefühl des Sieges und unbändig stolz auf seine Arbeit. Michelangelo arbeitete noch, als Bertoldo ihm freundlich die Hand auf den Arm legte.
»Die Zeit ist um, mein Sohn.«
Michelangelo ließ den Bimsstein sinken und trat zurück. Wie ein Orkan brannte das Gelächter aus vielen Kehlen durch den Garten. Keinem der Bildhauerschüler – und auch Bertoldo nicht – gelang es, sich zu beherrschen. Was sie sahen, war auch zu komisch: Der Kopf eines alten Fauns spottete mit geöffnetem Mund über seinen Vater, über den von Pietro gemeißelten Saturn. Aber noch etwas anderes, wunderbar frech und perfekt, kam hinzu.
»Das bist ja du, Pietro! Der alte, garstige Faun bist du!«, rief einer der Bildhauerschüler und brach erneut in brüllendes Gelächter aus. Die Blicke der anderen wanderten überrascht von Pietro zum Faun und wieder zurück. Tatsächlich hatte Michelangelo in dem zerzausten Faun ein Porträt von Pietro als altem Mann geschaffen.
»Ein zweiter Donatello«, murmelte Bertoldo und schüttelte mit einem versonnenen Lächeln den Kopf.
»Krähen! Krähen! Krähen!«, riefen die Lehrlinge, hielten sich die Bäuche vor Lachen und zeigten auf Pietro.
Dieser war so wütend, dass es ihm kaum Mühe machte, eine solche Menge Luft zu holen, dass er einen roten Kopf bekam und zu platzen drohte. Sein zorniges Krähen musste weithin zu hören sein.
In diesem Moment betrat Lorenzo de Medici in Begleitung seiner Kinder den Garten. Voller Ehrfurcht starrte Michelangelo ihn an. Er sah ihn zum ersten Mal und fand ihn eindrucksvoll – er war hässlich und faszinierend zugleich. Der Mäzen trug ein Gewand aus Goldbrokat. Seine Züge waren wie gemeißelt, und die Nasenspitze ragte umso kräftiger aus dem Gesicht, weil die Natur aus einer boshaften Laune heraus den Nasenrücken so sehr eingedrückt hatte, dass Lorenzo, wie allgemein bekannt war, über keinen Geruchssinn verfügte. Widerspenstige schwarze Haare fielen ihm in die niedrige Stirn, und seine schmalen Augen verschwanden fast unter den dichten Brauen. Augen, dachte Michelangelo, in denen Neugier und Wachsamkeit standen. Alles in diesem Gesicht strebte auf den mächtigen Mund mit dem kraftvollen Kinn darunter zu. Das plumpe Antlitz stand im Widerspruch zu der hohen Intelligenz und künstlerischen Sensibilität von Lorenzos Wesen.
Vergnügt mit seinen Kindern plaudernd, schritt Il Magnifico über den Mittelweg auf den Garten der Bildhauer zu.
»Der Größere ist Piero, und der in dem geistlichen Gewand ist Giovanni«, flüsterte einer der Bildhauerschüler und wies auf einen blonden, stupsnasigen Jüngling in Michelangelos Alter. Neben diesem ging ein Mädchen in einem meerblauen Kleid mit roten, geschlitzten Ärmeln. Ein allerliebster Knabe mit großen dunkelbraunen Augen und ebensolchen Locken sprang fröhlich um Vater und Geschwister herum.
Pietro Torrigiani stand mit dem Rücken zum Eingang und bemerkte deshalb, anders als die anderen, die Besucher nicht gleich. So tapfer wie zornig krähte er weiter seinen Hahnenschrei heraus. Lorenzo und die Kinder blieben stehen und blickten verwundert auf den jungen Mann, der sich zum Narren machte. Bertoldo winkte ihnen mit einem verschwörerischen Lächeln zu.
Michelangelo wusste, dass der Papst Giovanni de Medici bereits zum Kardinal erhoben hatte. Piero, den älteren der Söhne, mit seinem schön geschnittenen Gesicht und den glänzenden braunen Haaren hatte er ebenso schon einmal gesehen wie Giuliano, den jüngsten. Nur das Mädchen kannte er nicht.
Mit einem freundlichen Gruß trat Lorenzo auf Bertoldo und die jungen Bildhauerschüler zu. Inzwischen war auch Pietro Torrigiani der hohe Besuch nicht verborgen geblieben. Er erbleichte und verstummte sogleich.
Wer Lorenzo nicht kannte, der hätte wohl erwartet, dass die Stimme eines Löwen aus seinem gewaltigen Mund erscholl. Indessen verfügte das Haupt der Medici nur über ein heiseres Stimmchen. Immer sprach er eine Spur zu leise.
»Ich bitte Euch, Messèr Bertoldo«, wisperte Lorenzo, »verratet mir und meinen Kindern, ob Ihr hier Bildhauer oder Hähne ausbildet?«
»Bildhauer, Herr, aber der da hat es sich mit seiner Prahlerei selbst eingebrockt«, gab Bertoldo schmunzelnd zurück und erklärte, wie es zu Pietros Auftritt gekommen war. Lorenzo wandte sich zu dem Unglücklichen um.
»Warum fährst du nicht fort, Junge, wenn das Krähen deine Strafe ist?«
Erneut wechselte Pietros Gesichtsfarbe, diesmal ins Tiefrote, als er wieder zu krähen begann.
»Fehlt nur noch der Mist unter seinen Füßen«, rief Lorenzos Tochter.
»Deinen Spott hat er nicht verdient. Der ist nicht Teil der Strafe!«, wies ihr Vater sie zurecht. Beschämt schlug das Mädchen die Augen nieder, sodass Michelangelo sie ungestört betrachten konnte. Sie war einen halben Kopf kleiner als er, wohl auch etwas jünger, dreizehn oder vierzehn Jahre alt. Plötzlich sah sie wieder auf, und in ihren dunklen Augen blitzte der Übermut. Sie lachte ihm zu, vielleicht lachte sie ihn aber auch aus, er wurde nicht schlau aus ihr. Ihre schöne, elegante Gestalt, die strahlenden Augen, die reizenden vollen Lippen verunsicherten ihn.
Trotz ihrer Jugend war sich Lorenzos Tochter ihrer Wirkung vollkommen bewusst. Es bereitete ihr offenbar Vergnügen, den jungen Bildhauer zu verwirren. Michelangelo räusperte sich, als wollte er etwas sagen. Er wusste jedoch nicht, was. Also räusperte er sich noch einmal, was ihm nur neue spöttische Blicke von ihr eintrug.
Lorenzo der Prächtige hatte inzwischen den lachenden Faun näher in Augenschein genommen. Wie aus weiter Ferne drang seine gedämpfte Stimme an das Ohr des Bildhauerlehrlings.
»Komm einmal her, Michelangelo.«
Der Junge spürte eine harte Hand in seinem Nacken, die ihn nach vorn stieß.
»Hörst du nicht, was der ehrenwerte Lorenzo sagt?«, fauchte Bertoldo ihn an.
Eilig stolperte Michelangelo zu seinem Werk. Dann blickte er abwechselnd auf den Faun und auf dessen Betrachter.
»Du solltest wissen, dass die Alten niemals alle Zähne haben – immer fehlt der eine oder andere«, sagte Lorenzo und legte den Kopf auf die Seite.
Die Kritik brachte Michelangelo zum Erröten. Wie stolz war er eben noch auf seinen Sieg und auf den Faunskopf gewesen! Ein Faun, der den Mund geöffnet hatte, der seine Zähne zeigte, der lachte – das hatte es bisher in der Kunst noch nicht gegeben, nicht einmal bei den alten Meistern. Doch der Stolz auf den Einfall hatte ihn nachlässig werden lassen. Lorenzo hatte recht, schalt er sich zornig. Er war eitel, hochmütig, selbstzufrieden gewesen und hatte gepfuscht! Beschämt schlug er die Augen nieder.
»Eure Kritik, Herr, trifft zu«, sagte er tapfer. »Nun ist es wahrlich an mir, zu krähen, weil ich vorher gegockelt habe.«
Lorenzos Miene blieb unbewegt, als er sich an Bertoldo wandte.
»Deine Schüler sollten sich besser wieder in der Bildhauerei üben. Ausgezeichnete Hähne werden sie schon von allein. Dazu hat sie ja bereits die Natur bestimmt.«