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Mit Panik statt Blut in den Adern preschte Giorgio Vasari mit seinem Diener Giuseppe durch die Nacht, durch den Tag und wieder durch die Nacht, getrieben von der Angst um das Leben des Mannes, den er über alles in der Welt verehrte. Zwar war Michelangelo über drei Jahrzehnte älter als er – Il Divino zählte inzwischen achtzig Jahre –, aber Vasari zweifelte nicht daran, dass der Göttliche noch Kunstwerke schaffen würde, wenn sein Körper längst im Vermodern begriffen war. Niemand rechnete mehr damit, dass Michelangelo tatsächlich sterben könnte. Er schien den Tod besiegt zu haben.

Der Architekt dachte nicht an die Gefahren der Dunkelheit, nicht an die Strauchdiebe und Wegelagerer, die in den Berggegenden ihrem blutigen Handwerk nachgingen, sondern nur an ihn, seinen Meister, dem er nach seiner Überzeugung alles zu verdanken hatte.

In einem Flecken, dessen Namen er gleich darauf vergaß, wechselten sie die Pferde, und schon ging es weiter. Zur Mittagszeit erreichten sie das Latium. Der Wind hatte aufgefrischt, was die beiden Männer auf ihrem eiligen Ritt jedoch kaum wahrnahmen. Sie näherten sich einem kleinen Wäldchen, und Vasari rief seinem Diener zu: »Wir halten kurz an, ich muss mein Wasser abschlagen!«

Als er wieder aus den Büschen trat und den Fuß in den Steigbügel setzte, hörte er Giuseppes Magen so laut knurren wie ein gefährliches, wütendes Tier. Doch er duldete keine längere Pause für einen Imbiss. Die Vorstellung, der göttliche Künstler würde sterben, weil er, Giorgio Vasari, sich unterwegs den Bauch hatte vollschlagen müssen und deshalb nicht rechtzeitig in Rom eingetroffen war, zur Stunde, in der ihn sein Meister brauchte, trieb ihn erbarmungslos voran. Merda!, und nicht einmal der schnellste Renner, den er für Geld und gute Worte bekommen konnte, hielt Schritt mit der Angst, die sein Herz versengte.

Rom, Anno Domini 1564, Anfang Februar

Am späten Nachmittag erreichten sie endlich die Ewige Stadt. Eilig begaben sie sich zu dem schäbigen Haus des Göttlichen in der wilden Gegend zwischen dem Trajansforum und dem Quirinal, die man Macello dei Corvi – Rabennest – nannte. Niemand verstand, weshalb Michelangelo seit Jahrzehnten in dieser häuslichen Enge und vor allem in der heruntergekommenen Gegend ausharrte. Eines stand fest, am Geld lag es nicht. Aber an der Lust, es auszugeben.

Vasari sprang vom Pferd und sank innerlich auf die Knie, während er zur Tür strebte und dabei inbrünstig betete: »Herr, guter Gott, lass mich nicht zu spät kommen. Wir alle sind doch nichts ohne ihn!«

Dann lachte er über seine dumme, kleinliche Angst. Gott konnte Michelangelo doch gar nicht abberufen – nicht, solange er nicht den Petersdom fertiggestellt und mit der Kuppel des Himmels bekrönt haben würde! Niemand außer ihm könnte das Haus des Herrn vollenden. Kein anderer! Nicht einmal ein Narr entließ einen erprobten Baumeister, wenn sein Haus erst halb fertig war. Und der Allmächtige war alles andere als einfältig.

Ungeduldig trommelte der Architekt an die morsche Tür, bis Michelangelos treuer Diener Francesco, der den Spitznamen »das Französlein« trug, ihm öffnete. »Endlich! Messèr Giorgio, es ist ein Segen, dass Ihr da seid.«

Vasari musste sich zusammennehmen, um den Diener nicht an beiden Schultern zu packen und durchzuschütteln. »Lebt der Meister noch?«

»Ja, aber ja. Der Patron ist im Petersdom.«

»Wie? Was? Im Petersdom? Bei dieser Kälte?«, brüllte Vasari, obwohl er wusste, dass den Diener keine Schuld traf. Niemand auf der Welt vermochte, Michelangelo von etwas abzubringen, das er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, nicht einmal der Papst. Alle fürchteten sie seine terrebilità. »Ich denke, er ist todkrank?«

»War er auch. Wir wollten schon den Priester rufen, da stand er wie von der Tarantel gestochen auf, fluchte auf Arnoldo di Maffeo, von dem er einen Brief erhalten hatte, und stürmte zum Petersdom. Messèr Daniele konnte ihn nicht aufhalten, und deshalb ist er dem Meister hinterhergerannt.«

Noch im Aufsitzen rief Vasari Francesco zu, dass er seinen Diener ordentlich verköstigen sollte. »Und spar auch nicht am Wein!«, fügte Giuseppe frech hinzu. Doch Vasari hatte keine Zeit für ein Geplänkel mit seinem Bediensteten und gab dem müden Pferd erneut heftig die Sporen, bis dem Tier das Blut aus der wunden Seite drang. Er hatte nicht einmal Augen für die Trajanssäule, der er für gewöhnlich bei seinem Eintreffen Verehrung erwies.

Der Anlass der Aufregung gefiel ihm ganz und gar nicht. Was hatte Arnoldo di Maffeo, dieser dreiste Dieb, in seinem Brief an Michelangelo nur geschrieben, dass der Göttliche als verantwortlicher Architekt von Sankt Peter darüber außer sich geraten und halb tot zum Dom gerannt war? Natürlich, Arnoldo beherrschte nichts besser als die Kunst der Intrige. Diese Schlange! Vasari hasste den durchtriebenen Maurer aus tiefster Seele. Als erfahrener Baumeister kannte er jene Sorte fauler Handwerker, die mit dem Mundwerk fleißiger waren als mit ihren Pranken und mit ihren langen Fingern geschickter als mit den Händen. Oh, die Faulen waren klug, immer schon!

Nach langen Kämpfen mit der Baukommission, in der Arnoldo Gönner besaß, hatte Michelangelo ihn vor Monaten endlich von der Baustelle gejagt, weil er unverfroren gutes Material gestohlen und schlechtes geliefert hatte. Sicher unterschied er sich darin nicht von den anderen römischen Bauunternehmern, aber Michelangelo hatte an ihm ein Exempel statuieren wollen, weil Arnoldo di Maffeo der Schlimmste von allen war. Michelangelos Plan war einfach: Besiegte er Arnoldo, würden die anderen sich aus Angst zuverlässiger und gefügiger zeigen.

Der Schlamm spritzte unter den Hufen des Pferdes auf, als Vasari über den von ärmlichen zweigeschossigen Häusern gesäumten Platz vor Michelangelos Haus ritt. Das fahle Grau der Dämmerung erschien ihm wie ein Ausdruck der ganzen Trostlosigkeit dieses Ortes. Von dem Platz aus stieß er direkt auf eine der großen Straßen Roms, über die traditionell der in der Capella Sistina gewählte und im Petersdom gekrönte Papst feierlich quer durch Rom zum Lateran zog, um seine Bischofskirche San Giovanni mit einer feierlichen Messe in Besitz zu nehmen.

Vasari schickte ein kurzes Dankgebet an jene, die diese Straße geplant und gebaut hatten – durch die kleinen Gassen von Regola und Parione hätte er doppelt so viel Zeit gebraucht, um den Petersdom zu erreichen. Schließlich passierte er die Piazza Agionale, die sich unmittelbar vor dem Tiber ausbreitete. Dann tauchten die Brücke und das mächtige Bollwerk der Engelsburg vor ihm auf, und er überquerte den Ponte Sant’Angelo. Frostiger Wind fegte in Böen über die Brücke und stach mit tausend Degenspitzen durch seine Kleidung. Es hatte zu regnen begonnen. Endlich langte er an der Vorderfront von Alt Sankt Peter an.

Der Blick des Architekten streifte das zweigeschossige Gebäude, das sich majestätisch über den drei Portalen erhob und solide, aber langweilig, wie Vasari fand, gen Himmel strebte. Auf der linken Seite leitete ein dreigeschossiger Säulenbau mit der Benediktionsloggia des Papstes zum Vatikanpalast über. Den großen Brunnen, dessen Fontäne die Römer nur im Frühling, Sommer und Herbst mit ihrem Wasserspiel erfreute und erfrischte, hatte er bereits rechts liegen lassen.

Er sprang vom Pferd, band es hastig an einem Eisenring in der Mauer fest und stürmte die vier Treppenpodeste mit ihren jeweils sieben Stufen hinauf. Dann durchquerte er im Laufschritt den leeren Vorplatz und eilte durch das mittlere Portal in den geräumigen Innenhof der alten Basilika, den ein großzügiger Kreuzgang umgab. Dieser Ort schlug ihn wie immer in seinen Bann, und einen Atemzug lang gestattete er sich innezuhalten. In der Mitte des Hofes leuchtete wie reines Gold der große Pinienapfel aus Bronze. Rechts erhob sich die steile Fassade des päpstlichen Palastes, während sich hinter der Mauer linker Hand die Wohnstätte der Priester befand. Über den sechs Portalen der Basilika prangten kunstvolle Fresken, vor allem aber Giottos prächtiges Mosaik von der Schifffahrt, die »Navicella«. Die Jünger saßen im Boot auf dem See Genezareth und ängstigten sich. Vasari hatte das verehrungswürdige Mosaik schon oft gesehen, doch heute schien es ihn mahnen zu wollen. Nach seinem zweitätigen Höllenritt von Florenz nach Rom war er wohl empfänglicher für Warnungen vor den Gefahren der Reise.