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Und nun lag das entscheidende Element vor ihm.

»Die Schönheit oder der Stellvertreter, das heißt auch, dass die Schönheit der Stellvertreter Gottes ist«, brachte Bramante stotternd hervor. Er rang nach Luft.

Bonet sah den Architekten besorgt an. »Ist Euch nicht gut? Braucht Ihr ein Glas Wasser? Setzt Euch, um Gottes willen!«

Doch auf dem Gesicht des Architekten breitete sich eine unbändige Freude aus. »Nein, nein, es geht schon. Gegen Hiram bin ich ein Jüngling! Sagt, könnt Ihr mir das Buch übersetzen?«

»Es kostet Zeit.«

»Was kostet die Zeit?«

16

Rom, Anno Domini 1505

Als Bramante die Synagoge verließ, war er so glücklich wie schon lange nicht mehr und um fünf Goldflorine ärmer. Durch seine Adern floss eine neue, fast jugendliche Energie. Wenn er in einem halben Jahr Bonets Übersetzung in der Hand hielt, würde er den Bauplan Gottes kennen, davon war er überzeugt. Anders als Bonet und auch Pico hatte er in dem Etz Chaim eine Architekturskizze erkannt, in der Grundriss und Aufriss ineinander gespiegelt waren. Die Tarnung der Skizze bestand darin, dass sie zwei in einem war. Zudem hatte der Lebensbaum Bramante an den Achtort erinnert, jenen geheimen Konstruktionsschlüssel, den die deutschen Dombaumeister benutzten. Einige von ihnen hatte er in Mailand kennengelernt, als man sie ins Land gerufen hatte, um beim Bau des Domes zu helfen.

Perspektive und Proportion kamen zusammen, nichts fehlte, der Lebensbaum zeigte sowohl Form als auch, im Konstruktionsschlüssel niedergelegt, die Maße an. Damit sollte es ihm auch gelingen, das letzte, das größte Rätsel zu lösen: wie man eine solch große freitragende Kuppel errichtete, wie sie die Etrusker vor über dreizehnhundert Jahren über das Pantheon gewölbt hatten. Eine Kuppel, die nicht riss, brach oder die sie tragenden Wände und Säulen unter ihrem Gewicht einstürzen ließ. Seit den Etruskern hatte sich niemand mehr gefunden, dem Ähnliches geglückt wäre.

Während Bramante im Morgengrauen die Stadt durchquerte, um zu seinem kleinen Palazzo zu gelangen, überschlugen sich die Gedanken in seinem Kopf. Es gab ein weiteres Argument dafür, dass er es mit einem Konstruktionsschlüssel und einem Bauplan zu tun hatte, das Oben nämlich. Und dieses Oben konnte, weil der Lebensbaum zweidimensional gezeichnet war, in einer dreidimensionalen Ansicht tatsächlich oben im Sinne von aus der Höhe heißen. Und dass oben das Licht war, entsprach der Grundannahme jedes Architekten. Mit diesem Licht baute er. In der Architektur drehte sich alles um das Licht, denn nicht mit Steinen, wie die Dummköpfe glaubten, sondern mit Licht schuf man Räume. Wie hatte Bonet die Skizze auch genannt, die Pforten des Lichts, das Licht, mit dem er bauen und Räume schaffen wollte.

Bramante fühlte, dass ihm dieses Wissen, das sich ihm jetzt erschloss, bis jetzt gefehlt hatte. Das Schicksal selbst hatte ihn zu dem Rabbiner geführt. Deshalb hatte er bis zu dieser Begegnung warten müssen, um das große Werk, das gute Bauen, endlich beginnen zu können. Nun musste sich nur noch der geeignete Auftrag finden, bei dem er seine neuen Erkenntnisse anwenden konnte. Oh, ihr Parzen, dachte er und zog den Mantel enger, was haltet ihr für mich bereit?

Als er eben den Fluss über den Ponte Cestio, die Tiberinsel und den Ponte dei Quattro Capi überquert hatte, traten ihm an der Ecke des düsteren Palazzo Cenci zwei abgerissene Gestalten mit gezückten Rapieren in den Weg.

»Dein Geld, Alter, deine Unschuld kannst du behalten«, raunzte der Kleinere, der eine zerschlissene gelbe Hose trug. Die Hemden der beiden Straßenräuber waren vor unvordenklichen Zeiten wohl einmal weiß gewesen – jetzt trugen sie alle Farben des Schmutzes und waren starr wie eine Rüstung.

Bramante schreckte aus seinen Gedanken auf. Da hatte er die gefährlichen Winkel in Trastevere unbeschadet passiert, nur um ausgerechnet hier im eigentlichen Stadtgebiet von zwei bravi überfallen zu werden. Was ihn wirklich empörte, war jedoch, dass sie es gewagt hatten, ihn aus seinen Gedanken zu reißen.

»Schert euch zum Teufel. Ich habe nichts mehr bei mir!«, fuhr er die beiden Straßenräuber an.

»Dann gib uns eben den Ring!«, sagte der Größere fast gutmütig, als ginge es um einen Handel, wobei er mit seiner linken Hand an seinem Ziegenbart zupfte.

»Den Ring? Niemals!«, schnaubte Bramante wütend.

Die beiden Straßenräuber schauten sich verdutzt an.

»Aber du musst uns schon was geben!«, beharrte der Kleinere und richtete drohend die Spitze seines Rapiers gegen Bramantes Hals.

»Den Tod kann ich euch geben!«, brüllte dieser im Zurücktreten, zog seine Waffe und hieb damit voller Zorn auf die beiden Spitzbuben ein. Nur mühsam konnten sie sich mit ihren Degen vor dem Hagel der Hiebe, die auf sie niedergingen, schützen. Schließlich kamen sie wohl zu der Überzeugung, dass sie es mit einem Verrückten zu tun hatten, und gaben eifrig Fersengeld.

Wieder einmal hatte Bramante recht behalten. Es lohnte sich, nicht feige zu sein, man musste sich dem Tod mutig in den Weg stellen. Offensichtlich ist meine Zeit noch nicht gekommen, dachte er. Er hatte noch eine Aufgabe zu erfüllen. Statt nach Hause lenkte er seine Schritte zum Bordell der Petronilla, um seine außer Rand und Band geratenen Lebensgeister zu besänftigen.

Donato Bramante erwachte im Wohlgefühl. Zuerst sah er auf seinen weißen Bauch, der sich inmitten seines Bettenmeeres behäbig wölbte wie eine Insel. Er besaß eine sehr breite Schlafstätte, denn zuweilen vergnügten sie sich auch zu dritt oder zu viert. Und niemandem sollte es an Platz mangeln, um seine Lust auszuleben. In seinen Bartstoppeln spielten die Sonnenstrahlen Verstecken. Er fühlte sich wie neugeboren und reckte und streckte sich unter lautem Brummen.

Ein Blick nach links verriet ihm, dass es kein Traum war. Neben ihm lag Imperia, nackt und schön, wie Gott sie erschaffen hatte. Mit wachsendem Vergnügen ließ er seinen Blick den schwungvollen Bogen ihrer Waden hinaufgleiten, verweilte bei ihrem wohlgeformten Po, folgte der kühnen Rückenlinie, um schließlich in ihrem Blick zu versinken. Imperia war schon vor ihm aufgewacht und lächelte ihn zärtlich an, während ihre Hand mit der Selbstverständlichkeit eines Pilgers zu ihm hinüberwanderte.

»Wollen wir ausreiten?«, fragte sie mit einem ansteckenden Schalk in den Augen. »Ich sehe, dass sich deine Decke wölbt. Es muss die Kuppel des Himmels sein und darunter der Quell so vieler himmlischer Vergnügen!«

Bramante spürte umgehend, dass sich etwas bei ihm regte. Er schnurrte wie ein großer Kater, weil er glaubte, jeden Tropfen zu spüren, der seine Schwellkörper mit warmem, gutem Blut versorgte.

»Was sollte uns am Ausritt hindern?«, flüsterte er, und sie schloss ihre Hand so fest um seine Schwanzwurzel, dass er von einem Schmerz aufstöhnte, der ihn zugleich entzückte. »Gibt es etwas Schöneres, womit man den Tag beginnen könnte?«

Imperia lächelte wie eine Zauberin, die ihm die letzte Seligkeit zu bieten vermochte, nachdem er Gott sei Dank das richtige Lösungswort genannt hatte. Er wollte sich ihr gerade nähern, als sein Diener in den Raum trat.

»Herr, Ihr habt Besuch! Er ließ sich nicht abwimmeln.«

Die Worte trafen Bramante wie ein eiskalter Regenguss. »Welcher Halunke wagt es, so früh am Morgen ehrbare Menschen zu belästigen?« brüllte er ärgerlich.

»Wer schon? Ein Jude!«, antwortete der Diener abfällig.

»Was sagst du, Tölpel? Ein Jude?« Ungeachtet der Tatsache, dass ihn der Regenguss noch nicht völlig abgekühlt hatte, sprang Bramante nackt, wie er war, aus dem Bett. Er griff nach seinem Mantel, warf ihn sich um den Leib und stürmte mit vor Aufregung hochrotem Kopf aus dem Zimmer.

Bonet stand im Vestibül, eine graue Satteltasche aus Wolfsleder über der Schulter.