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»Messèr Bonet!«, rief Bramante, stürzte auf den Besucher zu und wollte ihn schon aus lauter Begeisterung umarmen. Im letzten Moment hielt er inne, weil das dann doch etwas unschicklich gewesen wäre. Schließlich kannten sie einander kaum. Also bat er den Gast in sein Arbeitskabinett.

Dort entnahm Bonet der Tasche mit einer für Bramantes Empfinden unerträglich langsamen Bewegung zwei Bücher und legte sie behutsam vor ihm auf den Tisch.

»Voilà, Ihr Buch zurück und meine gebundene Übersetzung dazu.«

Bramante war außer sich vor Freude, rascher als gedacht an den ersehnten Text zu kommen.

»Ihr habt Wort gehalten!«, rief er aus.

Bonet sah keine Notwendigkeit, auf diese Feststellung zu antworten. Es verstand sich von selbst.

»Ist Euch beim Übersetzen etwas Besonderes aufgefallen?«, fragte Bramante gespannt.

Der Jude machte nur eine vage Handbewegung. »Nein. Wie bereits vermutet, nur ein Dutzendbuch über die Kabbala. So weit nichts Außergewöhnliches. Nicht mal besonders gut, nicht besonders konzise. Auch wenn merkwürdigerweise Überlegungen zur Baukunst angestellt werden, die man in einem Kommentar zur Kabbala eigentlich nicht vermutet. Von dieser Seite an«, sagte er und wies auf eine Überschrift in dem Buch, »findet Ihr speziell Gedanken und Berechnungen zum Kuppelbau. Ich kann selbstverständlich nicht beurteilen, wie originell sie sind. Das ganze Buch wirkt etwas, wie soll ich sagen, verworren. Aber vielleicht hilft es Euch ja weiter.«

Der Jude verneigte sich leicht, als wollte er sich dafür entschuldigen, dass er nichts Spektakuläreres gefunden hatte. »Ach, beinahe hätte ich es vergessen: Am Ende findet Ihr eine Liste, wer dieses Buch wem zu welchem Zeitpunkt übergeben hat. Wenn man der Aufzählung Glauben schenken darf, so ist es ganz hübsch herumgekommen.«

Bramante wurde hellhörig. »Taucht der Name Pico in der Liste auf?«

»Ja.«

»Und von wem hat der Princeps Concordiae das Buch bekommen?«

»Von Landino. Der Liste nach zu urteilen, muss das Buch sehr alt sein.«

»Wie alt?«

»Zweitausend Jahre, denn der erste Name lautet …«, erklärte Bonet.

»Lasst mich raten!«, fiel ihm der Architekt aufgeregt ins Wort. »Hiram?«

»Das ist richtig. Aber offen gesagt, seinem Zustand nach zu urteilen, ist das Buch noch gar nicht so alt.«

»Es könnte sich um eine Abschrift handeln.«

»Ja, natürlich, sicher«, meinte der Rabbiner skeptisch. »Aber andererseits ist die Kabbala so alt nicht. Und der Kommentar müsste ja seinem Gegenstand zeitlich folgen und nicht umgekehrt.«

»Und was wäre, wenn es kein Kommentar zur Kabbala ist?«

Bonet de Lates zuckte mit den Schultern. »Dann weiß ich nicht, was es sonst sein könnte. Mir kommt das Ganze eher wie ein Scherz vor. Jemand will die Leute zum Narren halten.«

»Wie kommt Ihr darauf?«

»Weil alles nicht recht zueinanderpassen will. Eine Sammlung seltsamer und dann wieder banaler Ideen.«

Bramante schüttelte den Kopf. Pico sollte wegen eines Scherzes gestorben sein? Das wollte ihm nicht in den Kopf. Als Maler und Architekt wusste er, dass alles auf die Perspektive ankam. Aus dem Blickwinkel der Kabbala mochte das alles keinen Sinn ergeben, von der Baukunst aus gesehen, vielleicht schon.

»Sagt, Messèr Bonet«, fragte Bramante. »Findet sich in der Liste auch Dante?«

Der Rabbiner schaute im Buch nach, dann nickte er. Bramante klopfte das Herz. »Und Johannes der Seher?«

Abermals schaute der Jude in die Liste. »Von einem Seher steht hier nichts.«

Der Architekt mochte es nicht glauben und beharrte: »Er muss in der Liste stehen.«

»Ein Johannes ist verzeichnet, aber nur Johannes, ohne Beinamen.«

Bramante stutzte kurz und schlug sich dann an den Kopf. Natürlich, Johannes hatte sich niemals der Seher genannt – er erhielt diesen Beinamen erst später.

Er wollte dem Rabbiner danken, doch dieser wehrte ab. »Dank ist nicht notwendig, schließlich habt Ihr meine Arbeit bezahlt, aber wenn ich einmal Eure Hilfe benötigen sollte, aus welchem Grund auch immer, dann werde ich mich an Euch wenden. Ich verlasse mich darauf, dass Ihr mir dann beisteht – ohne Wenn und Aber.«

»Seid versichert, das werde ich«, versprach Bramante ernst. Ein seltsamer Kerl, dieser Bonet de Lates. Auf der einen Seite gab er sich direkt und offen, fast schon ein wenig schroff in seinen Äußerungen, die er auf der anderen Seite sogleich wieder mit einem Geheimnis bemäntelte. Aber es gab Wichtigeres, als über den Rabbiner nachzudenken.

»Konntet Ihr etwas über den Eigentümer des Ringes herausfinden?«, fragte Bramante und zeigte auf seinen linken Ringfinger.

Das Gesicht des Gelehrten nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. Fast zärtlich strich er dann über den in seinen Augen eher mittelmäßigen Kabbala-Kommentar, bevor er endlich leise und zögernd antwortete.

»Nicht viel. Es deutet auf eine sephardische Arbeit hin. Aber das nutzt Euch nichts, denn die spanischen Juden, die nicht bereit waren, zum Katholizismus zu konvertieren, wurden 1492 aus Spanien vertrieben und sind über ganz Europa verstreut.«

»Mein Mann ist also ein Sepharde?«

»Oder ein Marrano. Ein zwangsgetaufter Jude.«

»Spanischer Abstammung jedenfalls?«

»So ist es. Es sei denn, jemand hat den Ring seinem rechtmäßigen Besitzer gestohlen.«

»Die Vermutung«, sagte Bramante, »dass der Sekretär Pico ermordet hat, scheint mit die wahrscheinlichste. Deshalb glaube ich weder an einen Dieb noch an einen Raubmörder. Der Sekretär muss ein Sepharde oder ein Marran sein!«

»Wenn Euch der Ring nicht weiterhilft, dann sucht nach dem Motiv«, riet Bonet.

»Aus welchen Gründen töten Juden?«

»Juden töten nicht. Und wenn doch, dann aus den gleichen Motiven wie andere Menschen auch: Liebe, Hass, Angst, Verzweiflung, Jähzorn, Eitelkeit oder Habgier. Aber was Monsieur Pico della Mirandola betrifft, sehe ich für einen Juden kein Motiv. Im Gegenteil, er war ein Freund unseres Glaubens. Es gibt Gerüchte, die besagen, sein Sekretär habe ihn aus Enttäuschung darüber vergiftet, dass der Graf sich Savonarola annäherte.«

Bramante seufzte und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich fürchte, ich habe Pico für alle Ewigkeit einen Bärendienst erwiesen! Versteht Ihr, ich habe diesen Unsinn damals nur erfunden, um meinem Freund in den schlimmen Tagen einen würdigen Begräbnisplatz in Florenz zu verschaffen. Die Dominikaner von San Marco zählten alle zu den Anhängern Savonarolas. Also habe ich ihnen weisgemacht, der Graf sei einer der Ihren, was aber nicht stimmte. Seitdem plappert alle Welt diese Lüge nach. Aber was hätte ich denn damals tun sollen?« Er strich sich über die Stirn. Der Verlust des Freundes schmerzte ihn noch immer tief. »Wisst ihr, wie fanatisch diese Mönche waren? Nicht einmal dem jungen Kardinal Giovanni Medici haben sie Asyl gewährt, obwohl er um sein Leben rannte. Weil er ein Sohn von Lorenzo war. Stellt Euch vor, direkt vor seiner Nase haben sie das Tor des Klosters zugeschlagen und verriegelt. Und hinter ihm tobte der Plebs und wollte sein Blut fließen sehen!«

Bonet de Lates lächelte bitter und schaute Bramante unverwandt an. »Denkt daran, dass der Messias in diesem Jahr erscheinen wird oder schon unter uns wandelt und wir ihn nur noch nicht erkennen.« Er nickte zum Abschied und wandte sich zum Gehen. Bramantes Blick folgte dem seltsamen Juden noch bis zur Tür.

Als er dann endlich allein war, hielt ihn nichts mehr. Er ließ sich auf einen der Stühle am Tisch nieder und studierte zuerst die lange und beeindruckende Liste. Viele der Namen waren ihm bekannt, Vitruv zum Beispiel und Cavalcanti und Alberti. Sie alle hatten einmal als Prior der Bruderschaft vorgestanden. Dann schlug er mit klopfendem Herzen die Seite 132 auf.

Und spürte im selben Moment kleine Fäuste, die auf seinen Rücken trommelten.