»Ich kannte Pico, glaubt mir. Seine Ideen sind insoweit in dem Entwurf enthalten, wie sie die Gedanken eines jeden guten Christen sind. Darüber hinaus findet sich nichts in der Zeichnung!«, erwiderte Michelangelo mit einer Herablassung, die zeigte, wie ernst er den Gegner nahm, dessen Argumente er mit diesem rhetorischen Trick zu widerlegen trachtete.
»Und was meinst du, Donato?«, fragte Julius.
»Nun, über die bildliche Gestaltung lässt sich sicherlich streiten. Wichtiger aber scheint mir die Frage, wo das Grabmal aufgestellt werden soll. Der Petersdom ist voller Memoriae. Für ein so großes Gebilde wird sich beim besten Willen kein Platz finden lassen. Erlaubt mir, Heiliger Vater, rein praktisch zu sprechen: Man müsste den Entwurf um die Hälfte verkleinern, wenn Euer Mausoleum tatsächlich in Sankt Peter aufgestellt werden soll. Und an einem anderen Ort können wir es nicht errichten! Das gebietet uns allein schon die Liebe, die wir für Euch empfinden!« Bramante beglückwünschte sich im Stillen, denn der hasserfüllte Blick, den Michelangelo ihm zuwarf, bewies ihm, dass sein Hieb getroffen hatte. Wie er selbst wusste der Bildhauer genau, dass eine Verkleinerung den in seinen Ausmaßen perfekten Plan vernichten würde.
»Was können Wir da tun?«, fragte der Papst ratlos in die Runde.
»Es ist doch ganz einfach«, platzte Michelangelo heraus. »Papst Nikolaus V. wollte den Dom um einen neuen Westchor erweitern. Der Bau wurde begonnen, die Fundamente sind gelegt, und die Grundmauern haben bereits Hüfthöhe erreicht. Wenn wir das Werk des heiligen Mannes zu Ende führen, haben wir genügend Platz für Euer Grabmal.«
Die Kühnheit Michelangelos beeindruckte Bramante im gleichen Maß, wie ihn dessen atemberaubende Dreistigkeit verärgerte. Vor wenigen Minuten war es noch um ein Grabmal von der Größe eines kleinen Tempels gegangen – zumindest umschloss es den gleichen Raum wie sein Tempietto –, und jetzt griff dieser Florentiner bereits nach dem Ausbau des Petersdomes. Wo sollte das noch hinführen? Dieser junge Mann hielt sich wahrlich nicht mit irgendwelchen Vorreden auf, sondern schlug bei allem ein besorgniserregendes Tempo an. Bramante musste gar nicht erst zu seinem Dienstherrn schauen, um zu wissen, dass die Augen des Papstes nach Michelangelos Vorschlag strahlten. Groß und imperial gedacht, das gefiel Julius natürlich. Auf Giacomos Gesicht dagegen stand Entsetzen geschrieben.
»Ich weiß, mein teurer Donato«, sagte der Papst, »Wir haben dich mit sehr vielen Aufträgen traktiert, aber Wir wünschen, dass du die Möglichkeiten der Chorerweiterung prüfst und Uns einen Vorschlag unterbreitest, an welchem Platz das Grabmal in Sankt Peter am besten zur Geltung kommt, und zwar so, wie es der Entwurf vorsieht. Wir wollen es nämlich genau so. Nichts soll verändert werden! Nihil esse innovandum aut mutandum!« Durch seine Haltung gab der Pontifex deutlich zu verstehen, dass er damit die Diskussion als beendet betrachtete.
»Eine Frage noch, Messèr Michelangelo!« Bramante kochte innerlich vor Wut. Er spürte, dass er einen Fehler beging, denn er hatte das Schlusswort des Papstes ignoriert.
»Wenn es denn sein muss«, brummte Julius unwillig.
»Auf den ersten Blick sehe ich um die vierzig, ich denke lebensgroße, Figuren. Werdet Ihr sie alle eigenhändig herstellen?«, fragte Bramante, an den Bildhauer gewandt.
»Natürlich werden sie alle von Michelangelo persönlich gehauen. Ich dulde keinen anderen!«, polterte der Pontifex.
Im Vorgefühl seines Triumphes unterdrückte Bramante ein Lächeln. Vielleicht war es doch kein Fehler gewesen?
»An Eurem David in Florenz habt Ihr ein Jahr lang gearbeitet. Legt man diese Zeit zugrunde – und von der Qualität dieser Skulptur müssen doch auch alle Figuren des Mausoleums sein –, dann werdet Ihr die nächsten vierzig Jahre allein mit der Bildhauerei beschäftigt sein.«
»In fünf Jahren steht das Grabmal in Sankt Peter, eigenhändig von mir erbaut. Und jede einzelne Figur wird in ihrer Schönheit den David noch übertreffen«, gab Michelangelo zurück und straffte die Schultern.
»Verzeiht mir altem, einfältigem Mann, aber wie wollt Ihr das schaffen?«
»Schluss jetzt!«, schimpfte der Papst. »Was geht Uns das an, wie er es schafft. Wir sind doch kein Buchhalter! Er hat gesagt, er schafft es, und da er den Papst wohl kaum zu belügen wagt, wird er es auch schaffen. Kümmere dich um deinen Auftrag, Donato. Das genügt vollauf.« Mit diesen Worten stürmte Julius aus dem Saal.
Michelangelos Grinsen brannte wie Salzsäure auf Bramantes Haut. Diese Niederlage würde er dem Konkurrenten nie verzeihen, niemals! Er, der erste Baumeister seiner Zeit, sollte zum Handlanger eines Bildhauers und dann noch dieses Burschen da werden? Auch wenn in seinem Innern der Zorn loderte, so riss er sich dennoch zusammen. Kein Zornesfältchen verriet, was er dachte und fühlte. Aber noch war nicht aller Tage Abend, noch stand das Grabmal nicht, und er, Donato Bramante, würde alles tun, dass es auch niemals dazu kommen würde. Bevor er die Stanza della Segnatura verließ, raunte er Giacomo zu: »Darf ich Euch bitten, mir morgen die Beichte abzunehmen?«
»Kommt zur Vesper in den Nordchor des Domes.«
18
Rom, Anno Domini 1505
»Du hast Bramante gedemütigt, Michelangelo, und ganz gewiss sinnt er auf Rache«, sagte Sangallo, als sie gemeinsam den Vatikanpalast verließen, und bot sich an, die Wogen zu glätten und zu vermitteln. Michelangelo lachte ihn nur aus. Was ging ihn dieses Wildschwein aus den Marken an! Dass er auf der Hut sein musste, wusste er selbst. Nein, Bramante beschäftigte ihn nicht weiter. Seine Gedanken drehten sich nur um den jungen Dominikaner. Dass dieser ein Gegner seines Entwurfs war, stimmte ihn traurig, denn er mochte ihn, mehr noch, er sehnte sich nach seiner Gegenwart. Im Stillen nannte er ihn den »Kardinal mit dem Engelsgesicht«.
Zu Hause angekommen, bat er Francesco, ihm verdünnten Wein und etwas Brot in die Werkstatt zu bringen und ihn dann nicht mehr zu stören. Obwohl er auf ganzer Linie gesiegt hatte, verspürte Michelangelo kein Bedürfnis zu feiern. Er trank nur vom Wein, das Brot vergaß er. Ganz in Gedanken nahm er ein Blatt Papier und ließ den Griffel darübergleiten. Überrascht nahm er wahr, dass sich die Striche mehr und mehr zu den Gesichtszügen Frà Giacomos zusammenfügten.
»Mit der Vernunft bin ich im Klagen eins,
Dass liebend ich ein Glück erhofft von dorten,
Und sie beweist mir mit den wahrsten Worten
Die Schande meines Preisgegebenseins.«
Michelangelo hatte diese Worte vor sich hingeflüstert und erkannte überrascht, dass es wie eine Strophe aus einem Gedicht klang. Während er die Worte neben der Zeichnung niederschrieb, hörte er ein Geräusch und sah auf.
Francesco stand in der Tür und hob entschuldigend die Schultern. »Ein Herr will Euch sprechen und lässt sich nicht abweisen!«
Kurz darauf stand er mitten im Zimmer – der Kardinal mit dem Engelsgesicht. Bevor er sich erhob, um den Gast zu begrüßen, drehte er rasch das Blatt mit Giacomos Porträt um.
»Eminenz«, sagte er mit einer Verbeugung und wollte ihm die Hand küssen, aber der Kardinal winkte ab.
»Lasst das ›Eminenz‹ ruhig weg, mir liegt nichts dran. Entschuldigt, dass ich Euch störe, aber wir müssen reden!«
»Nehmt bitte Platz«, sagte Michelangelo, und Giacomo kam der Aufforderung nach. Er ließ sich mit einer solchen Anmut auf dem Lehnstuhl an der Stirnseite des Holztisches nieder, dass Michelangelo ein Schmerz durchfuhr, wie ihn nur der Anblick der Schönheit hervorbrachte.