»Welche Sicherheit habe ich, dass Ihr auch meint, was Ihr sagt?«
»Ihr habt die Wahclass="underline" helft oder lasst es. Gott zum Gruß, mein frommer Bruder.«
Damit stieg Bramante ächzend aus dem Beichtstuhl und ließ einen unschlüssigen Giacomo zurück. Der Dominikaner wusste nicht, was er von dem Angebot dieses Heiden zu halten hatte. Ein Impuls trieb ihn, Bramante zu folgen. Er sah sich nach allen Seiten um, als er durch das Langhaus eilte, entdeckte ihn aber nicht. Dann stieß er die schwere Bronzetüre der Porta Romana auf und trat auf den Innenhof hinaus. Als er im Dämmerlicht neben dem Pinienapfel Bramantes gedrungene Gestalt ausmachte, beschleunigte er seinen Schritt und rief den Namen des Baumeisters. Dieser blieb stehen und wandte sich um. Am liebsten wäre Giacomo gerannt, doch verbot ihm das die Würde des Ortes. Als er endlich die fünfzig Fuß, die ihn von Bramante trennten, überwunden hatte, war seine Entscheidung gefallen.
»Ich bin einverstanden. Aber wenn Ihr mich hintergeht, dann werdet Ihr das bitter bereuen. Sehr bitter. Jeder Teufel würde im Vergleich zu mir barmherzig sein!«
Den letzten Satz hatte Giacomo sehr ruhig, fast geschäftsmäßig ausgesprochen. Fast schien ihm, als sei Bramante unter dem Eindruck seiner Drohung zusammengezuckt. Die beiden Männer standen allein in der Mitte des von einem Kreuzgang umgebenen Atriums der Peterskirche. Aus den Fenstern der Canonica, dem Palazzo des Erzpriesters, und aus dem Vatikanpalast selbst drang Licht in den Hof.
Der Baumeister lächelte breit und legte seine Hand auf den linken Unterarm des Dominikaners, der seine Hände nach Art der Mönche vor dem Körper wechselseitig in die Ärmel der Kutte geschoben hatte.
»Mir liegt selbstverständlich nur das Wohl der Kirche am Herzen«, sagte er und gab sich keine Mühe, seine Heuchelei zu verbergen. Giacomo stockte der Atem, als sein Blick auf den Ring an Bramantes Hand fiel – es war der Ring seines Vaters! Sein Herz fühlte sich an, als sei es mit feurigen Lederriemen gefesselt, stumpf und heiß. Er hatte geahnt, wenn nicht gewusst, dass Bramante den Ring damals bei dem Leichnam Pico della Mirandolas gefunden hatte. Aber das Familienheiligtum an dem dicken, behaarten Finger dieses bulligen Heiden zu sehen verletzte ihn dennoch in tiefster Seele.
»Woher habt Ihr diesen Ring?«, fragte er heiser und so beiläufig wie möglich.
»Von einem, der sich auf dem Weg in den Himmel befand. Aber sein Besitzer war nicht der Sterbende, sondern der, der ihn ermordet hatte«, entgegnete Bramante. »Wisst Ihr etwa, wer es war?«, fügte er mit dem Anflug von Hoffnung in der Stimme hinzu. »Ich suche schon so lange nach diesem Hundsfott!«
»Bedaure, ich kenne den Besitzer des Ringes nicht!«, beeilte sich Giacomo zu beteuern. »Wie kommt Ihr darauf, dass ich einen Mörder kenne?«
Bramante nickte resigniert. »Überlegt einmal, wo Ihr lebt, und dann sagt mir, wie Ihr es fertigbringt, den Mördern aus dem Weg zu gehen. Ich kann es jedenfalls nicht.« Er lachte laut und bitter auf. »Vielleicht seid Ihr ja der einzige Unschuldige im Vatikan. Ihr – und der Papst natürlich.« Damit ließ er den Dominikaner stehen.
In Gedanken versunken, blickte Giacomo ihm lange nach, selbst dann noch, als Bramante längst durch die Porta den Vorhof der alten Basilika verlassen hatte. Dann wandte er sich langsam um und ging zurück in den Petersdom. Der vertraute Anblick der lieben alten Kirche machte ihn wieder etwas ruhiger. Seine Augen hefteten sich auf den von einem Rundbogen gekrönten Tabernakel, der auf zwei kostbaren Säulen ruhte. Wie er ihren Papieren entnommen hatte, glaubten die Fedeli d’Amore, dass die Säulen Boas und Jachin symbolisierten. Welch ein Unfug, brummte er vor sich hin. Dann schaute er auf die vier Evangelisten, die an die Sternseite der Kirche freskiert waren, und verweilte bei der Darstellung des Apostels Johannes. Am Anfang war das Wort, und das Wort wurde Fleisch. Giacomo ertappte sich bei dem Wunsch, dass das Wort besser Wort geblieben wäre, wozu musste es denn unbedingt Fleisch werden? Das ganze Leid, welches die Körper verursachten, hätte Gott den Seelen erspart.
Plötzlich erfasste ihn eine Sehnsucht, die wuchs und so stark wurde, dass er nicht dagegen ankämpfen konnte: Er musste seinen Ring zurückhaben, koste es, was es wolle! Mit einem Mal fühlte er die absurde Hoffnung, dass er dann endlich seinen Seelenfrieden wiederfinden könnte. Er musste den Ring wieder an sich bringen, selbst wenn das bedeutete, ihn samt Finger von der fleischigen Hand des toten Architekten zu hacken! Er erschrak, weil er erkannte, dass er selbst dazu imstande sein würde. Griff der Wahnsinn nach ihm? Er hatte das Gefühl, in einen Sog zu geraten, und suchte vergeblich nach einem Halt. Was war schon dabei, einen Menschen zu töten?, fragte er sich mit fiebrig glänzenden Augen. Er tat doch seiner Seele nichts zuleide, sondern befreite sie nur vom überflüssigen Fleisch, wie der Bildhauer die Skulptur vom Stein. Das Wort konnte wieder Wort werden, wenn es das Fleisch überwand. Das hatte der Apostel Johannes vergessen zu erwähnen. Giacomos Gedanken wirbelten schneller und schneller – wie die tanzenden Derwische im Morgenland.
Ein seltsamer Kerl, dieser junge Erzpriester, dachte Bramante, als er mit großen Schritten den Borgo durchquerte. Er ging über die Piazza Rusticucci, vorbei an der Kirche Santa Caterina, neben der Michelangelo seine Werkstatt betrieb, wie Bramante inzwischen wusste. Von jähem Zorn gepackt, spuckte er aus.
Er befand sich mitten auf der Brücke, die den Borgo mit dem Rione Ponte verband, als ein leichter, aber kühler Nieselregen einsetzte und ihm ein kräftiges »Merda!« entlockte. Wenn er die gegenüberliegende Piazza Agonale erreichte, würde er unmittelbar nach rechts abbiegen und sich in Richtung der Baustelle der deutschen Kirche Santa Maria dell’Anima bewegen, an deren Neubau man seit fünf Jahren eifrig arbeitete. Hinter der Kirche und dem Hospiz der deutschen Rompilger stand sein kleiner Palazzo.
Der feine Regen, den der Nordwind vor sich hertrieb, drang ihm allmählich durch die Kleidung. Bramante beschleunigte seine Schritte, weil er sich zu all dem Ungemach nicht noch einen Schnupfen holen wollte. In keiner anderen Stadt, nur in Rom, war ihm dieses verblüffende Zusammenspiel zwischen dem Wetter, den Menschen und der Architektur aufgefallen. So krank und grau und blass, wie ihm die Menschen in dieser tristen Witterung entgegenkamen, so wirkte auch der Putz der Häuser: kalt, feucht und siech, und genauso gebeugt und gedrückt wie die Leute schien ihm das Mauerwerk zu sein. Manchmal beschlich ihn in letzter Zeit das unbehagliche Gefühl, älter geworden zu sein als die Welt.
20
Rom, Anno Domini 1505
Als Bramante endlich wieder in seine Werkstatt trat, zerstoben die trüben Gedanken wie eine Wolke aus Staub ins Nichts, denn auf seinem Lehnstuhl thronte prächtig wie eine Kaiserin Imperia. Sie trug ein tiefblaues Kleid, das ein verschwenderisches Dekolleté offenbarte, in dem außer ihm auch manch anderer wohl allzu gern versunken wäre. Am liebsten hätte er sich der Geliebten zu Füßen geworfen. Ihr Gesichtsausdruck verriet indessen Unmut und Langeweile. Ja, freilich, sagte er sich, sie hatte auf ihn gewartet. Und das verdross sie. Er zumindest kannte keine Frau, die in der Lage gewesen wäre, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Zum Teufel – auch das liebte er an den Frauen!
»Ich wollte schon wieder gehen, Donato«, teilte sie ihm in vorwurfsvollem Ton mit, eine Entschuldigung und heftige Zerknirschung erwartend. Bramante ging darauf nicht ein, sondern begann sogleich, ihr von dem Gespräch mit dem Dominikaner zu berichten. Und von seiner Idee, die Ausbesserung des Petersdoms in solche Unsummen und lange Zeiträume zu treiben, dass sie das Mausoleum mit der Zeit vergessen machten. Imperia hörte ihm aufmerksam zu, dann bat sie ihn zu schweigen. Sie hatte das Gefühl, dass in Bramantes Idee noch eine viel größere steckte, und sagte, sie wünsche das Ganze noch einmal ordentlich zu begrübeln.