Darüber musste er herzlich lachen. »Ja, soll ich denn den ganzen Petersdom wegreißen und einfach einen neuen bauen?«, rief er übermütig und legte ihr die Hand in den Nacken.
Imperia fiel in seine Heiterkeit nicht ein, sondern schob seine Hand beiseite. »Ja, das sollst du! Das ist es! Das ist das Werk, das auf dich wartet!«, sagte sie ernst.
Bramante starrte sie sprachlos an, als ob sie den Verstand verloren hätte. Plötzlich wurde ihm himmelangst.
»Schweig!«, donnerte er. »Wenn das jemand hört, landen wir beide auf dem Scheiterhaufen, meine feurige Geliebte«, fügte er leise und zärtlich hinzu.
»Wenn dein Herz nicht heißer ist, als es das brennende Reisig unter deinen Füßen wäre, dann pack dich!«, rief Imperia. »Dann hast du schon jetzt gegen Michelangelo Buonarroti verloren. Bist du ein Baumeister oder ein Flickschuster?«
Was konnte ihm ein Autodafé noch anhaben, wenn ihm schon diese Frau so einzuheizen verstand?, dachte Bramante.
Imperia schenkte ihm ein hintergründiges und selbstzufriedenes Lächeln. »Ich will Wein!«
»Giuseppe! Wein!«, brüllte Bramante. Kaum dass er seinen Diener angewiesen hatte, standen auch schon zwei Pokale mit bestem Roten aus der Toskana auf seinem Arbeitstisch. Er fühlte sich innerlich zerrissen. Sein Denken war ein einziger Kampfplatz, auf dem seine Leidenschaft zu bauen und die Liebe zu seinem Leben miteinander fochten. Denn Imperias Idee barg tödliche Risiken.
Vor tausendzweihundert Jahren hatte Kaiser Konstantin über dem Grab des Apostels Petrus die alte Basilika errichten lassen, als Zeichen dafür, dass er zum Christentum übergetreten war und dass dieser neue Glauben von Stund an die Religion des Römischen Reiches war. Seitdem hatte sich das Christentum, den Staatskörper des Imperium Romanum nutzend, über die Welt ausgebreitet. Bramante erinnerte sich, dass Jacopo da Veragine über den Beginn des Baus zu berichten wusste, der Kaiser habe die Kirche über der Begräbnisstelle Petri errichten lassen und dabei sogar selbst Hand angelegt: »Am achten Tage kam der Kaiser in die Kirche Sankt Peters und bekannte da öffentlich seine Sünden mit großer Klage. Danach ergriff er eine Hacke und tat damit den ersten Schlag in die Erde und an die Stelle, da seine Kirche sollte stehen, und trug auf seinen Schultern selbst zwölf Körbe mit Erde daraus.«
Und nun kam er selbst daher, der Sohn eines Bauern vom Monte Asdrualdo, und wollte das Werk eines Weltenherrschers niederreißen, um etwas noch Größeres und Schöneres zu errichten? Das war mehr als anmaßend!
Andererseits befand er sich im Vorteil, denn er lebte. Und er würde nach seinem Tod in das ewige Gedächtnis der Menschheit eingehen: Jeder, der die wichtigste Kirche der Christenheit betreten würde, könnte dies kaum tun, ohne daran erinnert zu werden, dass er es war, Donato di Pascuccio di Antonio, genannt Il Bramante, der den Tempel der Tempel erbaut hatte. Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Wie Gott die Welt erschaffen hatte, so würde er sein Haus errichten!
In diesem Augenblick sah er das Bundesbuch der Fedeli d’Amore vor sich, den Etz Chaim. Der Kreis in der Mitte symbolisierte die Schönheit oder den Stellvertreter, hatte ihm Bonet de Lates erklärt. Damals hatte er geglaubt, dass die Schönheit der Stellvertreter Gottes wäre. Welch folgenschwerer Irrtum!
Die Bedeutung war viel konkreter, viel praktischer, mit Händen zu greifen. Über dem Stellvertreter erhob sich die Schönheit. Und mit dem Stellvertreter war niemand anderes gemeint als der Stellvertreter Christi, nämlich Petrus. Die Schönheit aber wies sowohl auf den Himmel als auch auf die Kuppel hin, und beide waren nur ein Attribut Gottes. Der Gedanke erschien Bramante plötzlich so einfach und so unglaublich, dass er nicht mehr verstand, wie er diese Bedeutung damals hatte übersehen können.
Über dem Grab des Stellvertreters würde er seine Kirche errichten, als Verbindung zum Himmel, zu Gott. Auf der Skizze des Etz Chaim umgaben den Stellvertreter vier Säulen, eine Vierung, die nur eine Kuppel tragen konnten, dazu waren sie ersonnen, eine Kuppel, die zugleich den Himmel darstellen würde. Selbst wenn man in den vier Säulen vier Erzengel sehen wollte, stimmte es, denn die Engel, Helfer Gottes, trugen den Himmel. So lehrte es Dante. Alles hing mit allem zusammen. Beide Interpretationen gingen auf: Vier Erzengel hielten den Himmel wie einen Baldachin über der letzten Ruhestätte des ersten Stellvertreters Christi. Oder vier mächtige Säulen erhoben über den Mittelpunkt der Kirche Gottes die größte Kuppel der Welt.
Noch vor wenigen Tagen hatte sich Bramante mit dem Buch gequält, darin gelesen, etwas geahnt, anderes versucht zu deuten, aber letztlich nichts verstanden, weil er nach Art der Philosophen versucht hatte, die Texte zu deuten. Doch vor ihm lag kein philosophisches Werk, sondern das »Buch der Baumeister«. Und er war ein Baumeister, also musste er es auch als Baumeister lesen. Von einer drückenden Last befreit, brach er in ein lautes Lachen aus, das seinen Körper erbeben ließ und ihm Tränen in die Augen trieb.
»Was ist dir, mein kleiner Vielfraß? Ist alles in Ordnung?«, fragte Imperia besorgt.
»Ja, aber ja«, strahlte er, umarmte sie fest und hob sie hoch, dass ihr Hören und Sehen verging. Sie strampelte mit den Beinen. »Lass mich runter, du verfluchter Kerl!« Aber er dachte nicht daran.
»Was war ich nur für ein Dummkopf!«, rief er immer wieder, während er sich mit ihr im Kreise drehte. »Ich hatte die ganze Zeit die Lösung vor mir und habe sie nicht gesehen. Ich hätte das Buch, das der Jude übersetzt hat, nur wortwörtlich lesen und das Gesagte im Wortsinn verstehen müssen, statt mir den Kopf darüber zu zerbrechen, was es symbolisiert.«
»Da du das jetzt begriffen hast, kannst du mich ja wieder loslassen!«, keuchte Imperia außer Atem.
Er hatte versucht, alles Mögliche in den Text hineinzudeuten, dabei hätte er nur seinen ersten Gedanken über die Vierung und die Kuppel treu bleiben und freilich in dem Stellvertreter nur den Stellvertreter Christi, der unter Sankt Peter begraben lag, erkennen müssen. Wie Rom das neue Jerusalem war, so würde der Petersdom der neue salomonische Tempel werden. Es mochte vermessen sein, aber begann die Hybris nicht bereits damit, den ersten Schrei in dieser Welt aus Dreck und Blut zu tun? Die Selbstüberhebung begann mit dem Ich. Alles Weitere folgte doch nur aus dieser allerersten Tatsache des Lebens. Sicher verbrachten die meisten ihre Zeit auf Erden nur damit, hinter die ungeheure Anmaßung des ersten Schreis wieder zurückzufallen, als würden sie sich dafür entschuldigen. Aber nicht er, nicht Bramante!
Die vielen Jahre, die er mit Bauen und Studieren, mit dem Vermessen der antiken Ruinen und dem Studium ihrer Bauweise zugebracht hatte – würde er all das nicht verleugnen, sich nicht selbst entehren, wenn er in diesem Augenblick zurückwich? Durfte er die Umsterblichkeit nun, da sie sich ihm darbot, vorbeiziehen lassen, anstatt ihren flüchtigen Rockschoß zu ergreifen und nicht mehr loszulassen, bis sie ihn zum ewigen Gedächtnis emporgetragen hätte? Die alten Römer hatten ihre Gräber an den Straßenrändern errichtet, um die Passanten und Reisenden zu nötigen, an sie zu denken. Er hingegen würde sich in der Hauptkirche des Abendlandes verewigen!
Als Bundesbruder der Fedeli, als Nachfolger Dantes und Gefährte Pico della Mirandolas war er dazu verpflichtet, dieses Werk der guten Baukunst zu beginnen, um das Vermächtnis all dieser Männer zu erfüllen. Das hatte er damals in Ravenna in der alten Kirche San Vitale geschworen. Auch wenn der Bund nicht mehr existierte, so lebten doch seine Ideale in ihm weiter. Es nicht zu wagen, würde bedeuten, den großen Dichter und den ermordeten Freund zu verraten.
Ob Bramante jemals den Mörder des Philosophen finden und bestrafen würde, blieb dahingestellt, doch diese Frage verblasste vor der Größe der Aufgabe, die plötzlich vor seinem geistigen Auge erstand. Vermessen und absolut unwiderstehlich zugleich posierte die Idee vor ihm. Ihm schwindelte. Er griff nach dem Weinpokal und leerte ihn in einem Zug.