»Maestro, der Papst schickt mich.«
Michelangelo bat den Kardinal, Platz zu nehmen, und entschuldigte sich dafür, dass er in seiner Werkstatt, wie im ganzen Haus, nur über einfache Holzstühle verfügte.
»Der Herr liebt die Einfachheit«, antwortete der Kardinal mit geschmeidiger Stimme. Aus dem Mund des Mannes, der in ganz Rom für seinen raffinierten Geschmack bekannt war, klangen diese Worte allerdings unfreiwillig komisch. Dieser Eindruck hielt sich nicht, denn Alidosi ließ sich mit einer Grazie auf dem Stuhl nieder, als wäre dieser der kostbarste Sessel der Welt, geschwungen, mit verschwenderisch gepolstertem Sitz und kunstvoll geschnitzter Lehne. Dann eröffnete er dem Bildhauer, dass er ihn in seiner Funktion als Schatzmeister des Heiligen Vaters aufsuche. Julius II. könne kaum erwarten, dass Michelangelo die Arbeit an dem Grabmal aufnähme, und schicke ihm daher die Anzahlung für den benötigten Marmor, den Transport und die Fertigstellung der ersten Figuren. Mit diesen Worten reichte er dem Bildhauer einen Wechsel, der auf die Bardi-Bank ausgestellt war.
Ein Blick auf die stolze Summe verriet Michelangelo, dass er ganz oben in der Achtung angekommen war, denn sie übertraf seine kühnsten Vorstellungen bei Weitem – eintausendsechshundert Dukaten betrachtete der Papst als Anzahlung! Dafür konnte man bei guter Haushaltung zwei Mausoleen errichten und dabei noch vernünftig leben. Doch er ließ sich weder seine Freude noch seine Genugtuung anmerken.
»Hochverehrte Eminenz, bitte richtet unserem geliebten Heiligen Vater aus, dass ich ihn nicht enttäuschen werde und mich nun, da die Anzahlung bei mir eingetroffen ist, sogleich ans Werk mache. Er möchte mich für eine Weile entschuldigen, denn ich werde den Marmor persönlich in den Steinbrüchen aussuchen.«
Michelangelo hatte so gelassen geklungen, als wäre die ungewöhnlich hohe Summe das Selbstverständlichste von der Welt. Er brauchte sich bei dieser kleinen Dreistigkeit nicht sonderlich anzustrengen, denn im Grunde seiner Seele glaubte er sich dieser Entlohnung wert. Nur das Wort Anzahlung hatte er nachdrücklich betont, worüber der Kardinal ein wenig lächeln musste. Als der Schatzmeister des Papstes sich nach einem kleinen belanglosen Gespräch verabschiedet hatte, faltete Michelangelo den Brief an den Vater noch einmal auseinander, nahm die Feder und setzte folgende Sätze hinzu: »Vater, ich bitte Euch, sucht ein gutes Landgut in der Nähe von Florenz, und kauft es in meinem Namen. Das Geld dafür bekommt Ihr von der Bardi-Bank in Florenz, der ich einen Wechsel über sechshundert Dukaten schicke.«
Dann überlegte er: Für sechshundert Dukaten bekäme man ein Gütchen, aber kein Gut. Wenn er geschickt verhandelte und sich einschränkte, musste es gehen. Mit Schwung strich er die Zahl durch und setzte dafür die Summe von tausend Dukaten ein.
Weil er arm war, hatten die Leute in Florenz auf ihn herabgesehen, weil er arm war, hatte er seine große Liebe verloren, weil er arm war, wurde er nicht seinem Rang gemäß als Abkömmling der Grafen von Canossa behandelt. Deshalb wollte er nicht arm bleiben, sondern reich werden. Alles, was man seinen Vorfahren genommen hatte, würde er zurückholen und mehr noch, viel mehr!
22
Rom, Anno Domini 1505
In Rom ging man gewöhnlich zu Fuß. Ein paar heißspornige cavalieri, eilige Boten und forsche Reisende ritten gelegentlich, und Kleriker, die es sich leisten konnten, ließen sich in einer Sänfte tragen. Nur die wirklich Reichen benutzten manchmal eine Kutsche. Dieser bedienten sie sich jedoch nicht einfach, um von einem Ort zum anderen zu gelangen, sondern sie inszenierten stets eine Ausfahrt, die dazu angetan war, ein Ereignis zu werden. Es ging ausschließlich darum, den eigenen Reichtum zur Schau zu stellen und dadurch seinen Stand und sein Ansehen dem staunenden Volke darzubieten. Die Pracht diente als Bannerträger der Macht. Ohne sichtbares Banner geriet auch das beste Heer in Gefahr.
Deshalb gafften die Römer und Römerinnen natürlich der großen Kutsche hinterher, die durch den Straßenkot zum Borgo holperte und von dort wieder über die Brücke bei der Engelsburg zurück, die Piazza Agonale überquerte und rechts in die erste Gasse einbog. In dem kostbaren Gefährt, dessen Holz vergoldet worden war, konnte nur ein sehr besonderer Mensch sitzen. Der Papst? Der Kardinal Riario? Der französische Botschafter oder der Gesandte des Kaisers oder vielleicht sogar eine wirklich geheimnisvolle Berühmtheit wie der Kaiser von China, der Prinz Dschem, der Bruder des Sultans, oder der Priesterkönig Johannes, der weit im Osten ein mysteriöses Königreich beherrschte, wie die Fama ging, die man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte? Wer wusste das schon so genau, die Welt bestand, sah man nur genauer hin, aus Wundern. In ihr gingen nicht wenige Ketzer und Magier, Alchemisten und Astrologen unermüdlich ihrem verbotenen Tun nach. Einige von ihnen sogar in den Häusern von Kardinälen. Solche Gedanken laut zu äußern war allerdings nicht ratsam.
Von Zeit zu Zeit schaute aus der Kutsche eine huldvoll lächelnde Dame, die einen kostbaren Schleier aus Seide trug, so fein, als sei er aus Schmetterlingsflügeln gewebt. Er fiel ihr locker über die Schultern und verdeckte zum Teil das Dekolleté. Um den Hals trug sie eine Kette mit goldeingefassten Edelsteinen, in denen sich beim Schaukeln der Kutsche das Licht der Fackeln spiegelte, die vorn und hinten an der Karosse befestigt waren. Aus ihrem Haar leuchtete eine einzelne große Perle. Die Dame trug ein weißes Gewand mit schwarzen Bändern unter einem lindblauen Überkleid. Durch die geschlitzten Arme sah man, dass der Innenstoff im gleichen Goldton wie die Borten gehalten war.
Die prächtige Kutsche passte kaum in die enge Gasse, und Bramante, den dieser Auftritt ein Vermögen kostete, fürchtete schon, das Gefährt käme derart zwischen den Mauern zu stehen, dass er zum Gespött der anderen Gäste die Tür nicht würde öffnen können. Imperia schien sich keine Gedanken darüber zu machen. Diese Frau, dachte er, würde von ihm verlangen, die störende Mauer einfach wegreißen zu lassen. Wozu war er denn Roms größter Baumeister? Doch der Kutscher hielt das Gefährt geschickt vor dem Eingang des Hofes an, sodass sich die Tür der Kutsche problemlos öffnen ließ, was freilich auch bedeutete, dass der Zugang zu dem Bank- und Wohnhaus des Agostino Chigi für alle anderen Gäste versperrt war. Sie mussten sich gedulden, bis Imperia ausgestiegen und den Cortile dei Chigi betreten hatte. Seine Geschicklichkeit trug dem Kutscher ein warmes Lächeln der Schönen und ein reichliches Trinkgeld des Architekten ein.
Als Bramante dann umständlich aus der Kutsche kletterte, fiel sein Blick auf die kleine Schlange aus Gästen, die sich inzwischen gebildet hatte. Er konnte nicht verstehen, was sie tuschelten, aber der Tonlage nach war es nichts Erfreuliches. Was würde eine Baronin oder ein Bischof auch schon sagen, wenn sie oder er wegen einer Kurtisane warten musste. Bramante kannte diese unverschämten Leute, die glaubten, dass ihre adlige Geburt sie dazu berechtigte, sich als etwas Besseres zu dünken. Ihm gefiel dieser ganze Auftritt nicht. Dann kam ihm ein tröstlicher Gedanke. Im Moment ihres Todes wären diese Leute bereits vergessen, während man von ihm in hundert, in tausend Jahren noch reden würde. In diesem Augenblick liebte er Imperia wieder für ihren Mut, für ihren unbeugsamen Willen. Das war es, was sie verband, dieser unabdingbare Vorsatz, trotz widriger Lebensumstände aufzusteigen. Die Welt begann mit ihnen!
Er trat neben sie und reichte ihr den Arm. Hinter ihnen fuhr die Kutsche ab und machte den Weg frei für die anderen Gäste. Bramante und Imperia schritten durch den länglichen, von Fackeln erleuchteten Hof. Im Eingang des Hauses stand eine Gruppe Bläser, die Weisen von Tromboncino erklingen ließen. Bei der Frottola kam Bramante der Text in den Sinn: »Wenn ich nun nicht zeigen darf das Feuer meiner bittren Qual …« Wie sinnreich, dachte er.