Im Erdgeschoss waren die Stallungen und Geschäftsräume von Chigis Bankenimperium untergebracht. Sie betraten eine gewölbte Halle, von der eine schmale Treppe zum piano nobile, zum Wohnbereich des Bankiers, hinaufführte. Es war bekannt, dass Agostino Chigi nur über beengte Räumlichkeiten verfügte, die sich eigentlich nicht für Feiern eigneten, doch dafür entschädigte die glanzvolle Gesellschaft reichlich. Die ersten Namen Roms waren versammelt, die wichtigsten Leute aus Klerus, Politik, Diplomatie, Aristokratie, Wissenschaft, Literatur und Kunst. Zudem wurden die Sinne der Gäste von vorzüglichen Musikern, erlesenen Speisen und großen Weinen verwöhnt.
Bramante hatte erfahren, dass es bei diesen Räumlichkeiten nicht bleiben würde. Wie ihm seine Informanten zugetragen hatten, hatte Chigi in Trastevere ein Grundstück mit einem alten Palazzo erworben, den er demnächst auszubauen gedachte. Zu Bramantes Leidwesen hatte er einen jungen, noch unbekannten Architekten aus seiner Heimat Siena mit der Planung und Ausführung beauftragt. Baldassare Peruzzi hieß der unerwünschte Konkurrent. Für Bramante kam es inzwischen einer Beleidigung gleich und bedeutete zugleich ein Warnsignal, wenn ein Großauftrag nicht zuallererst ihm angeboten wurde. Schließlich war er es doch, der entschied, ob er einen Auftrag annahm oder ihn an all die Sangallos weitergab. In den gut fünf Jahren, die er nun in Rom weilte, hatte er sich diese beherrschende Stellung auf dem Baumarkt der Ewigen Stadt mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln hart erkämpft.
Der Architekt hatte kaum mit Imperia den ersten Saal des piano nobile betreten, da stürzte auch schon der dicke Kardinal de Medici auf sie zu. Sein liebenswürdiges Lächeln machte sein aufgedunsenes Gesicht vergessen.
»Donato, ich hatte gehofft, Euch hier zu sehen!«
Bramante und Giovanni de Medici verband das Geheimnis, dass sie beide den Fedeli angehörten, auch wenn es den Bund nicht mehr gab.
»Eminenz«, sagte der Architekt und deutete eine Verbeugung an.
Doch der Kardinal hatte sich schon Imperia zugewandt. »Seid gegrüßt, Madonna Imperia.«
Bramante staunte immer wieder über den Sohn des großen Lorenzos. Auf andere Art hässlich als sein Vater, hatte er doch dessen hinreißende Ausstrahlung geerbt. Wenige Worte genügten, und man hatte die plumpe Figur des beleibten Mannes vergessen. Dabei zählte er noch keine dreißig Jahre.
»Verzeiht, Madonna, ich habe nicht vor, Euch zu langweilen, was eine Sünde bedeutete und mir den Fluch und die Maulschellen der Engel einbrächte, aber ich will mit dem teuren Donato über das Bauen sprechen.«
Worüber sonst, dachte der Architekt. Der Kardinal bewohnte einen zwar recht geräumigen, aber eher etwas unbequemen Palazzo im Rione Sant’ Eustachio, in der Nähe der Piazza Navona. Er trug sich ständig mit Umbauplänen, allein, es mangelte ihm am Geld für deren Verwirklichung. Seit der Vertreibung seiner Familie aus Florenz war das Oberhaupt des Hauses Medici auf Schritt und Tritt vom Bankrott bedroht. Als Kardinal war er gezwungen, zu repräsentieren und große Feste zu geben, obwohl ihm die finanziellen Mittel dafür fehlten. Wollte er seine Familie wieder zu altem Glanz bringen und nach Florenz zurückführen, kam er nicht umhin, seine Macht ständig zu erweitern. Ein unverzichtbares Mittel dafür bestand für ihn in der Prachtentfaltung, also darin, verstörend schöne Feste zu geben, über die man sprach, zu denen man sich drängte, eingeladen zu werden, ein verschwenderisches Mäzenatentum an den Tag zu legen und regelmäßig dem popolo mit Wohltaten zu schmeicheln, sodass ihm die Herzen des Volks von Rom gewogen blieben. Ein wahrer Teufelskreis: Was ihn ruinierte, sollte den Ruin abwenden, und doch wäre er, so paradox es klang, tatsächlich schon ruiniert gewesen, wenn er sich nicht ruinieren würde. Wie oft hatte er das Tafelsilber versetzen müssen, von dem seine Gäste doch speisen sollten, nur um das Diner überhaupt ausrichten zu können?
Bramante mochte Giovanni dafür, dass ihn trotz der bedrohlichen Situation nie die gute Laune verließ. Der Kardinal Giovanni de Medici war eine wahre Frohnatur, dabei gebildet und an Kunst und Literatur interessiert wie nur wenige seiner Kollegen. Deshalb ließ sich Bramante auch immer auf eine nutzlose Debatte über den Umbau des Palazzo mit ihm ein. Er spürte, dass ein Gespräch darüber dem ewig klammen Kirchenfürsten die Illusion schenkte, mit dem Projekt zu beginnen, endlich in dieser Angelegenheit tätig zu werden. Außerdem war er der engste Freund des Lieblingsneffen des Papstes, Galeotto della Rovere. Das durfte der Architekt nicht vergessen – um eine Stimmung am Hofe zu erzeugen, musste man sich vieler Stimmen bedienen.
»Oh, lasst euch nicht stören«, hauchte Imperia den beiden zu und bahnte sich den Weg durch den fast überfüllten Saal. Wehmütig schaute Bramante ihr einen Augenblick nach, dann widmete er sich dem Kardinal.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich endlich aus dem Gespräch zurückziehen konnte. Nachdem er mit vielen, denen er nicht auszuweichen vermochte, belanglose, aber wichtige Floskeln gewechselt hatte – die Grundlage seines Geschäfts bestand ja im Sehen und Gesehenwerden, in einer beeindruckend allgegenwärtigen Präsenz –, erreichte er endlich den zweiten Saal, in dem getanzt wurde.
Imperia hatte in der Tat keine Zeit verloren. Sie tanzte eine Pavane, und zwar mit Agostino Chigi. Bramante spürte, wie die Eifersucht ihn durchfuhr. Nicht einmal vorstellen hatte er sie dürfen. Selbst Chigis Bekanntschaft brachte sie ohne seine Hilfe zuwege!
Der Bankier galt als vorbildlicher Ehemann. Bramante hatte nicht das kleinste Gerücht darüber vernommen, dass er sich mit anderen Frauen vergnügte. Und der Architekt gab monatlich sehr viel Geld aus, um über alles, auch über Affären, in Rom unterrichtet zu sein. Sein Blick fiel auf Margarita Saraceni, Chigis Ehefrau, die auf einem hohen, gepolsterten Lehnstuhl saß und den Tanz beobachtete, ohne eine Regung zu verraten. Er trat zu ihr.
»Madonna, darf ich mich zu Euch setzen?«
Sie blickte auf zu ihm und bot ihm mit leicht zitternder Hand einen Platz auf dem Hocker neben ihr an. Stuhl und Hocker waren die einzigen Sitzgelegenheiten im Raum. Auf einem Podest gegenüber standen die Musiker und spielten Flöte, Geige, Laute, Gambe, Tamburin und Posaune.
»Er tanzt gut«, sagte sie mit Bewunderung in der Stimme.
»Ich erinnere mich, dass sie eine großartige Tänzerin sind, Madonna«, schmeichelte ihr Bramante.
»War, mein Freund, war.« Sie schaute ihn prüfend an, dann winkte sie ihn näher heran.
»Schwört, es niemandem zu sagen, alter Freund!«
»Bei meinem Leben!«
»Ich bin krank. Sehr sogar.« Bramante wollte etwas einwenden, aber sie ließ sich nicht unterbrechen. »Manchmal kann ich mich kaum aufrecht halten, dann wieder bewege ich mich so langsam, dass ich dabei einzuschlafen meine, und ich kann weder schnell gehen noch rasch zufassen. Ein Gefühl, als erstarrte ich wie ein Käfer im dicken Honig.«
»Was sagen die Ärzte?«
Sie seufzte leise. »Manche meinen, das Mischungsverhältnis der Säfte stimme nicht, ich hätte zu viel schwarze Galle. Sie wollen mich ständig zur Ader lassen. Die anderen sind ganz im Gegenteil der Meinung, dass ich zu wenig Blut hätte. Ich soll mich ihrer Meinung nach nur von Innereien, vor allem von Leber, ernähren.«
»Und was denkt Ihr, Madonna Margarita?«, fragte Bramante ehrlich betroffen.
»Ich denke, dass sie alle unrecht haben.« Sie legte ihre Hand auf seinen Unterarm, schaute ihn aber nicht an. Er spürte die Überwindung, die sie die Leichtigkeit kostete, mit der sie weitersprach.