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Niemand hätte diesem ebenso liebenswürdigen wie schönen jungen Mann solche inneren Qualen zugetraut. Den meisten erschien er wie der wiedergeborene Adonis, schlank und wohlproportioniert. Sein Gesicht zeichnete sich durch einen äußerst feinen Schnitt aus, den das Leben noch nicht verdorben hatte, obwohl es an Gründen dafür nicht mangelte. Die großen blauen Augen unter der hohen Stirn, die noch nichts trübte, flößten Vertrauen ein und ließen in ihm einen guten Kameraden vermuten, der das Herz auf dem rechten Fleck trug. Er war ein Kleriker, wie ihn sich junge Mädchen und reife Frauen als Beichtvater nur allzu sehr wünschten, die einen aus romantischen Gefühlen, die anderen aus Erfahrung.

Inzwischen hatte Giacomo das eindrucksvolle Hochaltarziborium erreicht. Rechts und links führten Treppen zum Chor hinauf, von dort aus weiter zur Apsis, in deren Scheitel die Cathedra Petri, der Thron des Papstes, stand. Er kniete vor dem Heiligtum nieder, bekreuzigte sich, betete ein Vaterunser, anschließend das Glaubensbekenntnis und bekreuzigte sich erneut. Dann folgte er mit den Augen den vier Säulen, die vom Altartisch nach oben strebten und ein Gebälk hielten, das von einem Tympanon und einer Kuppel gekrönt wurde. Er wandte seinen Blick hoch zu dem Fries des Gebälks, zu der Darstellung des mit dem Kopf nach unten an das grobe Holz genagelten Petrus. Giacomo verstand ihn nur zu gut. Aus Respekt vor dem Herrn, aus dem Wissen über seine Sünden und dem Verrat hatte der Apostel nicht in der gleichen Weise wie der Gottessohn ans Kreuz geschlagen werden wollen, sondern darauf bestanden, dass man seine Qual vermehrte. So wies das Haupt des Petrus auf das Kruzifix auf dem Altartisch hin, aber weiter noch auf die Confessio, auf ein Gitter unter der Altarplatte, das in einen Rundbogen eingelassen war. Es verschloss einen Schacht, der in die Tiefe führte.

Da unten lag er begraben, Petrus selbst, der Fels, über dem sich im wahrsten Sinne des Wortes die Kirche erhob, so wie Jesus es vorausgesagt hatte. Das Grab des ersten Stellvertreters Christi auf Erden war der einzige Grund, weshalb sich die wichtigste Kirche der Christenheit genau an dieser Stelle befand.

Giacomo erhob sich, ging um die Treppe rechts herum und fand auf der schmalen Seite die Tür offen, hinter der sich enge Stufen in die Tiefe wanden. Wie ihm befohlen worden war, stieg er in die Finsternis hinab. Langsam tastete er sich vorwärts. Es ging in eine andere Zeit, in die dunklen Jahrhunderte, in denen man die Christen noch verfolgte und ihnen einen qualvollen Tod bereitete.

Nach und nach drangen aus der Tiefe das Gemurmel von Stimmen und Spuren von Licht zu ihm, auch gewöhnten sich seine Augen immer mehr an das Dunkel. Das warme Gelb von Kerzen wurde mit jedem Schritt in die Tiefe durchdringender. Es kam ihm geradezu entgegen, um ihn abzuholen. Allmählich konnte er die Stufen erkennen. Dann betrat er die niedrige Krypta. Sein Herz klopfte wild, als seine Füße den Boden berührten, auf dem auch die ersten Christen gestanden hatten und auf dem Kaiser Konstantin vor über tausend Jahren den Bau der Basilika befohlen hatte. Voller Ehrfurcht hob Giacomo den Blick.

3

Ravenna, Anno Domini 1492

Die Schergen hatten Bramante in die Knie gezwungen. Einer knöpfte sein Wams auf, dann riss ein Zweiter den Stoff brutal nach hinten herunter, bis das Kleidungsstück wie eine zusätzliche Fessel in Armbeugen und Rücken schnitt. Jemand zerrte auch das Hemd herunter, sodass er mit nackter Brust auf dem Boden kauerte. War das nicht die Art und Weise, fuhr es Bramante durch den Kopf, wie man zum Tode Verurteilte auf ihre Enthauptung vorbereitete?

Plötzlich vernahm er Schritte. Er lauschte angestrengt, es klang, als ob sich Menschen um ihn herum versammelten. Vier oder fünf, schätzte er, es konnten aber auch mehr sein. Der Widerhall der Sohlen deutete darauf hin, dass er es mit vornehmen Personen zu tun hatte, die Stiefel, auf jeden Fall aber Absatzschuhe trugen. Dann hörte er die Stimme eines Mannes, der zunächst seine »Brüder« begrüßte, bevor er sich an ihn wandte.

»Ich frage dich, Donato, was bist du von Beruf?«

Bramante hatte diese Stimme noch nie gehört. Sie klang weich und geschmeidig, die Stimme eines gebildeten Mannes, der es gewohnt war zu sprechen, nicht unbedingt zu befehlen, aber immerhin, Reden vor einem großen Zuhörerkreis zu halten.

»Wer will das wissen?«, gab Bramante barsch zurück. Er fühlte sich gedemütigt, und trotz seiner Furcht begehrte sein Stolz dagegen auf.

»Du hast nur Antworten zu geben, nicht aber Fragen zu stellen«, erwiderte der Unbekannte ruhig.

»Und wenn ich mich weigere?« Bramante war entschlossen, aufs Ganze zu gehen.

»Dann bist du des Todes«, stellte der andere nüchtern fest. Dann schwieg er und ließ den Satz auf den Baumeister wirken.

Bramante wusste nicht, was er davon zu halten hatte und wie ernst es den Männern war, in deren Gewalt er sich befand. Quälend lange zog sich das Schweigen hin, bevor der Unbekannte wieder das Wort ergriff. Er klang eine Spur versöhnlicher.

»Das war ein schlechter Anfang. Beginnen wir also noch einmaclass="underline" Was bist du von Beruf?«

»Maler und Baumeister.«

»Bist du bereit, Liebe in die Welt zu bringen?«

Bramante verstand die Frage nicht, oder besser, es war ihm unerfindlich, weshalb das eine Frage sein konnte. Gegen das lustvolle Spiel des Tieres mit den vier Armen, vier Beinen und zwei Rücken hatte er noch nie etwas einzuwenden gehabt. Doch bevor er antworten konnte, sprach der Fremde eine Warnung aus.

»Denk gut über die Frage nach. Es geht nicht um die geschlechtliche Vereinigung, es geht um das Einswerden der Seele mit Gott.«

Ach, daher pfiff der Wind, dachte Bramante, und bejahte die Frage dennoch. Es konnte ja nicht schaden, wenn die Seele Gott liebte, solange das nicht die andere Liebe ausschloss. Allmählich schöpfte er wieder Hoffnung. All das erinnerte weniger an ein Opferritual als an eine Aufnahmezeremonie. Doch er würde wachsam bleiben müssen. Er wartete gespannt darauf, was als Nächstes geschah.

»Bist du bereit, von den Alten zu lernen, um die Welt durch deine Kunst zu verbessern?«

Das klang schon besser und vor allem konkreter.

»Ja, das bin ich.«

»Bist du bereit, Hiram zu ehren?«

»Ja, das bin ich!«

»Und auch Pythagoras?«

»Ja.«

»Und auch Platon?«

»Ja.«

»Und auch Vitruv?«

»Ja.«

»Bist du bereit, der gotischen Manier und der scholastischen Philosophie abzuschwören?«

»Der ersten mit Freuden, der zweiten, wenn ich wüsste, was das ist«, sagte Bramante und brachte ein entschuldigendes Lächeln zustande.

»So höre denn! Nicht Päpste, Kardinäle und Fürsten bessern die Welt und läutern die Seelen, nur wir Philosophen, Künstler und Baumeister, die wir einer alten Bruderschaft angehören. Dem Seher Johannes sind wir verpflichtet, denn es heißt bei ihm: ›Und er maß ihre Mauer: hundertvierundvierzig Ellen nach Menschenmaß, das der Engel gebrauchte. Und ihr Mauerwerk war aus Jaspis und die Stadt aus reinem Gold, gleich reinem Glas.‹

Gottvater, der höchste Baumeister, hat die Stadt, die die Welt ist, nach den Gesetzen der Liebe und der verborgenen Weisheit geschaffen. Den Menschen hat er in die Mitte der Welt gesetzt, damit er sich von dort aus bequemer umsehen kann, was es auf Erden gibt. Gott sprach zum Menschen: ›Weder haben wir dich himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich geschaffen, damit du wie dein eigener, in Ehre frei entscheidender, schöpferischer Bildhauer, dich selbst zu der Gestalt ausformst, die du bevorzugst. Du kannst zum Niedrigen, zum Tierischen entarten; du kannst aber auch zum Höheren, zum Göttlichen wiedergeboren werden, wenn deine Seele es beschließt.‹