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Mit achtzehn Jahren hatte Le-U einen Gelehrten ersten Grades geheirathet, der an dem berühmten Sse-Khu-Tsuane-Chu1 mitarbeitete. Der würdige Mann war noch einmal so alt wie sie und starb schon im dritten Jahre dieser etwas unpassenden Ehe.

Die junge Witwe stand also mit einundzwanzig Jahren allein in der Welt. Kin-Fo sah dieselbe bei Gelegenheit einer Reise, die er zu jener Zeit nach Peking machte. Wang kannte die liebenswürdige Person schon von früher her und suchte die Aufmerksamkeit seines theilnahmlosen Schülers auf sie zu lenken. Kin-Fo befreundete sich nach und nach mit dem Gedanken, seine bisherige Lebensweise aufzugeben und die junge Witwe heimzuführen. Le-U zeigte sich nicht unempfindlich gegen diesen Antrag. Jetzt sollte die Hochzeit, welche zur größten Befriedigung des Philosophen wirklich festgestellt worden war, gefeiert werden, sobald Kin-Fo, nach Anordnung alles Nothwendigen in Shang-Haï, nach Peking zurückkommen würde.

Im Himmlischen Reiche ist es nicht gebräuchlich, daß sich Witwen zum zweiten Male verheirathen, nicht etwa, daß sie das nicht ebensogut wünschten wie ihre in gleicher Lage befindlichen Schwestern im Abendlande, aber weil sie wenig Männer finden, welche auf eine Witwe reflectiren. Wenn Kin-Fo von dieser Regel eine Ausnahme machte, so kam es eben daher, daß er überhaupt seine eigenen Wege zu gehen liebte. Vermählte sich Le-U wieder, so begab sie sich damit freiwillig des Rechtes, unter den »Pae-lus« hinweg gehen zu dürfen, jenen Denkmälern, welche mancher Kaiser zu Ehren der ihren verstorbenen Ehemännern treu verbliebenen Frauen errichten ließ: wie z.B. die Witwe Soung, die niemals zum Verlassen des Grabes ihres verewigten Mannes zu bewegen war, die Witwe Kung-Kiang, die sich beim Tode ihrer stärkeren Hälfte einen Arm zerbrach, oder die Witwe Yen-Tchiang, welche sich aus Schmerz das hübsche Gesicht völlig entstellte. Le-U glaubte aber bei ihren einundzwanzig Jahren noch etwas besseres anfangen zu können. Sie entschloß sich, das unterwürfige Leben noch einmal zu beginnen, zu dem die chinesische Sitte jede Frau verdammt, auf die Dinge der Außenwelt zu verzichten und sich den Vorschriften des Buches »Li-nun«, das von den häuslichen Tugenden handelt, ebenso getreulich zu unterwerfen, wie denen des Buches »Nei-tse-pien« über die ehelichen Pflichten, um endlich jene Achtung wieder zu erwerben, welche in den höheren Gesellschaftsclassen die Gattin stets genießt, während es eine gänzlich falsche Vorstellung ist, zu glauben, daß sie ein Leben gleich einer Sklavin führe. Die intelligente, wohlunterrichtete Le-U, die recht gut wußte, welche Aufgabe ihr in dem Hause des reichen Sonderlings bevorstand, und danach strebte, ihm den Beweis zu liefern, daß es ein Glück auch schon hienieden gebe, ergab sich also nicht ungern dem ihr zugefallenen Lose.

Bei seinem Ableben hatte der Gelehrte die junge Witwe zwar in gesicherten, aber doch nur mittelmäßigen Umständen zurückgelassen. Das Haus in der Cha-Chua-Allee war nur ein bescheidenes Besitzthum. Die unausstehliche Nan schaltete hier als einzige Dienerin; Le-U hatte sich jedoch allzu sehr an ihre unangenehmen Manieren gewöhnt, welche übrigens bei den chinesischen weiblichen Dienstboten gar nichts seltenes sind.

In ihrem Boudoir hielt sich die junge Frau mit besonderer Vorliebe auf. Dessen Ausstattung wäre ohne die reichen Geschenke, welche seit zwei Monaten in kurzen Zwischenräumen eintrafen, eine einfache zu nennen gewesen. An den Wänden hingen einige Bilder unter Anderem ein Meisterwerk des alten Malers Huan-Tse-Neu,2 das die Aufmerksamkeit jedes Kenners erregt hätte, zwischen grünen Pferden, violetten Hunden und blauen Bäumen von jüngeren einheimischen Meistern. Auf einem lackirten Tische lagen, wie ungeheure Schmetterlinge mit ausgebreiteten Flügeln, viele Fächer aus der berühmten Schule von Swatow. Aus schwebenden Porzellanvasen hingen lange, zierliche Guirlanden von künstlichen Blumen herab, die aus dem Marke der »Arabia papyfera« von Formosa so prächtig hergestellt werden, und die mit den weißen Nymphäen, dem gelben Chrysanthemum und den rothen Lilien wetteiferten, welche sich aus hölzernen, kunstreuh geschnitzten Blumenständern erhoben. Ueber das Ganze drang durch die Bambus-Jalousien der, Fenster nur ein gedämpftes Licht, dessen einzelne Strahlen gleichsam zerlegt erschienen. Ein prächtiger Ofenschirm aus großen Sperberfedern, die sinnreich angeordnet mit ihren helleren Stellen eine große Päonie bildeten – das Emblem der Schönheit im Reiche der Blumen – zwei Volièren in Form von Pagoden, wahrhafte Kaleidoskope durch die glänzenden, darin umherflatternden Vögel Indiens, einige »Tiemaols«, das sind Aeolsharfen, deren Glasstränge im sanften Luftzuge erklangen, und tausend Kleinigkeiten, die sie an den abwesenden Geber erinnerten, vervollständigten die eigenartige Ausstattung dieses Raumes.

»Noch kein Brief, Nan?

– Nein, Madame, noch immer keiner!«

Die junge Le-U war wirklich eine reizende, Frau Hübsch von Gesicht selbst vor dem Urtheil europäischer Augen, weiß und nicht gelb, wie ihre Landsmänninnen, erhoben sich ihre sanften Augen kaum nach den Schläfen, zierten sie dunkle volle Haare, welche grüne Malachitnadeln zusammenhielten, kleine weiße Zähne und regelmäßige Augenbrauen, denen sie kaum mit ein wenig seiner, chinesischer Tusche nachgeholfen hatte. Sie färbte ihre Wangen weder mit Honigmilch noch mit spanischem Weiß, wie es die Schönheiten des Himmlischen Reiches zu thun pflegen, malte keinen Carminstreifen um die Unterlippe oder einen kleinen verticalen Strich zwischen die Augen, noch gebrauchte sie irgend ein Schminkpflästerchen, für welche der kaiserliche Hof jährlich zehn Millionen Sapeken ausgiebt. Die junge Witwe bedurfte solcher Hilfsmittel nicht. Sie verließ ihr Haus an der Cha-Chua-Allee nur selten und verachtete die entstellende Maskirung, der sich die chinesischen Frauen bedienen, wenn sie sich auf die Straße begeben.

In der Kleidung hielt sich Le-U so einfach als möglich und trug sich doch stets höchst elegant. Ein langes, vierfach geschlitztes und mit breitem gestickten Rande umsäumtes Oberkleid, darunter einen faltigen Rock, der an der Taille mit golddurchwirkter Borte festgehalten wurde, am Gürtel befestigte Beinkleider, die an den seidenen Strümpfen zusammengeknüpft waren, reich mit Perlen verzierte Pantoffeln, kurz, es fehlte der jungen Witwe nichts, wenn man dazu bemerkt, daß sie kleine seine Händchen hatte und ihre langen und rosenrothen Nägel sorgsam in kleinen silbernen und sein ciselirten Fingerhütchen pflegte.

Und ihre Füße? Nun, diese waren klein, doch nicht in Folge der gebräuchlichen barbarischen Gewohnheit, welche sich zum Glück mehr und mehr zu verlieren scheint, sondern weil die Natur sie so geschaffen hatte. Die erwähnte grausame Mode besteht schon seit siebenhundert Jahren und verdankt ihren Ursprung wahrscheinlich einer von Natur verstümmelten Prinzessin. Das Verfahren dabei ist sehr einfach, indem die Mittelfußknochen nach unten zusammengebogen werden, während der Fersenknochen intact bleibt, wodurch der Fuß zu einer Art Klumpen verunstaltet wird, der das Gehen fast ganz verhindert, zur Blutarmuth Veranlassung giebt, und für welche Verunstaltung wahrscheinlich keine andere Ursache zu entdecken ist, als die Eifersucht der Ehemänner. Jetzt läßt man, seit dem Einfall der Tataren, allmälich von dieser Mode. Unter zehn Chinesinnen finden sich heutzutage schon kaum noch drei, welche im zartesten Alter dieser schmerzhaften Operation unterworfen worden wären, die jene Formenveränderung des Fußes zur Folge hat.

»Es ist ganz unmöglich, daß heute kein Brief ankommen sollte! sagte Le-U noch einmal. Sieh’ doch einmal nach, alte Mutter.

– Ist schon geschehen!« antwortete Mamsell Nan schnippisch und ging murmelnd aus dem Zimmer.

Le-U wollte zum Zeitvertreib ein wenig arbeiten. Auch dabei mußte sie ja an Kin-Fo denken, denn sie stickte ihm ein Paar Strümpfe, deren Herstellung jeder chinesischen Frau, sie mag einer Gesellschaftsclasse angehören, welcher sie wolle, stets überlassen ist. Bald fiel ihr aber die Arbeit aus den Händen. Sie erhob sich, nahm aus einem Behälter einige Wassermelonen, welche sie mit den kleinen Zähnen brach, und schlug dann ein Buch auf, den »Nushun«, den Codex von Vorschriften, den jede rechtschaffene Frau tagtäglich ein Weilchen durchlesen muß.