»Herr Bidulph?« fragte der Eintretende.
William J. Bidulph war bei der Hand, »in Person«, wie der Photograph, der allein arbeitet, stets dem Publikum zu Diensten bereit ist – ein Mann von vierzig Jahren in tadelloser schwarzer Kleidung mit weißer Cravate und bis auf den Schnurrbart ein ganzer Amerikaner.
»Mit wem hab’ ich die Ehre? fragte William J. Bidulph.
– Mein Name ist Kin-Fo aus Shang-Haï.
– Ah, Herr Kin-Fo, einer der Clienten der »Hundertjährigen«, Police Nummer 27.200….
– Ganz richtig.
– Es würde mich ungemein freuen, Ihnen zu Diensten sein zu können.
– Ich möchte Sie unter vier Augen sprechen!« antwortete Kin-Fo.
Die Verhandlung zwischen den beiden Männern ging um so leichter von statten, als William J. Bidulph ebensogut chinesisch sprach, wie Kin-Fo englisch.
Der reiche Client wurde also mit der ihm gebührenden Zuvorkommenheit in ein Nebencabinet geführt, das mit dicken Tapeten geschmückt und mit Doppelthüren versehen war, wo man über den Umsturz der Dynastie der Tsing ruhig hätte verhandeln können, ohne Gefahr, von den seinen Ohren der Tipaos des Himmlischen Reiches gehört zu werden.
»Mein Herr, begann Kin-Fo, als sich Beide im Schaukelstuhle vor einem mit Gas geheizten Kamin niedergelassen hatten, ich wünschte mit Ihrer Gesellschaft zu verhandeln, um im Falle meines Todes, die Auszahlung eines Capitals, dessen Höhe sofort bestimmt werden soll, zu erlangen.
– O, die einfachste Sache von der Welt, antwortete William J. Bidulph; zwei Unterschriften, die Ihrige und die meinige unter einem Policebogen, und die Versicherung ist, bis auf Erfüllung einiger unwesentlicher Formalitäten, abgeschlossen. Doch, Sie erlauben mir eine Frage…. Sie haben doch den Wunsch, nur in sehr hohem Alter zu sterben, der ja übrigens ein sehr natürlicher ist?
– Warum? fragte Kin-Fo. Gewöhnlich deutet der Abschluß einer Lebensversicherung doch weit mehr darauf hin, daß man eher einen frühzeitigen Tod befürchtet…
– O, mein Herr, erwiderte William J. Bidulph ganz ernsthaft, von einer solchen Furcht kann bei den Clienten der »Hundertjährigen« nicht die Rede sein! Sagt das nicht schon der Name unserer Gesellschaft? Glauben Sie sicher, man erwirbt sich hier die gesicherte Aussicht auf ein sehr langes Leben! Ich bitte um Verzeihung, aber es ist sehr selten, daß unsere Versicherten nicht das hundertste Lebensjahr überschreiten… sehr… sehr selten!… In deren Interesse sollten wir allerdings ihr Leben abzukürzen suchen! Eben aus genannter Ursache erfreut sich ja unsere Gesellschaft einer so hohen Blüthe. Nein, ich wiederhole Ihnen, mein Herr, wer sich in der »Hundertjährigen« einkauft, gewinnt damit fast die Gewißheit, selbst ein solcher Hundertjähriger zu werden!
– So!« bemerkte Kin-Fo gelassen, indem er William J. Bidulph mit frostigen Blicken musterte.
Der Generalagent, der so ernsthaft sprach wie ein Minister, hatte aber gar nicht das Aussehen, als könne er jemals scherzen.
»Sei dem, wie ihm wolle, fuhr Kin-Fo nach kurzer Unterbrechung fort, ich möchte mich mit 200.000 Dollars versichern.
– Ganz recht! Wir sagen also für ein Capital von 200.000 Dollars!« antwortete William J. Bidulph ebenso ruhig.
Und er notirte die Zahl in seinem Buche, als hätte es sich um zehn Dollars gehandelt.
»Es ist Ihnen bekannt, fügte er hinzu, daß die Versicherung erlischt und die bezahlten Prämien, ohne Rücksicht auf deren Betrag, der Gesellschaft verfallen, wenn die Person, auf deren Kopf die Versicherung lautet, durch die That des über die stattgefundene Versicherung unterrichteten Erbberechtigten um’s Leben kommt?
– Das weiß ich.
– Und welche Risiken gedenken Sie zu versichern, geehrter Herr?
– Alle.
– Die Gefahren der Reise zu Land und Wasser und auch die eines Aufenthaltes außerhalb der Grenzen des Himmlischen Reiches?
– Ja.
– Das Risico eines gerichtlichen Todesurtheils.
– Gewiß.
– Das eines Zweikampfes?
– Ebenso.
– Das Risico des Militärdienstes?
– Ja wohl.
– Dann wird die Prämie aber ziemlich hoch ausfallen?
– Mag sein, ich bezahle sie.
– Wie Sie wünschen.
– Aber, begann Kin-Fo, es giebt ja noch ein Risico, von dem Sie kein Wort erwähnen.
– Und das wäre?
– Der Selbstmord; ich glaubte, die Statuten der »Hundertjährigen« ließen auch eine Versicherung hiergegen zu.
– Ei freilich, mein Herr, ganz gewiß, antwortete William J. Bidulph, der sich schon die Hände rieb. Das ist sogar unsere reichste Einnahmequelle. Sie begreifen, daß unsere Clienten gewöhnlich Leute sind, die gar sehr am Leben hängen, und gerade Diejenigen, welche sich aus übergroßer Vorsicht auch gegen Selbstmord versichern, legen so gut wie niemals Hand an sich.
– Das gilt mir gleich, antwortete Kin-Fo. Aus persönlichen Gründen will ich mich auch gegen dieses Risico sicher stellen.
– Ganz nach Wunsch; doch steigt damit natürlich auch die Prämie beträchtlich.
– Ich wiederhole Ihnen, daß ich bezahlen werde, was Sie fordern.
– Einverstanden. – Wir sagen also, murmelte William J. Bidulph, der seine Notizen vervollständigte, gegen das Risico der See-und Landgefahren, des Selbstmordes…
– Nun, und was habe ich in diesem Falle an Prämie zu entrichten? fragte Kin-Fo.
– Mein lieber Herr, antwortete der Generalagent, unsere Prämien sind mit mathematischer Genauigkeit berechnet, was unsere Gesellschaft ruhmvoll auszeichnet. Sie beruhen nicht mehr, wie das früher der Fall war, auf den Sterblichkeitstafeln von Deparcieux… ah, kennen Sie Deparcieux?
– Nein, ich kenne Deparcieux nicht.
– Ein hervorragender Statistiker, aber schon alt… so alt, daß er sogar schon gestorben ist. Zur Zeit als er seine weltbekannten Tafeln veröffentlichte, welche noch den meisten europäischen Gesellschaften als Unterlage dienen, war die mittlere Lebensdauer eine kürzere als heute – eine Folge des allseitigen Fortschreitens der Menschheit. Wir dagegen nehmen also eine höhere mittlere Lebensdauer an und bieten den Versicherten, der eine geringere Prämie bezahlt und länger lebt, unleugbare Vortheile.
– Wie hoch beläuft sich meine Prämie? fragte Kin-Fo noch einmal, in der Absicht, den wortreichen Agenten, der keine Gelegenheit vorübergehen ließ, ohne das Lob der »Hundertjährigen« mit vollen Backen zu preisen, endlich zum Schweigen zu bringen.
– Zur Beantwortung dieser Frage, mein Herr, muß ich mir die indiscrete Frage erlauben: Wie alt sind Sie jetzt?
– Einunddreißig Jahre.
– Nun dann, bei jeder anderen Gesellschaft würden Sie in einem Alter von einunddreißig Jahren, wenn es sich nur um Versicherung der gewöhnlichen Risiken handelte, zwei und dreiundachtzig Hundertel Procent entrichten müssen. Bei der »Hundertjährigen« beträgt die Prämie nur zwei und sieben Zehntel Procent, das ergiebt für ein Capital von 200.000 Dollars jährlich fünftausendvierhundert Dollars.
– Und unter den von mir gestellten Bedingungen? warf Kin-Fo ein.
– Bei Versicherung gegen jederlei Gefahr, inclusive des Selbstmordes?…
– Vorzüglich des Selbstmordes.
– Ja, mein Herr, fuhr William J. Bidulph in liebenswürdigem Tone fort, nachdem er die letzte Seite seines Notizbuches nachgeschlagen, in diesem Falle können wir es nicht unter fünfundzwanzig Procent thun.