Der Chinese besitzt sozusagen nur einen passiven Muth, diesen aber in hohem Grade. Seine Gleichgiltigkeit gegen den Tod ist wahrhaft erstaunlich. Ist er krank, so sieht er ihn ohne Anwandlung von Schwäche herannahen; als Verurtheilter zeigt er selbst unter der Hand des Henkers keine Furcht. Die so häufigen öffentlichen Hinrichtungen, der Anblick der entsetzlichen Strafen, welche das Gesetzbuch des Himmlischen Reiches vorschreibt, haben den Sohn des Himmels beizeiten an den Gedanken gewöhnt, die Freuden dieser Welt ohne Bedauern zu missen.
Hiernach wird man auch weniger erstaunen, in allen Familien fast tagtäglich eine Unterhaltung über den Tod mit anzuhören. Er steht hier keinem Ereignisse des Lebens fremd gegenüber. Der Cultus der Vorfahren findet sich selbst bei den ärmsten Leuten pietätvoll entwickelt. Es giebt kein reiches Haus, wo man nicht einen Raum als Familien-Heiligthum reservirte, keine elende Hütte, in der nicht ein Winkel den Reliquien der Ahnen vorbehalten wäre, für welche jeden zweiten Monat besondere Feste gefeiert werden. Eben deshalb findet man z.B. auch in denselben Läden, in denen etwa Bettchen für Neugeborne und Heirathskörbe verkauft werden, eine große Auswahl fertiger Särge als stehenden Handelsartikel.
Der Einkauf eines Sarges ist eine der wichtigsten Aufgaben der Kinder des Himmels. Man würde die Ausstattung eines Hauses für unvollständig halten, wenn ihr das letzte Ruhebett abginge. Der Sohn hält es für Pflicht, dasselbe seinem Vater bei Lebzeiten darzubieten, was als rührendes Zeichen zärtlicher Liebe betrachtet wird. Dieses »Möbel« findet dann seinen Platz in einem besonderen Raume. Man schmückt dasselbe, hält es in bestem Stand und bewahrt es oft noch, nachdem es sterbliche Ueberreste aufgenommen hat, lange Jahre hindurch mit zärtlicher Sorgfalt. Mit einem Wort, die Achtung vor den Todten bildet einen Grundzug der chinesischen Religion und trägt sehr wesentlich dazu bei, die Bande der Familie auf’s engste zu verknüpfen.
Dank seinem Temperament, wußte Kin-Fo sich mit dem Gedanken, seinen Tagen ein Ziel zu setzen, also in größter Ruhe zu befreunden. Er hatte ja die Zukunft zweier Wesen, die ihm theuer waren, sichergestellt. Was blieb ihm nun noch zu bedauern übrig? Nichts. Ein Selbstmord konnte ihm keinerlei Gewissensbisse verursachen. Was in den civilisirten Ländern des Occidents als Verbrechen erscheint, ist inmitten dieser eigenthümlichen Civilisation des östlichen Asiens ein ganz gerechtfertigter Act.
Kin-Fo’s Entschluß war also gefaßt, und nichts wäre im Stande gewesen, ihn von dessen Ausführung abzuhalten, nicht einmal der Einspruch des Philosophen Wang.
Uebrigens wußte dieser ja zunächst kein Sterbenswörtchen von den Absichten seines Schülers. Auch Soun befand sich in derselben Lage und hatte seit Kin-Fo’s Rückkehr nur die eine Beobachtung gemacht, daß dieser gegen seine täglichen Dummheiten etwas weniger empfindlich schien.
Jedenfalls stand Soun sich dabei sehr gut; ja, er konnte sich keinen besseren Herrn wünschen, und jetzt wackelte der kostbare Zopf in aller Sicherheit auf seinem breiten Rücken.
Ein chinesisches Sprichwort sagt:
»Um auf Erden glücklich zu sein, muß man in Canton leben und in Lian-Tcheu sterben.«
In der That bot Canton die meisten Annehmlichkeiten des Lebens und in Lian-Tchen verfertigte man die besten und schönsten Särge.
Kin-Fo unterließ natürlich nicht, seine Bestellung bei dem besten Hause zu machen, so daß das letzte Bett für ihn rechtzeitig eintreffen mußte. Für jeden Sohn des Himmlischen Reiches, der zu leben versteht, ist es ja stets eine Hauptaufgabe, dafür zu sorgen, daß für seinen ewigen Schlaf Alles bestens und vorschriftsmäßig bereit ist.
Gleichzeitig kaufte Kin-Fo einen weißen Hahn, von dem bekannt ist, daß er die entschwebenden Geister in sich aufnimmt und dabei eines der sieben Elemente erhascht, aus denen die chinesische Seele besteht.
Man erkennt hieraus, daß der Schüler des Philosophen Wang sich zwar sehr gleichgiltig gegen alle irdischen Dinge verhielt, aber auf Alles, was seinen Tod betraf, hohen Werth legte.
Nachdem das geschehen, hatte er also nur noch die Einzelheiten seines Begräbnisses festzustellen. Noch am nämlichen Tage vertraute er einem Blatte Papier – sogenanntem Reispapier, mit dessen Zusammensetzung der Reis nicht das Geringste zu thun hat – seinen letzten Willen an.
Zunächst schrieb er der jungen Witwe sein Haus in Shang-Haï zu, Wang aber ein Porträt des Kaisers Taï-Ping, das der Philosoph ein und alle Tage mit größtem Wohlgefallen betrachtete – natürlich unbeschadet der bei der »Hundertjährigen« versicherten Capitalien – und bestimmte dann in größter Seelenruhe die Reihenfolge der Personen, die an seinem Leichenzuge theilnehmen sollten.
Da er keine Angehörigen hatte, sollte ein Theil der ihm noch verbliebenen, Freunde in weißer Kleidung, das ist in der im Himmlischen Reiche gebräuchlichen, Farbe der Trauer, die Spitze des Zuges bilden. Längs der Straßen und bis zu dem, auf dem Friedhofe von Shang-Haï schon längst hergestellten Grabe sollte eine doppelte Reihe von Leichendienern Spalier bilden und dabei verschiedene Attribute tragen, wie blaue Sonnenschirme, Hellebarden, Scepter mit einer Hand am oberen Theile, seidene Schirme und Tafeln mit der eingehenden Beschreibung der Feierlichkeit, diese Leute aber bekleidet mit schwarzem Oberrock und weißem Gürtel und bedeckt mit schwarzem Filzhut mit rother Aigrette. Hinter der Gruppe der, Freunde sollte ein Führer, scharlachroth von dem Kopf bis zu den Füßen, gehen und den Gong anschlagen, nach ihm aber ein Wagen fahren, der in einer Art Reliquienschrein das Bild des Entseelten enthielt Hierauf würde eine zweite Gruppe Freunde zu folgen haben; nämlich Diejenigen, welche der Reihe nach auf besonders dazu bereiteten Kissen in Ohnmacht zu fallen hatten. Endlich sollte sich ein Zug junger Leute unter einem großen, blau und goldenen Thronhimmel anschließen, denen die Aufgabe zufiel, kleine weiße und so wie die Sapeken mit einem Loche versehene Papierstückchen auszustreuen, welche dazu bestimmt waren, die bösen Geister zu vertreiben, die sich dem Aufzuge etwa anzuschließen versuchen könnten.
Hierauf sollte der Katafalk folgen, überdacht von einem ungeheuren Palankin von violetter Seide mit Goldtroddeln, den fünfzig Diener inmitten einer Doppelreihe von Bonzen auf den Schultern zu tragen hatten. Die in grauen, rothen und gelben Gewändern einhergehenden Priester sollten dabei abwechselnd mit dem Donner der Gongs, dem Heulen der Flöten und den rauschenden Tönen der sechs Fuß langen Trompeten die letzten Gebete absingen.
Hinter dem Katafalk sollten weiß überzogene Trauerwagen diesen pompösen Aufzug abschließen, dessen Unkosten die letzten Schätze des reichen Verstorbenen gerade aufzehrten.
Dieses Programm nun enthielt immerhin nicht etwa etwas so Außergewöhnliches. Durch die Straßen von Canton, Shang-Haï oder Peking bewegten sich gar nicht so selten derartige Trauerzüge, in denen die Bewohner des Reiches der Mitte nichts Anderes sahen als eine ganz natürliche, den sterblichen Ueberresten des Verblichenen dargebrachte Huldigung.
Am 20. desselben Monats traf eine aus Lian-Tchen abgesendete große Kiste unter Kin-Fo’s Adresse in dessen Wohnung zu Shang-Haï ein. Sie enthielt den sorgfältig verpackten Sarg des Adressaten. Weder Wang noch Soun oder ein anderer Diener in dem Yamen fanden darin etwas Absonderliches, denn wie gesagt, hält jeder Chinese streng darauf, die Truhe, in welcher er den ewigen Schlaf zu thun gedenkt, schon bei Lebzeiten zu besitzen.
Dieser Sarg, übrigens ein Meisterwerk des Fabrikanten in Lian-Tcheu, wurde im »Ahnen«-Zimmer des Hauses untergebracht. Dort hätte er wohl, geschmückt, eingesalbt und angeräuchert, lange Zeit rasten können, ehe der Tag zu erwarten war, an dem ihn der Schüler des Philosophen Wang selbst nöthig hatte…. dem sollte aber nicht so sein. Kin-Fo’s Tage waren gezählt und die Stunde ziemlich nahe, mit der auch er in die Reihe der Vorfahren der Familie eintreten sollte.