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Die drei Verfolger flogen hinter ihm drein, vermochten ihm aber nicht näher zu kommen, im Gegentheile schien der Flüchtling mehr Distanz zu gewinnen.

Ein halbes Dutzend Chinesen folgten wieder Kin-Fo, und außer diesen noch mehrere Tipaos, die einen Mann, der so eilig dahinlief, unwillkürlich für einen Missethäter halten mußten.

Ein sonderbares Schauspiel, diese keuchende, schreiende, heulende Gruppe dahinstürmen zu sehen, der sich unterwegs mehr und mehr freiwillige Theilnehmer anschlossen. In der Umgebung des Bänkelsängers hatte man sehr wohl gehört, das Kin-Fo den Namen Wang aussprach. Zum Glück nannte der Philosoph nicht den seines früheren Schülers, denn gewiß hätte sich dann die ganze Stadt an die Sohlen eines so berühmten Mannes geheftet. Aber auch der Name Wang’s reichte schon hin, Alles in Bewegung zu setzen. Das war ja die räthselhafte Person, für deren Entdeckung eine so bedeutende Belohnung in Aussicht stand. Jedes Kind wußte davon. Wenn Kin-Fo in diesem Augenblicke also seinem Vermögen von 800.000 Dollars nachlief, so verfolgten Craig-Fry die versicherten 200.000 Dollars im Interesse ihrer Gesellschaft und suchten die Uebrigen die ausgesetzte Belohnung von 2000 Dollars zu erhaschen, gewiß Grund genug, um aller Welt flinke Beine zu machen.

»Wang! Wang! Ich bin ja reicher als je! rief Kin-Fo unablässig, so weit ihm dies die Anstrengung des Laufens gestattete.

– Nicht ruinirt! Im Gegentheil! fügten Craig-Fry noch hinzu.

– Aufhalten! Aufhalten!« kreischte der Haufen der übrigen Verfolger.

Wang hörte auf nichts. Er hielt die Arme eingestemmt und wollte sich offenbar nicht durch eine Antwort schwächen, noch durch ein Umwenden des Kopfes an Schnelligkeit verlieren.

So ging die Jagd durch die ganze Vorstadt weiter. Wang eilte nach der mit Quadersteinen belegten Straße längs des Kanals. Diese war menschenleer und bot ihm also die wenigsten Hindernisse. Nun flog er womöglich noch schneller dahin! Natürlich verdoppelten aber auch seine Verfolger ihre Bemühung, ihn einzuholen.

Zwanzig Minuten lang währte schon das tolle Treiben, ohne daß Jemand dessen endlichen Ausgang voraussehen konnte. Nach und nach schien der Flüchtling jedoch zu ermatten. Der Raum, der ihn von den Verfolgern trennte, verkleinerte sich allmälich.

Wang mochte das selbst fühlen; er machte daher einen Bogen und verschwand hinter dem dichten Gebüsch in der Nähe einer rechts an der Straße stehenden Pagode.

»Zehntausend Taëls, wer ihn aufhält! rief Kin-Fo.

– Zehntausend Taëls! wiederholten Craig und Fry.

– Ya! ya! ya!« heulten die Vordersten aus dem Volkshaufen.

Alle wandten sich seitwärts, dem Philosophen nach und schwärmten um die Mauer der Pagode.

»Nicht ruinirt!« rief Kin-Fo. (S. 118.)

Wang war wieder sichtbar geworden. Er folgte einem schmalen Fußpfade längs eines Bewässerungs-Kanals und machte, um seine Verfolger zu täuschen, dann wieder einen Bogen, der ihn nach der gepflasterten Hauptstraße führte.

Es sah aus, als wolle sich ein Haufen Clowns produciren. (S. 122.)

Allmälich schien er aber zu ermatten, denn er sah sich wiederholt fast ängstlich um. Kin-Fo, Craig und Fry fühlten noch keine Abnahme ihrer Kräfte. Sie eilten, sie flogen dahin, und keiner der Taël-Jäger vermochte sie zu überholen.

Die Katastrophe näherte sich – es war nur noch eine Frage der Zeit – und zwar einer sehr kurzen, vielleicht blos einiger Minuten.

Jetzt erreichten Wang, Kin-Fo, dessen Begleiter und alle Uebrigen die Stelle, wo die Straße mittelst der berühmten Palikao-Brücke den Strom überschreitet.

Achtzehn Jahre früher, am 21. September 1860, hätten sie in dieser Gegend der Provinz Pe-Tche-Li keinen freien Weg vor sich gehabt. Damals bedeckte eine Menge anderer Flüchtlinge die Straße. Die Armee des Generals San-Ko-Li-Tsin, des Onkels vom Kaiser, hatte, nachdem sie von den französischen Bataillonen zurückgeworfen war, Halt gemacht an genannter Palikao-Brücke, einem prachtvollen Bauwerke mit weißen Marmor-Balustraden, welche überlebensgroße Löwen schmücken. Hier wurden die in ihrem Fatalismus übrigens heldenmüthig Stand haltenden Mantschu-Tataren von den europäischen Kanonen aufgerieben.

Jetzt war die Brücke, welche noch immer die Spuren jenes Kampfes zeigte, vollkommen frei.

Wang floh immer weiter. Mit dem Aufgebote aller Kräfte kamen ihm Kin-Fo und die Anderen näher. Bald trennten sie nur noch zwanzig, fünfzehn, noch zehn Schritte von dem Flüchtling.

Man durfte gar nicht versuchen, Wang durch unnütze Zurufe, die er nicht hörte oder nicht hören wollte, zum Stehen zu bringen. Man mußte ihn einholen, packen, nöthigenfalls fesseln… nachher konnte die Erklärung folgen.

Wang sah ein, daß er unterliegen müsse; und da er in Folge einer unerklärlichen Starrsinnigkeit zu fürchten schien, seinem früheren Schüler Auge in Auge gegenüberzustehen, wagte er sogar das Leben daran, jenem zu entkommen.

Mit einem Satze schwang er sich auf die Seitenmauer der Brücke und sprang kurz entschlossen in den Peï-Ho.

Kin-Fo stutzte einen Augenblick und rief:

»Wang! Wang!«

Sofort faßte aber auch er einen herzhaften Entschluß.

»Ich werde ihn lebend auffischen! sagte er rasch zu seinen Begleitern und stürzte sich in den Strom nach.

– Craig! stotterte Fry.

– Fry! gab Craig ebenso zurück.

– Da liegen zweimalhunderttausend Dollars im Wasser!«

Schnell erklommen Beide die Balustrade und sprangen dem gefährlichen Clienten der »Hundertjährigen« zu Hilfe nach.

Etliche von den Freiwilligen folgten ebenfalls. Es sah aus, als wolle ein Haufen Clowns sich mit Springkunststückchen produciren.

Und doch erwies sich aller Eifer vergebens. So aufmerksam auch Kin-Fo, Craig-Fry und die von der versprochenen Belohnung angefeuerten Anderen den Peï-Ho absuchten, Wang wurde nicht wiedergefunden. Jedenfalls hatte die Strömung den unglücklichen Philosophen erfaßt und weit hinweg getrieben.

Ob Wang mit seinem Sprung in den Strom nur den nachstürmenden Verfolgern entgehen, oder aus geheimnißvollen Gründen damit seinem Leben ein Ende machen wollte, konnte Niemand entscheiden.

Zwei Stunden später befanden sich Kin-Fo, Craig und Fry, zwar enttäuscht in ihrer Hoffnung, aber wieder trocken und gestärkt, nebst Soun, den man aus dem besten Schlafe wecken mußte und der natürlich heimlich darüber schimpfte und wetterte, schon auf dem Wege nach Peking.

Vierzehntes Capitel.

In dem der Leser vier Städte in Form einer einzigen und ohne alle Anstrengung druchwandern kann.

Pe-Tche-Li, die nördlichste der achtzehn Provinzen Chinas, zerfällt in neun Districte. Die Hauptstadt eines des letzteren ist Chun-Kin-Fo, das heißt »die dem Himmel unterworfene Stadt ersten Ranges«; diese Stadt ist Peking.

Vergegenwärtige sich der geneigte Leser einen Wirrwarr von Gassen, wie er nur in China möglich erscheint, der eine Fläche von sechstausend Hektaren bedeckt, einen Umfang von acht Meilen hat und dessen unregelmäßige Einzeltheile ein richtiges Viereck ausfüllen, das ist jenes geheimnißvolle Kambalu, von dem Marco Polo gegen Ende des 13. Jahrhunderts eine so merkwürdige Beschreibung lieferte, das ist die Hauptstadt des Himmlischen Reiches.

Peking selbst besteht aus zwei streng getrennten Städten, welche ein langer Boulevard und eine befestigte Mauer trennen; die eine, die Chinesenstadt, bildet ein rechtwinkeliges, längliches Viereck; die andere, die Tatarenstadt, ein fast vollkommenes Quadrat; letztere umschließt zwei andere Städte, Hoang-Tching oder die Gelbe Stadt, und Tsen-Kin-Tching, die Rothe oder die Verbotene Stadt.