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Das mochte eine Viertelstunde währen, wonach der Bonze erklärte, die Gebete der Andächtigen würden Erhörung finden.

Noch einmal sank Le-U vor der Statue der Göttin zur Erde, verließ hierauf den Tempel und bestieg wieder die Sänfte, um nach ihrer Wohnung zurückzukehren.

Kaum in die Große Allee gelangt, mußten die Träger plötzlich zurück weichen. Rücksichtslos trieb eine Abtheilung Bewaffneter die Menschenmenge hinweg. Buden und Läden wurden geschlossen. Die einmündenden Seitenstraßen schloß man unter Aufsicht von Tipaos mittelst blauer Tapeten ab.

Ein langer Zug erschien in der Allee und bewegte sich geräuschvoll vorwärts.

Es war der Kaiser Koang-Sin, dessen Name so viel wie »die Fortsetzung des Ruhmes« bedeutet, der in seine Tatarenstadt zurückkehrte und vor dem sich das große Mittelthor der Verbotenen Stadt öffnen sollte.

Hinter zwei vorausmarschirenden Soldaten kam eine Abtheilung Reiter, nach diesen ein Haufen Piqueurs in Doppelreihen mit einem Stocke im Bandelier.

Nun folgte eine Gruppe hoher Officiere, den großen gelben flatternden Sonnenschirm tragend, der mit Drachenbildern, dem Embleme des Kaisers, geschmückt war, während ein Phönix das Sinnbild der Kaiserin ist.

Hierauf kam der Palankin, dessen gelbseidene Gardinen zurückgeschlagen waren, getragen von sechzehn Mann in rothen Gewändern mit weißen Rosetten und in seidenen, gestickten Westen. Prinzen von Geblüt, hohe Würdenträger, deren Pferde Sättel und Schabracken von gelber Seide trugen, begleiteten das kaiserliche Gefährt.

In dem Palankin saß halb liegend der Sohn des Himmels, der Vetter des früheren Kaisers Tong-Tche und Neffe des Prinzen Kong.

Nach dem Palankin folgten noch Stallknechte und Träger zum Ablösen der anderen.

Unter dem Thore Tiens verschwand endlich der ganze Zug zur Befriedigung der Spaziergänger ebenso, wie der Kaufleute und Bettler, welche nun ihre unterbrochenen Geschäfte fortsetzen konnten.

Auch Le-U’s Sänfte setzte sich wieder in Bewegung und brachte sie, nach einer Abwesenheit von zwei Stunden, glücklich nach Haus.

O, welch freudige Ueberraschung hatte die gute Göttin Koanine der jungen Frau inzwischen bereitet!

Gerade als die Sänfte anhielt, erschien ein ganz überstäubter, von zwei Mauleseln gezogener Wagen an ihrer Thür. Aus demselben stieg – Kin-Fo, gefolgt von Craig-Fry und Soun!

»Du! Du! rief Le-U, die ihren Augen kaum zu trauen wagte.

– Liebste, kleine jüngere Schwester! antwortete Kin-Fo, Du zweifeltest doch nicht an meinem Wiederkommen?…«

Le-U erwiderte kein Wort. Sie ergriff nur die Hand des Freundes und führte ihn in ihrem Boudoir nach dem Phonographen, dem vertrauten Freunde ihrer Klagen.

»Jeden Augenblick harrte ich Dir entgegen, Du liebes Herz mit seidenen Blumen!« sagte sie.

Dann verschob sie die Walze des Apparates und löste die Feder aus, welche jene trieb.

Da hörte Kin-Fo eine sanfte Stimme wiederholen, was die zärtliche Le-U wenige Stunden vorher gesprochen hatte.

»O, kehre zurück, geliebter kleiner Bruder! Komm zu mir zurück! Laß unsere Herzen stets vereinigt sein wie die beiden Sterne Castor und Pollux! Alle meine Gedanken sind nur bei Dir…«

Der Apparat schwieg eine Secunde… nur eine Secunde. Dann tönte eine zänkische Stimme aus demselben:

»Als ob es nicht genug wäre an einer Herrin im Hause, nun soll man gar noch einen Herrn bekommen! Daß sie Prinz Jen doch Beide erwürgte!«

Diese zweite Stimme war gar zu leicht kenntlich. Es war die Nan’s. Die mürrische »alte Mutter« hatte nach Le-U’s Fortgehen ihrem Unmuthe Luft gemacht, als der Apparat noch im Gang war, der nun ohne ihr Wissen jene unvorsichtigen Worte registrirte.

Ihr Diener und Kammermädchen, hütet Euch vor dem Phonographen!

Noch am nämlichen Tage erhielt Nan ihren Abschied und wurde noch vor Ausgang des siebenten Monats aus dem Hause gejagt.

Fußnoten

1 T. Choutzé erzählt in seinem Reisewerke: »Peking und der Norden Chinas« folgenden Zug vom Prinzen Kong, der wohl vor dem Vergessen bewahrt zu werden verdient:

Es war im Jahre 1870 während des blutigen Krieges, der damals in Frankreich hauste. Prinz Kong stattete aus irgendwelchem Grunde allen ausländischen Gesandten Besuche ab. Bei der französischen Gesandtschaft, die ihm zunächst am Wege lag, hatte er den Anfang gemacht. Eben war die Nachricht von der Niederlage bei Sedan eingetroffen. Graf von Rochechouart, der damalige französische Gesandte, theilte sie dem Prinzen mit.

Dieser rief sofort einen Officier seines Gefolges herbei.

»Befördern Sie eine Karte nach der Norddeutschen Gesandtschaft mit der Meldung, daß ich erst morgen vorsprechen könne!«

Dann wendete er sich wieder an den Grafen:

»Ich kann unmöglich an demselben Tage, wo ich dem Vertreter Frankreichs mein Beileid ausgesprochen habe, dem Vertreter Deutschlands meine Glückwünsche darbringen!«

Prinz Kong würde überall ein »Fürst« sein.

Fünfzehntes Capitel.

Das sicherlich für Kin-Fo, vielleicht auch für den Leser eine Ueberraschung enthält.

Jetzt stand der Vermählung des reichen Kin-Fo aus Shang-Haï und der liebenswürdigen Le-U aus Peking kein Hinderniß mehr entgegen. Zwar endigte die zur Erfüllung seines Versprechens Wang’s zugestandene Frist erst in sechs Tagen. Der unglückliche Philosoph hatte ja seine sinnlose Flucht aber mit dem Leben bezahlt. Jetzt war nichts mehr zu fürchten. Die Hochzeit konnte ausgerichtet werden. Sie wurde auf den 25. Juni, d.h. auf denselben Tag bestimmt, den Kin-Fo vorher als den letzten seines Erdenwallens festgesetzt hatte.

Die junge Frau erfuhr nun Alles, was inzwischen vorgefallen war. Sie sah ein, warum Derjenige, der jetzt zurückkehrte, um ihr das Glück des Lebens zu sein, sich zuerst geweigert hatte, sie unglücklich und dann sie noch einmal zur Witwe zu machen.

Als Le-U von dem Tode des Philosophen hörte, konnte sie sich doch einiger Thränen nicht erwehren. Sie kannte ihn ja und liebte ihn als den ersten Vertrauten ihres Herzensgeheimnisses.

»Armer Wang! sagte sie. Wir werden ihn bei unserer Hochzeit schmerzlich vermissen.

– Gewiß! Der arme Wang! wiederholte Kin-Fo, der auch selbst den Führer seiner Jugend, den zwanzigjährigen Freund aufrichtig bedauerte. Und doch fügte er hinzu, lebte er noch, so hätte er mich, seinem Versprechen, gemäß, getödtet!

– Nein, nein! erklärte Le-U, das schöne Köpfchen schüttelnd, vielleicht hat er den Tod in den Fluthen des Peï-Ho nur gesucht, um sich dieser entsetzlichen Verpflichtung zu entziehen!«

Diese Annahme hatte wirklich die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Darüber, daß Wang sich ertränkt habe, um der Ausführung seines Auftrages überhoben zu sein, stimmten hier zwei Herzen überein, in denen das Bild des Philosophen wohl niemals verbleichen sollte.

Nach der Katastrophe an der Palikao-Brücke verschwanden aus den chinesischen Zeitungen natürlich die lächerlichen Aufrufe des ehrenwerthen William J. Bidulph, und auch die unbequeme Berühmtheit Kin-Fo’s verlor sich so schnell, wie sie entstanden war.

Was wurde nun aus Craig und Fry? Wohl reichte ihr Auftrag, das Interesse der »Hundertjährigen« wahrzunehmen, noch bis zum 30. Juni, also noch zehn Tage lang, im Grunde bedurfte Kin-Fo aber ihrer Dienste nicht weiter. Da Wang nicht mehr lebte, war ja gar nicht daran zu denken, daß er jenen noch umbringen könnte. Oder stand etwa zu befürchten, daß ihr Client nun selbst die verbrecherische Hand gegen sich erheben würde? Gewiß nicht. Kin-Fo verlangte ja auch nichts, als zu leben, als recht gut und recht lange zu leben. Die unausgesetzte Ueberwachung seitens Craig’s und Fry’s wurde damit also eigentlich gegenstandslos.

Alles in Allem waren die beiden Originale wirklich brave Männer. Galt ihre Opferwilligkeit eigentlich nur dem ihnen fremdstehenden Clienten der »Hundertjährigen«, so nahmen sie ihre Aufgabe doch sehr ernst und vergaßen derselben keinen Augenblick. Kin-Fo bat sie deshalb, nun auch noch den Hochzeitsfeierlichkeiten beizuwohnen, und sie willigten gern ein.