Noch vor Sonnenaufgang erreichte der »Peï-Tang« am 27. Juni den Hafen von Taku, am Ausfluß des Stromes.
Hier erhoben sich auf beiden Ufern die Forts des Nordens und des Südens, seit der Einnahme durch das englisch-französische Heer im Jahre 1860 nur noch ein Haufen Ruinen. Hier machte General Collineau am 24. August desselben Jahres den glorreichen Angriff, bei dem die Kanoniere den Eingang in den Strom forcirten; hier dehnte sich der kaum über das Meer emporstehende schmale Landstreifen aus, den man die französische Concession nennt, und sieht man noch den Grabhügel, der die Gebeine mancher, bei jenem denkwürdigen Kampfe gefallenen Officiere und Soldaten bedeckt.
Der »Peï-Tang« ging nicht weiter. Alle Passagiere mußten in Taku an’s Land gehen. Taku ist jetzt schon eine nicht unwichtige Stadt, der gewiß eine große Zukunft bevorstände, wenn die Mandarinen jemals den Bau einer Eisenbahn zwischen hier und Tien-Tsin gestatteten.
Das nach Fu-Ning bestimmte Fahrzeug sollte noch am nämlichen Tage die Anker lichten. Kin-Fo und seine Begleiter hatten keine Stunde zu verlieren. Sie winkten also eine Sampane herbei und befanden sich eine Viertelstunde später am Bord der »Sam-Yep«.
Siebzehntes Capitel.
In welchem der Handelswerth Kin-Fo’s noch einmal in Frage gestellt wird.
Acht Tage vorher war ein amerikanisches Schiff im Hafen von Taku vor Anker gegangen. Gemiethet von der sechsten chino-californischen Gesellschaft, war es für Rechnung der Agentur Fuk-Ting-Tong befrachtet, welche ihren Sitz bei dem Kirchhof von Laurell-Hill, in der Nähe von San-Francisco, hat.
Treu ihrer Religion, erwarten die in Amerika verstorbenen Söhne des Himmels hier die Rückkehr nach dem Vaterlande, bis sie in mütterlicher Erde eine Ruhestätte finden.
Das nach Canton bestimmte Schiff hatte laut Bericht der Agentur eine Ladung von zweihundertfünfzig Särgen, von welchen fünfundsiebzig in Taku gelandet werden sollten, um nach den Provinzen des Nordens übergeführt zu werden.
Die Umladung von dem amerikanischen Schiffe nach einem chinesischen war vollendet, und an eben diesem Morgen des 27. Juni sollte letzteres nach dem Hafen von Fu-Ning segeln.
Auf diesem Fahrzeuge hatten Kin-Fo und seine Begleiter Passage genommen. Sie hätten es vielleicht nicht gewählt; wegen Mangels an anderer Gelegenheit mußten sie sich aber mit demselben begnügen, denn es lag kein anderes zur Fahrt nach dem Golf von Leao-Tong bereit. Es handelte sich übrigens nur um eine Reise von zwei bis drei Tagen, welche zu dieser Jahreszeit meist sehr bequem von statten geht.
In dieser Gegend ist der Peï-Ho noch nicht besonders breit. (S. 148.)
Die »Sam-Yep« war eine seetüchtige Dschonke von etwa dreihundert Tonnen Tragfähigkeit. Solche Schiffe giebt es in großer Anzahl, und ihr Tiefgang von nur sechs Fuß gestattet ihnen mit Bequemlichkeit, über die Sandbänke am Eingange der chinesischen Ströme hinwegzugleiten.
Zu lang für ihre Breite, segeln sie schlecht, außer ganz dicht am Winde, aber wenden auf der Stelle, wie sich ein Kreisel dreht. Die Fläche ihres ungeheuren Steuers ist nach einer in China sehr beliebten Methode vielfach durchlöchert, eine Einrichtung, deren Vorzüge wohl mit Recht anzufechten sind. Doch, wie dem auch sei, diese geräumigen Fahrzeuge wagen sich ungestraft auf die Meere längs der Küsten.
Man erzählt sogar, das eine solche, von einem Handelshause in Canton geheuerte Dschonke unter dem Befehle eines amerikanischen Kapitäns eine Ladung Thee und Porzellan nach San-Francisco gebracht habe. Jedenfalls ist es außer Zweifel, daß sich diese Schiffe auf dem Meere gut bewähren, eine Ansicht, in der alle Sachverständigen übereinstimmen, während man die Chinesen im Allgemeinen für sehr gute Seeleute hält.
Die »Sam-Yep« erinnerte bei ihrer modernen Construction mit ziemlich geradem Vorder-und Hintersteven mehr an die europäischen Schiffe. Sie war ohne Mithilfe von Nägeln und Schrauben aus Bambus hergestellt, mit Werg und Cambodje-Harz kalfatert und so wasserdicht, daß sie nicht einmal eine Pumpe besaß. In Folge ihrer Leichtigkeit schwamm sie wie ein Stück Kork auf den Wellen. Uebrigens führte sie einen Anker aus sehr hartem Holz, ungemein festes und doch geschmeidiges Tauwerk aus Palmenfasern, Segelwerk, das vom Verdeck aus gestellt und einem Fächer ähnlich ausgebreitet oder zusammengefaltet wurde, ferner zwei Maste, entsprechend etwa dem Großmast und dem Besan eines Luggers, außerdem hatte sie kein Uebergewicht nach dem Stern zu, war aber in ihrer Art trefflich ausgerüstet und für die Küstenfahrt gewiß ganz geeignet.
Niemand hätte der »Sam-Yep« von außen angesehen, daß sie für diese Reise von ihren Rhedern zu einem ungeheuren Leichenwagen umgewandelt worden war.
In der That trat an Stelle der Theekisten, Seidenballen und der Nebenfracht von chinesischen Specereien diesmal die erwähnte Ladung von Särgen. Dabei behielt jedoch die Dschonke den früheren lebhaften Farbenschmuck unverändert bei. Am Vorder-und am Hintertheile wehten lustige Oriflammen und vielfarbige Flaggen. Ganz vorn saß ein großes, blitzesprühendes Auge, das ihr das Aussehen eines gigantischen Ungeheuers gab. Vom Top der Masten wehte das leuchtende Flaggentuch Chinas. Ueber die Schanzkleidung lugten die Mündungen zweier kurzer Schiffskanonen heraus, die in der Sonne wie ein Spiegel glänzten – in diesem von Seeräubern belästigten Meere gewiß ganz nützliche und nothwendige Beigaben, Alles, was man sah, machte einen angenehmen, fast erheiternden Eindruck. Die »Sam-Yep« rüstete sich ja gewissermaßen zu einer Heimreise – freilich eine Heimreise mit Leichnamen, doch sozusagen mit zufriedenen stummen Leuten.
Kin-Fo und Soun stießen sich, als geborne Chinesen, an diesem Umstande nicht im mindesten. Craig und Fry, welchen diese Art Fracht, sowie Vielen ihrer Landsleute, einen gewissen Widerwillen einflößte, hätten wohl gern ein anderes Handelsschiff zur Ueberfahrt gewählt, mußten sich jedoch dem Zwange der Umstände fügen.
Die ganze, übrigens zur Führung der Dschonke hinreichende Besatzung bestand aus einem Kapitän und sechs Mann. Der Compaß soll der Sage nach in China erfunden worden sein. Das ist möglich; gewiß ist aber, daß die Küstenfahrer auf denselben verzichten und nach ihrem Gutdünken steuern. Kapitän Yin, ein kleiner, stets lächelnder, lebhafter und geschwätziger Mann, war der lebende Beweis des vergeblich gesuchten Perpetuum mobile. Er konnte an keiner Stelle bleiben und kein Glied des Körpers still halten. Seine Arme, Hände und Augen sprachen fast noch mehr als die Zunge, welche übrigens hinter der hübschen Reihe weißer Zähne so gut wie niemals zur Ruhe kam. Er schalt auf seine Leute, rief sie mit groben Worten an und behandelte sie überhaupt nicht freundlich; dagegen war er ein tüchtiger, bezüglich der Fahrt an diesen Küsten sehr erfahrener Seemann, der seine Dschonke dirigirte, als hätte er sie zwischen den Fingern gehabt. Der ziemlich hohe Preis, den Kin-Fo für sich und seine Leute bezahlt hatte, vermehrte jedoch seine von Natur gute Laune. Passagiere, die für eine Fahrt von sechzig Stunden hundertfünfzig Taëls (= 960 Mark) wegwarfen – das war ein Geschäft; vorzüglich, wenn ihre Ansprüche auf Comfort und Nahrung die der stillen Gäste im Raume des Schiffes nicht zu sehr übertrafen.
Kin-Fo, Craig und Fry hatten wohl oder übel in dem Wohnhäuschen auf dem Hintertheile Platz gefunden; Soun hauste im sogenannten Volkslogis des Vorderdecks.
Die beiden allezeit mißtrauischen Agenten musterten zuerst aufmerksam die Leute des Kapitäns, unter denen sie nichts fanden, was ihren Verdacht gerechtfertigt hätte. Eine heimliche Uebereinstimmung mit Lao-Shen vorauszusetzen, war doch zu unwahrscheinlich, da sich ihr Client dieser Dschonke ja nur aus Zufall bei seiner Reise bediente, und wie sollte diese Zufälligkeit gerade mit den etwaigen Absichten des alten Taï-Ping zusammenfallen? Von den Gefahren, die das Meer selbst bieten konnte, abgesehen, durften sie also erwarten, einige Tage von ihrer gewöhnlichen Besorgniß befreit zu bleiben, weshalb sie Kin-Fo auch mehr sich selbst überließen.