Выбрать главу

Letzterer schien darüber nicht eben böse zu sein. Er schloß sich in seiner Cabine ein und hing nach Belieben seinen Träumereien nach. Der arme Mann, der das Glück noch nicht kennen, den Werth des Lebens in seinem Yamen zu Shang-Haï noch nicht schätzen gelernt hatte, da ihm die Sorge fremd blieb und er die Arbeit verachtete! Kam er wieder in den Besitz seines Briefes, dann mußte es sich ja zeigen, ob er von der ihm zu Theil gewordenen Lehre Nutzen gezogen, ob aus dem Thoren ein Weiser geworden war!

Doch würde er diesen Brief denn jemals wieder erhalten? Ohne Zweifel, er war ja bereit, den Werth, den jener in der Hand eines Andern haben konnte, voll zu ersetzen. Für Lao-Shen konnte die ganze Angelegenheit nur eine Geldfrage sein. Jedenfalls aber mußte er diesen überraschen und sich nicht von demselben zuvorkommen lassen. Das war aber nicht so leicht. Lao-Shen unterrichtete sich höchst wahrscheinlich über Alles, was mit Kin-Fo vorging; Kin-Fo wußte dagegen nicht, was jener vornahm. Natürlich lag unter diesem verschiedenen Verhältnisse eine große Gefahr verborgen, sowie Craig-Fry’s Client den Boden der Provinz betrat, in der der Tat-Ping sein Wesen trieb. Alles drehte sich also um die Möglichkeit, dem bestellten Mörder zuvorzukommen. Es war wohl vorauszusetzen, daß Lao-Shen seine fünfzigtausend Dollars lieber von dem lebenden, als von dem todten Kin-Fo annahm. Im ersteren Falle ersparte er ja eine Reise nach Shang-Haï und einen Besuch in den Bureaux der »Hundertjährigen«, der für ihn, trotz der bisherigen Langmuth der Regierung, doch nicht ganz gefahrlos sein konnte.

Mit solchen Gedanken trug sich der jetzt ganz umgewandelte Kin-Fo, und man wird nicht fehl gehen, wenn man annimmt, daß auch die liebenswürdige junge Witwe in Peking in seinen Zukunftsplänen nicht die mindest bedeutende Rolle spielte.

Was dachte aber Soun in dieser Zeit?

Soun dachte an gar nichts. Er lag der Länge lang im Volkslogis auf der Erde und zahlte den menschenfeindlichen Gottheiten des Golfes von Pe-Tche-Li den schuldigen Tribut. Kam er ja dazu, einen Gedanken zu fassen, so schimpfte er heimlich auf seinen Herrn, den Philosophen Wang und den Banditen Lao-Shen. Sonst war er abgestumpft in Gefühlen und Gedanken. Er dachte weder an Reis, noch an den geliebten Thee. Welch’ unseliger Wind hatte ihn verschlagen! Welche tausend und zehntausendfache Dummheit beging er seinerseits, bei einem Herrn in Dienst zu treten, dem es einfallen konnte, auf die See zu gehen! Wie gern hätte er sogar den Rest seines Zopfes dahingegeben, wenn er jetzt nicht mit hier zu sein brauchte. Er hätte sich den ganzen Schädel rasirt und wäre lieber Bonze geworden. Ihm war immer, als zerfleischte ein gelber Hund ihm die Leber und die Eingeweide! Ai, ai ya!

Getrieben von günstigem Südwinde, glitt die »Sam-Yep« indessen in der Entfernung von drei bis vier Meilen längs den Küsten hin, die hier von Osten nach Westen verliefen. Sie kam bei Peh-Tang, an der Mündung des gleichnamigen, Flusses vorüber, unfern der Stelle, wo die europäischen Heerhaufen an’s Land stiegen, dann bei Shan-Tung, bei Tschian-Ho, am Ausflusse des Tau, und bei Hai-Ve-Tse vorbei.

Nun ward es auf dem Wasser des Golfes allmählich stiller. Der an der Mündung des Peï-Ho sich zusammendrängende Schiffsverkehr nahm in demselben Verhältnisse ab wie die Entfernung von jenem Brennpunkte. Nur vereinzelte Dschonken kreuzten den Meerbusen, auf dem ein Dutzend Fischerbarken schaukelten, während dicht am Ufer die Boote der Thunfischfänger sichtbar waren. Im Uebrigen dehnte sich die weite Wasserfläche ununterbrochen bis zum Horizonte vor ihren Augen aus.

Craig und Fry machten die Bemerkung, daß die erwähnten Fischerboote, selbst solche von nur fünf bis sechs Tonnen Gehalt, mit einer oder zwei kleinen Kanonen bewaffnet waren.

Als sie sich darüber gegen den Kapitän Yin aussprachen, antwortete dieser, sich die Hände reibend:

»Sie müssen sich wohl darauf einrichten, den Seeräubern Respect einzuflößen.

– Giebt es denn hier im Golfe von Pe-Tche-Li auch Seeräuber? fragte Craig mit einiger Verwunderung.

– Warum denn nicht? erwiderte Yin. Hier wie überall! Diese Kerle fehlen in keinem Meere Chinas!«

Der würdige Kapitän lachte dazu und zeigte die beiden Reihen seiner glänzenden Zähne.

»Sie scheinen dieselben aber nicht allzu sehr zu fürchten? bemerkte ihm Fry.

– Hab’ ich nicht meine beiden Kanonen da, die eine verständliche Sprache sprechen, wenn ihnen Jemand zu nahe kommt?

– Sind dieselben geladen? fragte Craig.

– Gewöhnlich.

– Und jetzt?

– Jetzt nicht.

– Aber warum nicht?

– Weil ich kein Pulver an Bord habe, erklärte Kapitän Yin gelassen.

– Was nützen dann die beiden Kanonen? sagten Craig und Fry, welche jene Antwort nicht besonders befriedigte.

– Was sie nützen? rief der Kapitän. Ei, sie vertheidigen mir Schiff und Ladung, wenn ich eine an Bord habe, um derentwillen es sich der Mühe lohnt, wenn ich z. B. Theekisten und Opiumladung fahre. Heute aber, mit einer Ladung von…

– Woher sollen denn die Seeräuber wissen, forschte Craig weiter, ob es sich der Mühe lohnt oder nicht, Ihr Schiff anzugreifen?

– Sie scheinen einen Besuch dieser wackeren Jungen sehr zu fürchten, meinte der Kapitän, indem er sich achselzuckend im Kreise herumdrehte.

– So ist es.

– Und haben doch kaum ein Stück Gepäck an Bord!

– Das mag sein, sagte Craig, aber trotzdem haben wir sehr triftige Gründe, von jenen verschont zu bleiben.

– Nun, beruhigen Sie sich, tröstete der Kapitän. Wenn wir auch Seeräubern begegnen, wird es denselben nicht einfallen, unsere Dschonke anzufallen.

– Warum nicht?

– Weil sie im voraus wissen, was ich für Fracht führe, sobald sie das Schiff erblicken!«

Kapitän Yin wies bei diesen Worten nach einer weißen Flagge, welche am Halbmast der Dschonke im Winde flatterte.

»Eine weiße Flagge in Schau! Die Flagge der Trauer! Die Kerle werden es bleiben lassen, sich wegen einer Ladung Leichen zu bemühen.

– Sie könnten versucht sein zu glauben, warf Craig ein, daß Sie nur aus Vorsicht unter dieser Flagge segelten, und doch an Bord kommen, um sich zu überzeugen…

– Nun, wenn sie kommen, werden wir sie einfach aufnehmen, antwortete Kapitän Yin, und wenn sie ihren Besuch abgestattet haben, werden sie eben wieder abziehen, wie sie gekommen sind!«

Craig-Fry fragten nicht weiter, theilten aber nur in geringem Grade die unerschütterliche Ruhe des Kapitän Yin. Der Fang einer Dschonke von dreihundert Tonnen, auch wenn sie nur unter Ballast segelte, durfte den »wackeren Jungen«, von denen Kapitän Yin sprach, doch wohl verlockend genug erscheinen, um wenigstens einen Versuch zu wagen. Unter den gegebenen Umständen mußte man sich eben beruhigen und hoffen, daß die Fahrt glücklich ablaufe.

Uebrigens hatte der Kapitän nichts vernachlässigt, um möglichst jedes Unglück zu verhüten. Bei ihrer Abfahrt war zu Ehren der Gottheiten des Meeres ein Hahn geopfert worden. Am Besanmast flatterten noch die Federn des unglücklichen Hühnerthieres. Einige Tropfen von seinem Blut, die man auf dem Deck verspritzte, und ein Glas Wein, das man über Bord goß, vervollständigten dieses Sühnopfer. Was konnte die Dschonke »Sam-Yep« unter Führung ihres würdigen Kapitän Yin nun zu fürchten haben?

Es schien aber doch, als wenn die launischen Götter nicht zufrieden gewesen wären. Mochte nun der Hahn zu mager oder der Wein nicht aus den besten Gehegen von Chao-Chigne bezogen gewesen sein, jedenfalls überfiel ein entsetzlicher Windstoß die schmucke Dschonke. Gerade an diesem freundlichen klaren Tage und bei der eben wehenden günstigen Brise hätte kein Mensch denselben vorhersehen können. Auch der Seemann mit der besten Nase hätte gewiß kein Anzeichen dafür bemerkt.