Die Dschonke hatte man einfach der Strömung des Wassers überlassen. Nur ein Matrose schlief auf dem Vorderdeck.
Craig und Fry öffneten vorsichtig die Thür der Wohnung auf dem Achter und begaben sich zu Kin-Fo.
Auch dieser schlummerte.
Man weckte ihn.
»Was giebt es?« fragte er.
Mit kurzen Worten wurde Kin-Fo, der dabei keineswegs den Muth verlor, über die Sachlage aufgeklärt.
»Wir wollen alle die falschen Leichname ins Meer werfen!« schlug er vor.
Gewiß eine verwegene, doch unausführbare Idee, da Kapitän Yin mit seinen Passagieren im Raume aller Wahrscheinlichkeit nach im Einverständnisse war.
»Ja, was wollen wir dann beginnen?
– Hier diese Kleidung anlegen!« erwiderten Craig-Fry wie aus einem Munde.
Damit öffneten sie eines der in Tong-Tcheu mit eingeschifften Packete und hielten ihrem Clienten einen jener ausgezeichneten, von Kapitän Boyton erfundenen Rettungsanzüge hin.
Das Packet enthielt auch noch drei ganz gleiche, mit allem nöthigen Zubehör, durch den diese Apparate sich vor allen anderen auszeichnen.
»Gut, sagte Kin-Fo. Holen Sie Soun!«
In kurzer Zeit brachte Fry den Diener angeführt, der gar nicht verstand, was hier vorging, und von den Anderen angezogen werden mußte. Er ließ Alles willenlos mit sich geschehen und stöhnte nur sein gewöhnliches Ai, ai, ya! dazu.
Um acht Uhr waren Kin-Fo und seine Begleiter fertig. Es sah aus, als wollten sich vier Robben aus dem Eismeere in das Wasser stürzen. Freilich hätte die Robbe Soun nur eine sehr unzureichende Vorstellung von der Gewandtheit und Geschicklichkeit dieser Thiere gegeben, so schlaff und welk stand er in seiner unversenkbaren Kleidung da.
Schon ward es im Osten dunkler. Die Dschonke lag vollkommen ruhig auf der unbewegten Wasserfläche.
Craig und Fry öffneten eines der nach dem Hintertheile des Schiffes gerichteten Fenster des Wohnhäuschens. Dann packten sie ohne Umstände den unglücklichen Soun, hoben ihn über den Schiffsrand und ließen ihn in das Meer hinab. Kin-Fo folgte diesem auf der Stelle. Craig und Fry versahen sich mit allem nothwendigen Zubehör und glitten auch ihrerseits ins Meer.
Kein Mensch konnte eine Ahnung davon haben, daß die Passagiere der »Sam-Yep« das Schiff verlassen hätten!
Neunzehntes Capitel.
Das weder für Kapitän Yin noch für die Mannschaft der »Sam-Yep« glücklich endigt.
Der Apparat des Kapitän Boyton besteht in der Hauptsache aus einer Kautschuk-Kleidung, welche Beinkleid, Jacke und Kopfbedeckung umfaßt. Schon die Natur des Stoffes macht dieselbe undurchdringlich. Doch wenn sie auch gegen das Wasser schützt, so würde sie doch die Kälte nicht abhalten können, welche bei längerem Eintauchen in Wasser auf den Menschenkörper einwirken müßte. Deshalb wird der Rettungsanzug aus zwei Blättern hergestellt, zwischen welche eine gewisse Menge Luft eingeblasen werden kann.
Die Luft erfüllt also einen doppelten Zweck: erstens erhält sie den Apparat nebst einer Person schwimmend auf der Oberfläche des Wassers, und zweitens hindert sie jede Berührung mit demselben und schützt in Folge dessen vollständig gegen die Abkühlung des Körpers. In dieser Weise bekleidet, könnte ein Mensch eigentlich unbegrenzt lange im Wasser ausdauern.
Daß auf den dichten Schluß aller Verbindungsstellen besondere Aufmerksamkeit verwendet ist, versteht sich von selbst. Das Beinkleid z.B., an dessen Füßen schwere Sohlen befestigt sind, sitzt an einem Metallgürtel fest, der weit genug ist, um dem Körper einige freie Bewegung zu gestatten. Die Jacke schließt an der unteren Seite ebenfalls an diesen Gürtel an und endigt oben in einem soliden Halsstück, mit dem die Kopfbedeckung zusammenhängt. Diese umhüllt endlich den Kopf und schließt sich mittels eines elastischen Bandes hermetisch an Stirn, Wangen und Kinn an, so daß vom Gesicht nur Augen, Nase und Mund frei bleiben.
An der Jacke befinden sich mehrere Kautschukschläuche zum Einblasen der Luft, deren Spannung in dem Apparate man demnach völlig in der Gewalt hat. So kann man z.B. nach Belieben bis an den Hals oder auch nur bis zum halben Körper einsinken, aber auch eine horizontale Lage einnehmen. Alles in Allem gewährt der Apparat bei hinreichender Freiheit jeder Bewegung eine so gut wie absolute Sicherheit.
Das ist der Boyton’sche Rettungsanzug, für den der kühne Erfinder so reichlichen Beifall einerntete und dessen Nützlichkeit bei Seeunfällen wohl klar auf der Hand liegt. Zu ihm gehören noch mehrere Nebenapparate, z.B. ein wasserdichter Sack mit den nothwendigsten Stärkungsmitteln und Geräthen (Messer, Gabel u.s.w.), der am Gürtel eingehängt wird; ein fester Stock, eingerichtet zum Befestigen in einer Art Dille am Fuße und zur Anbringung eines kleinen Focksegels; und eine leichte Pagaie, welche je nach Umständen als Riemen oder Steuerruder dient.
In dieser Weise ausgerüstet, schwammen Kin-Fo, Craig und Fry nebst Soun jetzt auf den Wellen. Den Letzteren mußte einer der Agenten immer antreiben, doch gelang es Allen, sich mittels einiger Ruderschläge aus der unmittelbaren Nähe der Dschonke zu entfernen.
Die jetzt schon sehr dunkle Nacht begünstigte das Unternehmen. Selbst wenn Kapitän Yin und seine Matrosen auf das Verdeck gekommen wären, hätten sie die Flüchtlinge nicht mehr wahrnehmen können. Uebrigens ahnte ja kein Mensch, daß und wie sie das Schiff verlassen hatten. Die im Raume verborgenen Schurken konnten das nur im letzten Augenblicke gewahr werden.
»Während der zweiten Wache«, hatte sich der falsche Todte im letzten Sarge geäußert, d.h. gegen Mitternacht.
Kin-Fo und seine Genossen hatten also einige Stunden Zeit, um etwas Vorsprung zu gewinnen, und hofften auch von der »Sam-Yep« wenigstens eine Meile unter dem Winde wegzukommen. Die Wasserfläche kräuselte eben ein leiser Hauch, doch so unfühlbar, daß man nur auf die Ruder zählen konnte, um wenigstens eine kleine Strecke zurückzulegen.
Sehr bald gewöhnten sich Kin-Fo, Craig und Fry so sehr an die Handhabung ihrer Apparate, daß sie fast instinctiv sich fortbewegten und stets die für den Augenblick passendste Körperhaltung wählten. Auch Soun hatte wieder mehr Herrschaft über sich bekommen und befand sich jetzt besser als an Bord der Dschonke. Seine Seekrankheit war vorübergegangen.
»Frrr! Frrr!« machten Craig und Fry. (S. 170.)
Es ist nämlich ein ganz anderes Ding, und Soun bestätigte das mit großer Befriedigung, ob man dem Rollen und Stampfen eines Fahrzeuges ausgesetzt ist, oder sich mit der Welle selbst hebt und senkt, während der halbe Körper in das Wasser eintaucht.
Soun wurde in das Meer hinabgelassen. (S. 173.)
Litt Soun jetzt aber nicht mehr an jener Krankheit, so plagte ihn dafür das Gefühl der Furcht desto mehr. Er glaubte, die Haifische möchten noch nicht schlafen gegangen sein, und zog instinctmäßig die Beine an sich, als schnappte schon der Rachen eines solchen Ungeheuers nach denselben!…. Es muß übrigens zugegeben werden, daß eine solche Befürchtung nicht ganz am falschen Platze war.
So arbeiteten sich also Kin-Fo und seine Gefährten, die ein mißgünstiges Geschick in die wunderbarsten Lagen brachte, langsam vorwärts. Während des Ruderns hielten sie sich nahezu wagrecht. Ruhten sie aus, so nahmen sie wieder eine senkrechte Haltung ein.
Eine Stunde nach dem Verlassen der »Sam-Yep« lag diese eine halbe Meile von ihnen vor dem Winde. Sie hielten inne, stützten sich ein wenig auf die flach auf das Wasser gelegten Pagaien und berathschlagten, was nun zu beginnen sei, aber immer mit der Vorsicht, kein lautes Wort hören zu lassen.
»Dieser Schurke von Kapitän! begann Craig wie zur Einleitung.