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So segelten die Skaphander eine Stunde lang dahin. Eher durften sie nicht ruhen, da die Dschonke noch zu sehr in der Nähe war; länger konnten sie aber die Spannung des Segels, das jetzt ein frischerer Wind schwellte, nicht ertragen, da auch das Wasser etwas unruhiger geworden war.

Craig-Fry commandirten zu »stoppen«. Man ließ die Schoten schießen und die Flottille hielt an.

»Fünf Minuten Pause, wenn es Ihnen gefällig ist, wendete sich Craig an Kin-Fo.

– Recht gern!«

Alle außer Soun, der aus Vorsicht ausgestreckt blieb und weiter zappelte, nahmen wieder eine aufrechte Stellung an.

»Noch ein Gläschen Branntwein? fragte Fry.

– Mit Vergnügen!« antwortete Kin-Fo.

Für den Augenblick genügten ihnen einige Tropfen einer stärkenden Flüssigkeit. Von Hunger spürten sie noch nichts. Eine Stunde vorher, bevor sie die Dschonke verließen, hatten sie zu Abend gegessen und konnten wohl bis zum Morgen warten. Sich zu erwärmen, erschien auch unnöthig. Die Luftschicht zwischen ihrem Körper und dem Wasser schützte sie ja vor jeder Abkühlung. Die Normaltemperatur ihres Körpers war seit der Abfahrt gewiß nicht um einen Grad gesunken.

Und hatte man die »Sam-Yep« noch immer in Sicht?

Craig und Fry drehten sich um. Fry nahm aus seinem Beutel ein Nachtfernrohr und prüfte sorgsam den ganzen Horizont im Osten.

Er sah nichts! Nicht einen jener kaum bemerkbaren Schatten, den sonst die Schiffe auch am dunklen Himmel zu erzeugen scheinen. Uebrigens war die Nacht pechschwarz, etwas dunstig und fast sternenlos. Die Planeten bildeten am Himmel nur eine Art Nebelfleck. Wahrscheinlich aber zerstreute der bald in Form einer halben Scheibe aufgehende Mond die seinen Dünste und beleuchtete die ganze Umgebung.

»Die Dschonke ist fern von uns! meldete Fry.

– Die Schurken schlafen noch, meinte Craig, und werden nicht daran gedacht haben, die Brise zu benützen.

– Wenn es Ihnen beliebt?« erinnerte Kin-Fo, indem er die Schote anzog und das Segel wieder in den Wind brachte.

Die Anderen folgten seinem Beispiele und schwammen, getrieben von dem etwas kräftigeren Winde, in der früheren Richtung weiter.

Sie segelten nach Westen. Der im Osten aufgehende Mond konnte ihre Augen also nicht unmittelbar treffen; er mußte aber mit seinen ersten Strahlen den gegenüberliegenden Horizont erleuchten, und ihnen lag natürlich weit mehr daran, den letzteren genau erkennen zu können. Vielleicht zeigte er doch statt der Kreislinie an der Grenze zwischen Himmel und Wasser ein unebenes Profil mit helleren und dunkleren Stellen. Die Skaphander hofften, sich darüber nicht täuschen zu können. Sie konnten ja nichts anderes vor sich haben als die Küste des Himmlischen Reiches, und wo sie daselbst auch landeten, überall winkte ihnen die Rettung. Die Küste ist übrigens offen und hat fast gar keine Brandung.

Eine Gefahr beim Landen hatte man also nicht zu fürchten. Einmal am Ufer, wollte man sich dann überlegen, was weiter zu thun sei.

Gegen drei Viertel zwölf Uhr durchdrang ein schwacher Lichtschein die Dünste am Zenith. Das Viertel des Mondes stieg langsam über die Wasserlinie empor.

Weder Kin-Fo, noch einer seiner Gefährten wandte sich nach rückwärts. Die noch mehr zunehmende Brise, welche den Himmel reinigte, trieb sie ja mit einer gewissen Geschwindigkeit dahin. Sie bemerkten aber, daß es allmälich heller wurde.

Gleichzeitig erschienen die Sternbilder deutlicher. Der Wind verjagte den Nebel und die Wellen spielten lebhafter um die Kopftheile der Skaphander.

Bald erleuchtete die Mondscheibe, von der kupferrothen Farbe in’s Weißliche übergehend, den ganzen Himmel.

Plötzlich entfuhr Craig’s Munde ein kräftiger amerikanischer Fluch:

»Da ist die Dschonke!« rief er.

Alle hielten an.

»Die Segel herunter!« befahl Fry.

Sofort sanken die vier Focksegel herab und die Stöcke wurden aus den Dillen genommen.

Kin-Fo und seine Begleiter richteten sich auf und sahen hinter sich.

Da trieb die »Sam-Yep« kaum eine Meile von ihnen entfernt, mit allen Segeln, wie ein schwarzes Gespenst am erleuchteten Horizont.

In der That, das war die Dschonke! Auch sie hatte die günstige Brise nicht ungenützt gelassen. Kapitän Yin mochte das Verschwinden Kin-Fos bemerkt haben, ohne zu begreifen, wie es ihm möglich geworden sei, zu entfliehen. Jedenfalls versuchte er jetzt, in Uebereinstimmung mit seinen Spießgesellen aus dem Raume, auf gut Glück den Flüchtling wiederzufinden, und vor Ablauf einer Viertelstunde konnten Kin-Fo, Soun, Craig und Fry den Räubern wieder in die Hände gefallen sein.

Immerhin war kaum anzunehmen, daß sie bei dem Mondlichte, das auf der Wasserwüste ruhte, schon gesehen worden seien.

»Die Köpfe herunter!« rief Craig, der durch dieses Mittel noch entrinnen zu können hoffte.

»Dieser Schurke von Kapitän!« (S. 178.)

Man verstand ihn. Sofort ließ man aus dem Apparate einen Theil der Luft entweichen und die vier Skaphander sanken um so viel tiefer, daß nur noch der Kopf mit der Kappe darüber das Wasser überragte. Nun galt es, sich still zu verhalten und auf jede Fortbewegung zu verzichten.

Die Dschonke näherte sich sehr schnell. Ihre hohen Segel warfen einen schwarzen Schlagschatten auf das Wasser.

Alle flossen neben einander hin. (S. 181.)

Nach fünf Minuten war die »Sam-Yep« kaum noch eine halbe Meile entfernt. Auf dem Verdeck liefen die Matrosen hin und her. Am Achter stand der Kapitän selbst am Steuer. Hatte er wirklich die Absicht, die Flüchtlinge zu verfolgen, oder suchte er sich nur am Winde zu erhalten? Niemand vermochte das zu entscheiden. Plötzlich vernahm man lautes Geschrei. Auf dem Deck der »Sam-Yep« erschienen eine Menge Menschen. Der Lärm nahm zu.

Offenbar handelte es sich um einen Kampf zwischen den falschen Todten aus dem Raume und der Mannschaft des Schiffes.

Warum entstand aber dieser Kampf? Sollten die Spitzbuben, die Matrosen und Seeräuber, doch nicht unter einer Decke stecken?

Deutlich hörten Kin-Fo und seine Genossen einerseits wildes Zurufen, andererseits schmerzliches, verzweifelndes Geschrei, das jedoch binnen wenigen Minuten wieder schwieg. Dann ein Klatschen und Plätschern längs der Dschonke, als ob man schwere Körper herunterwerfe.

Nein, Kapitän Yin und seine Leute waren nicht die Helfershelfer des Räubers Lao-Shen! Im Gegentheile wurden die armen Leute selbst überrascht und elend hingemordet. Die Schurken, welche sich wahrscheinlich mit Hilfe der Verfrachter in Taku an Bord zu verbergen wußten, gingen dabei nur darauf aus, sich für den Taï-Ping der Dschonke zu bemächtigen, und ahnten gewiß nicht, daß Kin-Fo sich auf der »Sam-Yep« als Passagier befand.

Hätte man ihn freilich gesehen und erwischt, so würden weder er noch Craig-Fry oder Soun von den Banditen verschont worden sein.

Die Dschonke näherte sich immer mehr, sie erreichte sie, doch unerwarteter Weise fiel der Schatten der Segel auf die Schwimmenden.

Diese tauchten einen Augenblick unter.

Als sie die Köpfe wieder hoben, war die Dschonke vorübergerauscht, ohne Jemand bemerkt zu haben, und segelte rasch weiter.

In ihrem Kielwasser schwamm ein Leichnam, der nach und nach in die Nachbarschaft der Skaphander getrieben wurde.

Es war der Körper des Kapitäns mit einem Dolche in der Seite. Die weiten Falten seines Oberkleides hielten ihn noch über Wasser.

Dann versank er und verschwand in der Tiefe des Meeres.

So endete der lustige Kapitän Yin, der Befehlshaber der »Sam-Yep«.

Zehn Minuten später war die Dschonke nach Westen hin verschwunden und Kin-Fo, Craig-Fry und Soun befanden sich allein auf der ungeheuren Wasserfläche.

Zwanzigstes Capitel.

In dem man sehen wird, welchem Zufälligkeiten Leute ausgesetzt sind, die sich der Apparate des Kapitän Boyton bedienen.