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Der Saal war nämlich keineswegs leer; ihn füllte eine Menge Menschen bis in die dunkelsten Tiefen.

Hier hatte sich die ganze Bande des Taï-Ping wie zu einer verdächtigen Feierlichkeit versammelt.

Im Grunde der Höhle stand ein großer kräftiger Mann auf einer steinernen Estrade, der etwa dem Präsidenten eines geheimen Gerichtes glich. Einige seiner Leute, die sich ebenso unbeweglich hielten wie er, schienen die Stelle von Beisitzern zu vertreten.

Jener Mann gab ein Zeichen mit der Hand. Sofort zertheilte sich die Menge und ließ die beiden Gefangenen passiren.

»Da ist Lao-Shen!« sagte der Führer der Escorte, auf die stehende Persönlichkeit hinweisend.

Kin-Fo schritt auf den Bezeichneten zu und ging ohne Vorrede auf den Zweck seines Erscheinens ein, entschlossen, seiner ungewissen Lage auf eine oder die andere Weise ein Ende zu machen.

»Lao-Shen, begann er, Du bist im Besitze eines Dir von Wang, Deinem alten Kriegskameraden, überlassenen Briefes von mir. Derselbe ist jetzt gegenstandslos geworden und ich ersuche Dich, mir denselben zurückzugeben!«

Auf diese laut und vernehmbar gesprochenen Worte bewegte der Taï-Ping nicht einmal den Kopf. Man hätte ihn für eine Bronzestatue halten können.

»Was verlangst Du für die Auslieferung jenes Briefes?« fuhr Kin-Fo nach kurzer Pause fort.

Er wartete vergeblich auf eine Antwort.

»Lao-Shen, nahm Kin-Fo nochmals das Wort, ich erbiete mich, Dir auf jeden beliebigen Banquier und in welcher Stadt Du willst, eine Anweisung zu geben, welche ohne Umstände bezahlt werden wird, ohne daß Deinem Vertrauensmanne, den Du etwa zur Erhebung des Geldes sendest, ein Haar gekrümmt werden kann!«

Dasselbe eisige Schweigen des Taï-Ping, ein Schweigen von wenig guter Vorbedeutung.

Kin-Fo betonte nun seine Worte noch mehr.

»Auf welche Summe wünschest Du eine solche Anweisung ausgestellt? Ich biete Dir fünftausend Taëls (30.000 Mark)!«

Keine Antwort.

»Zehntausend Taëls?«

Lao-Shen und seine Umgebung blieben ebenso stumm wie die Steinfiguren dieser merkwürdigen Bonzerie.

Jetzt wurde Kin-Fo etwas ungeduldig. Sein Angebot verdiente doch wohl irgend eine Antwort.

»Hörst oder verstehst Du mich nicht?« sagte er zu dem Taï-Ping.

Lao-Shen neigte den Kopf ein wenig, als Zeichen, daß er ihn vollkommen verstände.

»Zwanzigtausend Taëls! Dreißigtausend Taëls! rief Kin-Fo dringender. Ich biete Dir ebensoviel, als Dir die »Hundertjährige« früher für meinen Tod bezahlt hätte. Das Doppelte! das Dreifache! So sprich doch! Bist Du damit zufrieden?«

Kin-Fo, den das hartnäckige Schweigen seines Gegners ganz außer sich brachte, trat mit gekreuzten Armen der Gruppe noch näher.

»Um welchen Preis willst Du mir den Brief zurückverkaufen?

– Um gar keinen Preis, ließ sich endlich der Taï-Ping vernehmen. Du hast durch Verachtung des Dir gegönnten Lebens Buddha beleidigt und der Gott will seine Rache haben. Erst im Angesicht des Todes wirst Du den Werth des von Dir so lange mißachteten Lebens wirklich schätzen lernen!«

Nach diesen, mit einer solchen Bestimmtheit, daß sie jeden Widerspruch ausschlossen, gesprochenen Worten gab Lao-Shen wiederum ein Zeichen. Bevor Kin-Fo nur an Abwehr denken konnte, wurde er gefesselt und fortgeschleppt. Bald darauf sah er sich in einen hermetisch verschlossenen, etwa einer Sänfte ähnlichen Käfig eingesperrt.

Den unglücklichen Soun traf, trotz seines Heulens und Wehklagens, dieselbe Behandlung.

»Jetzt geht’s zum Tode, dachte Kin-Fo. Nun, meinetwegen. Wer das Leben verachtete, verdient ja zu sterben.«

So unvermeidlich ihm indeß sein Schicksal auch erschien, so überzeugte er sich doch bald, daß sein Ende noch nicht unmittelbar bevorstand, nur konnte er nicht errathen, welch’ entsetzliche Todesstrafe der wilde Taï-Ping für ihn erdacht haben mochte.

So verstrichen zwei Stunden voller Angst. Da fühlte Kin-Fo, daß sein Kerker aufgehoben und auf irgend ein Gefährt gesetzt wurde. Die Unebenheiten des Weges, das Getrappel von Pferden und das Klirren der Waffen der Escorte ließen ihm darüber keinen Zweifel. Man schaffte ihn fort. Wohin – war und blieb für ihn ein Geheimniß.

Nach etwa sieben-bis achtstündiger Fahrt bemerkte Kin-Fo, daß der Wagen anhielt und der Kasten, in dem er eingeschlossen saß, wieder abgehoben wurde. Nun trat eine sauftere Fortbewegung an die Stelle des Fahrens auf dem Lande.

»Befinde ich mich etwa auf einem Schiffe?« fragte er sich.

Ein deutliches Rollen und Stampfen und das von den Umdrehungen einer archimedischen Schraube herrührende Erzittern unter seinen Füßen bestätigte diese Muthmaßung.

»Der Tod in den Fluthen! dachte er. Sei’s darum! Das erspart mir manche schlimmere Qualen. Ich danke Dir, Lao-Shen!«

Wiederum verstrichen zweimal vierundzwanzig Stunden. Zweimal täglich wurde durch eine kleine Schiebethür etwas Nahrung in seinen Kerker befördert, ohne daß er die Hand sehen konnte, die sie brachte, oder auf seine Fragen nur eine Silbe Antwort erhalten konnte.

Nun, Kin-Fo hatte ja, bevor er sich entschloß, seinem behäbigen, sorgenlosen Leben ein Ende zu machen, vergeblich nach Aufregung gesucht. Es war ja sein Wunsch gewesen, wenigstens einmal das stürmische Klopfen seines Herzens zu fühlen, ehe dieses für immer still stand. Jetzt erfüllte sich, was er ersehnt, und vielleicht mehr, als ihm lieb war.

Denn wenn es sein Leben kosten sollte, so wollte er doch wenigstens im Lichte des Tages sterben. Der Gedanke, daß dieser Käfig jeden Augenblick ins Wasser gesenkt werden könnte, quälte ihn entsetzlich. Zu sterben, ohne noch ein einziges Mal die Sonne und die arme Le-U, deren Bild seinem Geiste vorschwebte, gesehen zu haben, das war zu viel!

Endlich, nach Ablauf eines längeren Zeitraumes, den er nicht näher abzuschätzen vermochte, schien die lange Wasserfahrt plötzlich beendigt zu sein. Das Zittern der Schraube hörte auf. Das Schiff, welches sein Gefängniß trug, hielt an. Kin-Fo fühlte, wie der Käfig nochmals aufgehoben wurde.

Jetzt schien das letzte Stündlein gekommen und der Verurtheilte flehte herzlich um Vergebung für seine Irrthümer und Fehler.

Einige Minuten schlichen dahin – für ihn Jahre, Jahrhunderte!

Da ward Kin-Fo zum höchsten Erstaunen gewahr, daß sein Kerker wieder auf festem Grund und Boden stand.

Kin-Fo und Soun wurden in einen geräumigen Vorraum geführt. (S. 212.)

Plötzlich öffnete sich sein Gefängniß. Kräftige Arme packten ihn, man schnürte ihm eine Binde um die Augen und schleppte ihn unsanft nach außen. Erst mußte er eine Strecke weit gehen, dann zwangen ihn seine Wächter, still zu stehen.

»Wenn ich denn sterben soll, rief er, so fällt es mir nicht ein, um mein Leben zu betteln, das ich nicht zu benutzen verstand; aber gewährt mir wenigstens das Eine, als Mann dem Tode frei ins Gesicht zu schauen!

Du hast Buddha beleidigt. (S. 214.)

– Zugestanden! antwortete da eine ernste Stimme. Es geschehe, wie der Verurtheilte es wünscht!«

Schnell fiel die Binde von seinen Augen. Kin-Fo ließ den Blick im Kreise schweifen…. Täuschte ihn das Bild eines Traumes? Da stand eine reich gedeckte Tafel, an der ihn seine fünf Gefährten von Canton nur zu erwarten schienen, um die Mahlzeit zu beginnen. Zwei Plätze standen noch für Gäste leer.

»Wie, Ihr? Meine Freunde! Meine liebsten Freunde! Sehe ich Euch wirklich?« rief Kin-Fo in gar nicht wiederzugebendem Tone.

Nein, er täuschte sich nicht! Da war Wang der Philosoph! Da standen Yin-Pang, Hual, Pao-Shen und Tim, seine Cantoner Freunde, dieselben, die er vor zwei Monaten auf dem Blumenschiffe des Perlenstromes bewirthet, die Zeugen seines Abschiedes aus dem Junggesellenstande!