Kin-Fo konnte kaum seinen Augen trauen. Er befand sich zu Hause im Speisezimmer seines Yamens in Shang-Haï.
»Wenn Du es bist, begann er, sich an Wang wendend, wenn es nicht Dein Schatten ist, der vor mir steht, so sage mir….
– Ich bin es selbst, mein Freund, antwortete der Philosoph. Wirst Du Deinem alten Lehrer diese letzte, etwas harte Lection der praktischen Lebensweisheit, die er Dir zu Theil werden ließ, verzeihen können?
– Wie! rief Kin-Fo, das wäre Dein Werk, Wang?
– Gewiß, erklärte Wang, ich hatte es übernommen, Deinem Leben ein Ende zu machen, damit Du keinen Anderen damit beauftragen solltest. Ich, der ich eher als Du selbst es wußte, daß Dein Vermögen nicht verloren war und die Stunde kommen würde, wo Du Deinen schnellen Entschluß bereutest. Mein alter Genosse Lao-Shen, der sich eben unterworfen hat, um ferner eine verläßliche Stütze des Reiches zu sein, bot mir seine Mithilfe an, um Dir den Werth des Lebens kennen zu lehren. Wenn ich Dich der schrecklichsten Angst als Beute überließ und, schlimmer noch, Dich, so sehr mein Herz dabei blutete, in Lagen trieb, welche kaum ein Mensch wieder aushalten möchte, so geschah es, weil ich wußte, daß Du Dir das entbehrte Glück erjagtest, daß Du es später desto süßer schmecken würdest!«
Kin-Fo stürzte in die Arme Wang’s, der ihn warm an’s Herz drückte.
»Mein armer Wang, sagte darauf Kin-Fo sehr bewegt, wenn ich nur allein von einer Stelle zur anderen gejagt wäre! Doch was hab’ ich auch Dir dabei angethan! Wie habe ich Dich verfolgt und gar zu einem Sturzbade von der Palikao-Brücke herab genöthigt!
– O, erwiderte Wang lachend, das hat mir für meine fünfundfünfzig Jahre recht gut gethan. Ich war zwar sehr warm und das Wasser gehörig kalt. Doch, was da, ich bin ja davon gekommen; man läuft und schwimmt nie besser als im Interesse Anderer!
– Im Interesse Anderer! wiederholte Kin-Fo fast feierlich. Ja, man muß für Andere Alles zu thun im Stande sein. Darin liegt das Geheimniß des Glückes!«
Da trat Soun ein, bleich wie ein Mensch, dem die Seekrankheit achtundvierzig qualvolle Stunden lang schonungslos mitgespielt hat. So wie sein Herr war auch der Diener von Fu-Ning nach Shang-Haï zurückbefördert worden. Was er dabei gelitten, konnte man in seinen Zügen lesen.
Nachdem Kin-Fo sich der stürmischen Umarmung Wang’s entzogen hatte, drückte er seinen Freunden die Hände.
»Wahrhaftig, sagte er, so wie jetzt ist es doch besser. Ich bin ein Thor gewesen….
– Doch, Du kannst noch weise werden! warf der Philosoph ein.
– Ich will’s versuchen, antwortete Kin-Fo, und mit dem Bestreben, meine Angelegenheiten zu ordnen, den Anfang machen. Es läuft von mir in der Welt ein kleines Papier herum, das mir so viele Leiden verursacht hat, daß ich dasselbe nicht unbeachtet lassen kann. Was ist aus dem vermaledeiten Briefchen geworden, das ich Dir übergab, lieber Wang? Hast Du es wirklich aus den Händen gelassen? Es wäre mir wahrhaftig lieb, dasselbe wiederzusehen, denn wenn es nun dennoch an den Unrechten käme…. Ist Lao-Shen noch immer dessen Besitzer, so kann er, der die näheren Umstände kennt, doch unmöglich auf den Papierfetzen noch irgendwelchen Werth legen, und es würde mir sehr unlieb sein, wenn es in andere – weniger rücksichtsvolle – Hände fiele!«
Da schlugen Alle ein lautes Gelächter auf.
»Meine Freunde, nahm Wang das Wort, unser Kin-Fo hat von seinen Abenteuern doch den einen Nutzen mit heimgebracht, ein Mann geworden zu sein, der nicht mehr so gleichgiltig und theilnahmslos in die Welt hineinschaut wie früher, sondern sich um seine Angelegenheiten bekümmert..
– Das bringt mir aber, bemerkte Kin-Fo, meinen Brief, meinen albernen Brief, noch immer nicht wieder. Ich schäme mich nicht, einzugestehen, daß ich nicht eher Ruhe haben werde, als bis derselbe verbrannt und seine Asche in alle Winde verstreut ist!
– Du bestehst also auf der Wiedererlangung Deines Briefes?…. fragte Wang.
– Gewiß, antwortete Kin-Fo. Solltest Du grausam genug sein, ihn als Sicherstellung gegen einen etwaigen Rückfall in meine alten Thorheiten behalten zu wollen?
– O nein.
– Nun, so…
– Ja, lieber Freund und Schüler, der Erfüllung Deines Wunsches steht leider ein Hinderniß entgegen, an dem ich nicht die Schuld trage. Weder ich habe Deinen Brief, noch Lao-Shen….
Die liebenswürdige Le-U erschien, den berüchtigten Brief haltend. (S. 221.)
– Ihr habt ihn nicht mehr?
– Nein.
– So habt Ihr ihn vernichtet?
– Nein, das auch nicht.
– Ihr waret etwa gar so unvorsichtig, ihn fremden Händen anzuvertrauen?
– Ja freilich.
– Wem? Wem? forschte Kin-Fo, dessen Geduld zu Ende ging, dringender. Sage mir, wem?
– Einer Person, die ihn nur Dir selbst wiedergeben will!«
Da erschien die liebenswürdige Le-U, welche hinter einem Schirme verborgen dieser ganzen Scene mit beigewohnt hatte, den berüchtigten Brief in den Fingerspitzen haltend, während sie ihn fast herausfordernd, hin und her bewegte.
Kin-Fo eilte mit offenen Armen auf sie zu.
»Halt, ein wenig Geduld! rief die hübsche junge Frau, indem sie Miene machte, wieder hinter den Schirm zurückzuschlüpfen. Mein sehr weiser Herr Gemahl – erst die Geschäfte!«
Darauf hielt sie ihm das Schreiben unter die Augen.
»Erkennt das mein kleiner jüngerer Bruder wieder?
– Ob ich es erkenne! rief Kin-Fo. Wer anders als ich hätte einen so dummen Brief schreiben können?
– Nun, vor Allem also, sagte Le-U, und wie Du so lebhaft wünschtest, zerreiße, verbrenne, vernichte diese unklugen Zeilen. Möge dabei auch von dem Kin-Fo, der sie dereinst schrieb, nichts mehr übrig bleiben!
– Gern, gern! erwiderte Kin-Fo und hielt das leichte Papier in die Flamme. Doch nun, mein süßes Herz, laß’ Dich von dem Verlobten umarmen und Dich bitten, an dieser glücklichen Tafelrunde theilzunehmen. Ich denke, einer guten Mahlzeit alle Ehre anzuthun.
– Und wir auch, stimmten die fünf Gäste ein. Glücklichsein macht hungrig.«
Wenige Tage später wurde nach Aufhebung des kaiserlichen Verbotes die Hochzeit gefeiert.
Die beiden Gatten liebten sich herzlich, jetzt und immerdar. Tausend und zehntausend Glückseligkeiten bot ihnen die Zukunft!
Ja, man muß nach China gehen, uni Derartiges zu erleben!