»Eines, antwortete Kin-Fo, nur ein einziges, die übrigen will ich Dir schenken!«
Dann warf er einen Silber-Taël auf die Erde, auf den sich der Prophet wie ein verhungerter Köter, dem man einen guten Knochen anbietet, eiligst stürzte. Solch’ ein Glücksregen traf ihn nicht alle Tage.
Nachher begaben sich Wang und sein Schüler nach der französischen Kolonie hin, der Erstere in Gedanken über jene Vorhersagung, die mit seinen eigenen Ansichten über das Glück so auffallend übereinstimmte, der Andere in der Ueberzeugung, daß ihn keine Prüfung treffen könne.
So kamen sie am Gebäude des französischen Consulats vorbei, überschritten, eine Strecke weiterhin, die kleine Brücke über den Yang-King-Pang, und schlugen nun eine schräg durch die englische Niederlassung führende Richtung ein, um nach dem Quai des europäischen Hafens zu gelangen.
Jetzt läutete es zum Mittagsessen. Die vorher so lebhaften Geschäfte fanden wie durch Zauberschlag ein Ende. Der Arbeitstag war sozusagen geschlossen, nun folgte die Ruhe auf das Lärmen, selbst in der englischen Stadt, welche in dieser Beziehung ganz chinesisch geworden war.
Eben langten mehrere Schiffe, die meisten unter der Flagge des Vereinigten Königreichs, im Hafen an. Leider muß man sagen, daß unter je zehn neun derselben mit Opium befrachtet sind. Diese entnervende Drogue, mit der England das Reich der Mitte überschwemmt, veranlaßt einen Handel, dessen Werth mehr als zweihundert Millionen Mark beträgt und der wohl dreihundert Procent Nutzen abwirft. Vergebens bemühte sich die chinesische Regierung, die Einfuhr von Opium in das Himmlische Reich zu verhindern. Der Krieg von 1841 und der Vertrag von Nan-King haben den englischen Waaren unbehinderten Eingang und den Großmoguls des Handels gewonnenes Spiel gegeben. Hierzu kommt noch, daß, wenn die Regierung in Peking auch jeden Chinesen, der Opium verkaufen würde, mit dem Tode bedroht, doch selbst die höchsten Beamten derselben gegen klingende Münze darüber mit sich reden lassen. Man behauptet sogar, daß der Gouverneur von Shang-Haïjährlich eine Million dadurch allein gewinnt, daß er über die Hautirung seiner Unterbeamten ein Auge zudrückt.
Es versteht sich von selbst, daß weder Kin-Fo, noch Wang der abscheulichen Sitte des Opiumrauchens huldigten, welche den Organismus so allseitig schädigt und zu einem frühen Tode führt.
Niemals war eine Unze dieser Substanz in die reiche Wohnung gekommen, in der die beiden Freunde eine Stunde nach ihrer Landung am Quai von Shang-Haï anlangten.
Wang sagte da – wiederum ein bemerkenswerther Ausspruch von einem alten Taï-Ping:
»Vielleicht gäb’ es etwas Besseres zu thun, als durch jenen Import ein ganzes Volk zu verthieren! Der Handel ist an sich etwas recht Gutes, die Philosophie aber etwas weit Besseres! Vor allem Anderen sollten die Menschen Philosophen sein!«
Fußnoten
1 1 Piaster = M. 4·25 = fl. 2·12; 1 Taël = M. 6 bis 7 = fl. 3 bis 3 1/2; die Sapeke = 1/2 Pfennig = 1/4 Neukreuzer.
Viertes Capitel.
In welchem Kin-Fo einen wichtigen Brief, freilich um acht Tage verspätet, erhält.
Ein »Yamen« stellt eine Reihe verschiedener in gerader Linie errichteter Gebäude dar, den eine andere Reihe von Kiosks und Lusthäusern rechtwinkelig schneidet. Gewöhnlich dient ein Yamen als Amtswohnung für höhere Mandarinen und ist er im Besitze des Kaisers; doch verbietet kein Gesetz den reichen Chinesen, sich selbst einen solchen zu erbauen, und in einem dieser prachtvollen »Herrensitze« hauste auch der steinreiche Kin-Fo.
Wang und sein Schüler befanden sich vor dem geöffneten Hauptthore am Vordertheil der Mauer, welche die verschiedenen Baulichkeiten des Yamen und dessen Gärten und Hofräume umschloß.
Wäre dieser, statt des Sitzes eines reichen Privatmannes, die Residenz eines Staats-Mandarinen gewesen, so hätte sich unter dem reich geschnitzten und bemalten Vordache der Thür eine große Trommel befunden. An dieselbe schlagen dann, gleichviel ob am Tage oder in der Nacht, Diejenigen an, welche sich über irgend etwas zu beklagen hatten und Gerechtigkeit suchten. An Stelle dieser »Anklage-Trommel« schmückten hier den Eingang zum Yamen große Porzellanvasen mit kaltem Thee, für dessen Vorhandensein der erste Hausmeister stets Sorge zu tragen hatte. Der Inhalt jener Vasen stand jedem Vorübergehenden zur freien Verfügung, eine Freigebigkeit, welche Kin-Fo zu hoher Ehre gereichte.
Die Dienerschaft schritt ehrfurchtsvoll hinter ihnen. (S. 34.)
Er war in Folge dessen auch »wohlangesehen, wie man sagte, bei allen Nachbarn im Osten wie im Westen«.
Ein Schnitt mit scharfer Scheere. (S. 38.)
Bei der Ankunft des Herrn lief die ganze Dienerschaft des Hauses zur Begrüßung desselben am Thore zusammen. Kammerdiener, Läufer, Thorhüter, Chaisenträger, Stallknechte, Kutscher, Aufwärter, Nachtwächter, Köche, kurz Alles, was die Dienerschaft eines vornehmen chinesischen Hauses bildet, stand unter Anführung des Hausmeisters in Reih’ und Glied. Ein Dutzend nur für die niedrigsten Arbeiten gemiethete Kulis hielten sich etwas beiseite.
Der Hausmeister wünschte dem Herrn ein Willkommen. Dieser erwiderte dasselbe kaum durch eine Handbewegung und ging schnell vorüber.
»Soun! rief er kurz.
– Soun! antwortete Wang mit Lachen, wenn der da wäre, so wäre es Soun gar nicht mehr!
– Wo ist Soun?« wiederholte Kin-Fo.
Der Hausmeister mußte gestehen, daß Niemand von seinem Verbleiben wisse.
Soun nahm nun aber die Stelle des ersten Kammerdieners bei Kin-Fo selbst ein und Letzterer konnte ihn keinen Augenblick entbehren.
Soun war also wohl das Muster eines Dieners? Keineswegs. Keiner waltete seines Amtes nachlässiger als er. Zerstreut, bald dies, bald jenes vornehmend, ungeschickt in Worten und Werken, Feinschmecker im höchsten Grade, einigermaßen Störenfried, kurz, ein richtiger Chinese von der spanischen Wand, war er doch ein treu ergebener Mensch und allein im Stande, seinen Brotherrn zu erregen. Zwanzigmal des Tages fand Kin-Fo Ursache, über Soun böse zu werden, und wenn er ihn nur zehnmal ausschalt, so brachte es ihn doch ebenso viele Male aus seiner gewöhnlichen Trägheit und setzte seine Galle in Bewegung. Es war sozusagen wirklich ein hygienischer Diener.
Soun stellte sich übrigens, so wie die meisten chinesischen Dienstboten, selbst zur Entgegennahme der Bestrafung ein, wenn er eine solche verdient hatte. Sein Herr verschonte ihn damit niemals. Doch wenn es auch Rohrhiebe auf seinen Rücken hagelte, so kümmerte das Soun blutwenig. Ungemein empfindlich erwies er sich aber gegen die stückweisen Verstümmelungen, durch welche Kin-Fo seinen auf dem Rücken herabhängenden Zopf unnachsichtlich verkürzte, wenn es sich um ein ernsteres Vergehen handelte.
Es ist bekannt, welch’ hohen Werth die Chinesen im Allgemeinen auf dieses bizarre Anhängsel legen. Der Verlust des Zopfes ist die erste Strafe des Verbrechers, wodurch er Zeit seines Lebens geschändet wird. Auch der bedauernswerthe Kammerdiener fürchtete nichts mehr als die Verurtheilung zum Verluste eines Stückes dieses besten Schmuckes. Vor vier Jahren, als Soun in Kin-Fo’s Dienste trat, maß sein Zopf – eines der schönsten Exemplare im ganzen Himmlischen Reiche – gut ein und ein viertel Meter. Heute war er nur noch siebenundfünfzig Centimeter, also nicht einmal halb so lang.
Wenn das so fort ging, mußte Soun binnen zwei Jahren kahl sein!
Inzwischen durchschritten Wang und Kin’Fo, die Dienerschaft ehrfurchtsvoll hinter ihnen, den Garten, dessen meist in gebrannten Thongefäßen stehende Bäume höchst kunstreich, aber leider so albern beschnitten waren, daß sie in Form phantastischer Thiergebilde erschienen. Dann wandelten sie um das von »Gouramis« und rothen Fischen belebte Bassin, dessen klares Wasser vor den blaßrothen großen Blüthen der »Nelumbo«, der schönsten im Reiche der Blumen einheimischen Nymphäe, kaum zu sehen war. Sie begrüßten die hieroglyphische Darstellung an einer besonders dazu aufgeführten Mauer, welche eine symbolische, lebhaft gefärbte Frescomalerei bildete, und gelangten endlich nach der Hauptthür des Wohnhauses im Yamen.