Dieses Gebäude bestand aus einem Erdgeschoß mit einer Etage darüber, und war auf einer Terrasse, nach welcher sechs breite Marmorstufen hinaufführten, errichtet. Bambusflechtwerk vor den Thüren und Fenstern milderte durch einen Schatten einigermaßen die drückende Hitze und hinderte dabei doch nicht den Wechsel der Luft im Innern des Hauses. Das flache Dach des letzteren unterschied sich auffallend von den phantastischen Dachstühlen der innerhalb des Yamen launenhaft verstreuten Pavillons, die mit ihren seltsamen Zinnen, den bunten Dachziegeln und den seinen, Arabesken bildenden Backsteinen das Auge ergötzten.
Im Innern befanden sich, mit Ausnahme der eigentlichen Wohnzimmer für Kin-Fo und Wang, größere Räume, von den umgebenden kleineren Gemächern mittelst durchscheinender Wände getrennt, über welche sich gemalte Blumenguirlanden hinzogen oder Kernsprüche aus der chinesischen Moral, mit denen man überhaupt nicht geizig ist, zu lesen waren. Ueberall standen sonderbar gestaltete Sitze aus gebranntem Thon oder Porzellan, aus Holz oder Marmor, ohne hier ein Dutzend Polstermöbel von mehr einladender Weichheit zu übergehen; überall hingen Lampen und Laternen in mannigfachster Gestalt aus zartgefärbtem Glase, und mit Quasten, Fransen und dergleichen reichlicher ausgeputzt als ein spanisches Maulthier; vielfach standen auch jene kleinen Theetischchen umher, welche man »Tcha-ki« nennt und als unentbehrlichen Bestandtheil einer chinesischen Zimmereinrichtung ansieht. Bei Betrachtung der Kunstwerke aus gravirtem Elfenbein und Perlmutter, der eingelegten Bronzen, der Räuchergefäße, der mit Gold-und Silber-Filigranarbeiten geschmückten lackirten Gegenstände, der milchweißen und smaragdgrünen Nephrite, der runden oder prismatischen Vasen von der Dynastie der Ming und Tsing her, des noch gesuchteren Porzellans aus der Zeit der Dynastie der Yen, der Emailarbeiten mit rosenrothen und gelben durchscheinenden Wänden, deren Herstellung noch heute ein ungelöstes Räthsel ist, hätte man mehrere Stunden zwar nicht verloren, aber gewiß darauf verwenden müssen. Diese luxuriöse chinesische Wohnung zeigte mit einem Worte die ganze chinesische Phantasie in Verbindung mit dem Comfort Europas.
In der That gehörte Kin-Fo, wie wir es schon aussprachen und sein Geschmack es bezeugte, zu den Anhängern des Fortschrittes. Keiner neueren Erfindung der Abendländer gegenüber verhielt er sich ablehnend und gehörte der noch kleineren Kategorie der Söhne des Himmels an, welche es sich angelegen sein lassen, gründliche Kenntnisse der Chemie und Physik zu erwerben. Er hielt sich fern von den Barbaren, deren ruchlose Hand die Telegraphendrähte durchschnitt, welche die Firma Reynolds bis Wusung hinleiten wollte, um die mit der englischen und amerikanischen Post anlangenden Nachrichten schneller zu verbreiten; wie von jenen befangenen Mandarinen, welche, um die Anheftung des unterseeischen Kabels zwischen Shang-Haï und Hong-Kong an dem Gebiete des Reiches zu umgehen, die Unternehmer zwangen, dasselbe auf einem in dem Flusse verankerten Fahrzeuge zu befestigen.
Im Gegentheil! Kin-Fo stimmte Denen bei, die das Gouvernement lobten, die Arsenale und Werften von Fu-Chao unter Leitung französischer Ingenieure angelegt zu haben. Er besaß auch Antheilscheine der chinesischen Dampfer-Gesellschaft, welche in rein nationalem Interesse den Verkehr zwischen Tien-Tsin und Shang-Haï besorgt, und war ebenso betheiligt an den schnellsegelnden Schiffen, welche die englische Post von Singapore um drei bis vier Tage überholen.
Wie erwähnt, drangen ihm die neuzeitlichen Fortschritte leicht in Fleisch und Blut ein. So setzten z.B. telephonische Apparate die einzelnen Baulichkeiten seines Yamen miteinander in Verbindung. Elektrische Klingeln befanden sich in allen Räumen der Wohnung. Während der kalten Jahreszeit ließ er Feuer anzünden und wärmte sich ohne Scheu vor der Landessitte, vernünftiger als seine Mitbürger, welche vor dem leeren Herde trotz ihrer vierund fünffachen Bekleidung zittern vor Frost. Er erleuchtete sein Haus mit Gas, so gut wie der Oberzoll-Inspector von Peking oder der steinreiche Mr. Yang, der Hauptbesitzer der Leihanstalten im Reiche der Mitte. Endlich benützte der fortschrittliche Kin-Fo unter Vermeidung des veralteten Hilfsmittels der Schrift bei seiner vertraulichen Correspondenz – wie wir bald sehen werden – den von Edison kürzlich zu hoher Vollkommenheit entwickelten Phonographen.
Dem Schüler Wang’s fehlte es also, sowohl nach materieller als auch nach geistiger Seite, eigentlich an nichts, um glücklich zu sein. Und doch war er es nicht! Er hatte sogar Soun, um seinen Unmuth täglich an Jemand auszulassen, doch auch Sonn konnte ihm das gesuchte Glück nicht gewähren.
Eben jetzt zeigte sich von Sonn, der überhaupt niemals am rechten Platze war, nicht die leiseste Spur. Er mochte wohl irgend einen bedeutenderen Fehler, irgend eine grobe Dummheit während der Abwesenheit des Herrn begangen haben, und wenn auch nicht für seinen Rücken, der sich an den darauf tanzenden Rohrstock schon genügend gewöhnt hatte, so fürchtete er, allem Anscheine nach, doch desto mehr für seinen geliebten Zopf.
»Soun! rief Kin-Fo noch einmal, als er in den Vorraum mit den Eingängen zu den Salons der rechten und linken Seite trat, während der Ton seiner Stimme eine schlecht verhehlte Ungeduld erkennen ließ.
– Soun! wiederholte auch Wang, dessen Ermahnungen und gute Rathschläge bei dem unverbesserlichen Diener immer erfolglos verhallten.
– Man suche Soun und bringe ihn mir her!« befahl Kin-Fo, sich an den Hausmeister wendend, der sofort alle Füße zur Aufsuchung des Unsichtbaren in Bewegung setzte.
Wang und Kin-Fo blieben allein.
»Die Weisheit, begann der Philosoph, empfiehlt dem Reisenden, der nach seinem Herd zurückgekehrt, sich einige Ruhe zu gönnen.
– Seien wir also weise!« antwortete gelassen der Schüler Wang’s.
Er drückte leise des Philosophen Hand und begab sich in sein Zimmer, während Wang sich in das seinige zurückzog.
Als er allein war, streckte sich Kin-Fo auf einem jener weichen Divans europäischen Fabrikats aus, welche ein chinesischer Tapezierer nimmer hätte in gleicher Weise herstellen können. Er versank in Nachdenken. Sann er nach über seine Heirat mit der liebenswürdigen hübschen Frau, welche die Gefährtin seines Lebens werden sollte? Wahrscheinlich, denn schon am nächsten Tage wollte er ja zu ihr hineilen. Die Erwählte seines Herzens wohnte nämlich nicht selbst in Shang-Haï. Sie weilte in Peking, und Kin-Fo hielt es für passend, ihr gleichzeitig mit der Nachricht von der Rückkehr nach Shang-Haï seine nahe bevorstehende Ankunft in der Hauptstadt des Himmlischen Reiches anzumelden. Es darf wohl nicht wundernehmen, wenn sich in ihm ein lebhafter Wunsch, ja eine gewisse Sehnsucht regte, sie wiederzusehen. Er war ihr ja wirklich mit aufrichtiger Neigung zugethan. Wang hatte ihm das nach den unbestreitbarsten Regeln der Logik bewiesen, und dieses in sein Leben neu eintretende Element konnte ihn vielleicht ein noch unbekanntes Etwas bieten, nämlich das Glück…. das…. welches…. von dem….
Träumend schloß der gute Kin-Fo die Augen und wäre jetzt gewiß sanft eingeschlummert, wenn er nicht plötzlich ein gewisses Kitzeln in der rechten Hand gefühlt hätte.
Instinctmäßig schlossen sich seine Finger und erfaßten dabei einen cylindrischen Körper mit schwachen Knoten und von ansehnlicher Länge, den sie gewiß richtig anzuwenden gewohnt waren.
Kin-Fo konnte sich nicht darüber täuschen, daß ein Rohrstock in seine Hand geglitten war, denn gleichzeitig klangen ihm auch einige mit höchst resignirter Stimme gesprochene Worte in’s Ohr: