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»Wann es dem Herrn beliebt!« verstand er erwachend.

Kin-Fo erhob sich und schwang, wie in Folge einer natürlichen Bewegung, das elastische Besserungs-Instrument.

Vor ihm stand tief zusammengebückt der zerknirschte Soun und bot ihm geduldig die breiten Schultern. Mit der einen Hand stützte er sich dabei auf den Teppich des Zimmers, mit der anderen hielt er seinem Richter einen Brief hin.

»Bist Du endlich da, Du Schlingel! herrschte ihn Kin-Fo an.

– Ai, ai, ya! seufzte Soun. Ich erwartete den Herrn erst in der dritten Wache! Wann es Ihnen beliebt.«

Kin-Fo warf den Rohrstock zur Erde. So gelb Sonn von Natur auch aussah, jetzt wurde er doch bleich wie Wachs.

»Wenn Du den Rücken ohne jede Erklärung herhältst, so hast Du auch mehr verdient als das! Was ist geschehen?

– Hier, dieser Brief!….

– So rede doch! rief Kin-Fo, den Brief aus Soun’s Händen nehmend.

– Ich war so ungeschickt, zu vergessen, Ihnen diesen Brief vor der Abreise nach Canton auszuhändigen.

– Um acht Tage verspätet!

– Ja, Herr, ich habe Unrecht gethan!

– Hierher!

– Ich bin wie eine arme Krabbe ohne Füße, die nicht fort kann! Ai, ai, ya!«

Die letzteren Ausrufe waren ein Schrei der Verzweiflung, denn Kin-Fo hatte Soun am Zopfe gepackt und schnitt ihm mit scharfer Scheere das Ende desselben ab.

Man muß wohl annehmen, daß der Krabbe die Füße schnell wieder gewachsen waren, wenigstens lief der arme Teufel eiligst davon, ohne sich sogar um den auf der Erde liegenden Appendix seines Kopfschmuckes zu bekümmern.

Von siebenundfünfzig Centimeter Länge war Soun’s Zopf auf fünfundvierzig eingeschrumpft.

Gänzlich beruhigt, hatte sich Kin-Fo wieder auf den Divan geworfen und betrachtete, als habe er nicht die geringste Eile, das seit acht Tagen eingetroffene Schreiben. Er zürnte Soun ja nur wegen der Nachlässigkeit, nicht wegen der Verspätung. Was in aller Welt konnte dieser Brief auch besonders Interessantes enthalten? Für ihn hatte er doch dann allein einen Werth, wenn er ihn zu erregen vermochte. Aber was konnte diese Macht haben?

Er betrachtete ihn also doch nur zerstreuten Blickes.

Der aus Steifleinwand bestehende Umschlag zeigte auf beiden Seiten etwas weinrothe und chocoladebraune Briefmarken und unter dem Kopfbilde eines Mannes auf denselben die Bezeichnung »zwei« und »sechs Cents«.

Hieraus war zu ersehen, daß die Sendung aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika herrührte.

»Schön! murmelte Kin-Fo achselzuckend, nichts als eine Mittheilung meines Correspondenten in San-Francisco!«

Und er warf den Brief verächtlich in eine Ecke des Divans.

Was konnte ihm jener Correspondent auch zu melden haben? Daß die Papiere, welche nahezu sein ganzes Vermögen repräsentirten, ruhig in den Schränken der Californischen Centralbank lagen, daß seine Actien um 15 oder 20 Procent gestiegen seien oder daß die diesjährige Dividende die des Vorjahres übersteigen werde u.s.w.

Einige Tausend Dollars mehr oder weniger, das konnte ihn nicht aus der gewohnten Ruhe bringen!

Ganz gedankenlos ergriff er einige Minuten später den Brief auf’s Neue und zerriß mechanisch dessen Couvert; statt ihn jedoch zu lesen, sah er nur nach dessen Unterschrift.

»Richtig, sprach er für sich, es ist ein Schreiben meines Correspondenten. Der kann mir nur von Geschäften reden! Das hat Zeit bis morgen!«

Schon wollte Kin-Fo den Brief ein zweites Mal beiseite legen, als sein Auge plötzlich auf ein, in den Zeilen der Vorderseite des zweiten Blattes wiederholt vorkommendes, besonderes Wort fiel. Es war das Wort »Passiva«, auf welches der amerikanische Correspondent die Aufmerksamkeit seines Clienten in Shang-Haï offenbar absichtlich besonders hinzulenken bemüht gewesen schien.

Jetzt erst sah Kin-Fo nach dem übrigen Inhalte der Zeilen und las dieselben vom Anfang bis zum Ende, nicht ohne eine bei ihm immerhin etwas auffällige Neugier.

Einen Augenblick lang zogen sich seine Augenbrauen zusammen; bald aber, als er zu Ende gekommen, spielte wieder ein verächtliches Lächeln um seine Lippen.

Kin-Fo erhob sich darauf, ging mehrmals im Zimmer auf und ab und näherte sich auch dem Sprachrohre, das ihn mit Wang in unmittelbare Verbindung setzte. Schon setzte er das Mundstück an, um den Genannten anzurufen; doch er besann sich eines Besseren, ließ den Kautschuk fallen und streckte sich wieder auf dem Divan aus.

»Pah!« machte er, tief athmend.

Der ganze Kin-Fo sprach sich in dieser Silbe aus.

»Und sie! murmelte er. Sie ist bei der ganzen Geschichte eigentlich viel mehr interessirt als ich!«

Er näherte sich darauf einem lackirten Tischchen, auf dem ein länglich viereckiges, kostbar geschnitztes Kästchen stand. Schon wollte er es öffnen, doch zögerte seine Hand noch einmal.

»Was enthielt denn ihr letzter Brief?« murmelte er.

Statt den Deckel jenes Kästchens zu lüften, löste er jetzt eine Feder an dessen schmaler Seite aus.

Sofort ließ sich eine sanfte Stimme vernehmen.

»Mein lieber kleiner älterer Bruder! Bin ich nicht mehr Deine Meihua-Blume im ersten Monde, Deine Aprikosenblüthe im zweiten und Deine Pfirsichblüthe im dritten Monde? Mein theures Herz von kostbarem Edelstein, ich grüße Dich tausend, zehnmal tausendmal!….«

Es war die Stimme der jungen Witwe, deren zärtliche Worte der Phonograph naturgetreu wiedergab.

»Arme kleine jüngere Schwester!« sagte Kin-Fo.

Dann öffnete er das Kästchen, entnahm demselben das mit seinen Strichen bedeckte Blättchen, welches eben alle Modulationen der entfernten Stimme getreulich hervorgebracht hatte, und ersetzte es durch ein anderes.

Der Phonograph besaß schon die vollendete Construction, daß es hinreichte, mit mäßig lauter Stimme hineinzusprechen, um die schwingende Membran in Bewegung zu setzen, wobei eine durch Uhrwerk gleichmäßig getriebene Welle die Worte auf dem eingelegten Blättchen fixiren ließ.

Etwa eine Minute lang sprach Kin-Fo. Aus seiner gleichmäßig ruhigen Stimme hätte Niemand errathen können, ob ihm die Gedanken unter dem Einflusse der Freude oder Traurigkeit aufstiegen.

Drei bis vier Sätze, nicht mehr, das war Alles, was Kin-Fo sprach. Dann hemmte er die Bewegung des Phonographen und entnahm demselben das Blättchen, auf welchem die von der Membran bewegte Nadel feine schiefe Striche verschiedener Länge, seinen Worten entsprechend, erzeugt hatte; dieses Blättchen schob er in ein Couvert ein, versiegelte dasselbe und schrieb darauf, doch von der rechten zur linken Seite:

»Ist schon geschehen!« antwortete Mamsell Nan. (S. 46.)

»Madame Le-U,

Cha-Cyua-Allee.

Peking.«

Eine elektrische Klingel rief sofort den Diener herbei, dem die Beförderung der Correspondenz oblag. Er erhielt Auftrag, den Brief sofort zur Post zu besorgen.

Eine Stunde später schlummerte Kin-Fo ganz friedlich, wobei er in den Armen seinen »Tchu-Fu-jen« hielt, das ist eine Art Schlummerrolle aus seinem Bambusgeflecht, mittelst welcher man sich auch in chinesischen Betten eine unter jenen warmen Himmelsstrichen besonders geschätzte erträgliche Temperatur zu sichern vermag.

Fünftes Capitel.

In welchem Le-U einen Brief erhält, den sie wahrscheinlich lieber nicht erhalten hätte.

»Du hast noch keinen Brief für mich?

– Nein, Madame!

– O, wie mir die Zeit so lang wird, alte Mutter!«

So sagte die reizende Le-U wohl schon zum zehnten Male in ihrem Boudoir der Cha-Chua-Allee in Peking. Die »alte Mutter«, die ihr antwortete und der sie diese, in China für bejahrtere Dienerinnen gebräuchliche Bezeichnung gab, war die mürrische und nichts weniger als angenehme Mamsell Nan.