Nach seinem Dafürhalten stand ihm am Ende eines großen Abenteuers eine Belohnung zu, und diese Früchte sollten es sein.
Der Ast, auf dem er saß, war dick und stark, und einer der Ausleger befand sich in Reichweite einer Fruchttraube. Plötzlich war Hewlitt nicht mehr müde. Er krabbelte auf dem Ast entlang und griff dabei vorsichtig nach den daran wachsenden Zweigen, um einen besseren Halt zu haben.Die Sonne ging immer weiter hinter den Bäumen unter, so daß die niedrigeren Äste und Zweige unter ihm nur noch schwer zu erkennen waren und sich die Schlucht als ein dunkelgrüner, verschwommener Fleck darstellte. Als die Fruchttraube beinahe seinen Kopf berührte, blickte er nicht mehr nach unten, und während er versuchte, eine der Früchte abzureißen, zerquetschte er sie versehentlich. Mit der zweiten war er vorsichtiger, und sie löste sich in einem Stück.
Die Frucht sah wie eine große Birne aus, doch keine der Birnen, die er auf Videobändern über die Erdvegetation gesehen hatte, hatte dunkelgrüne und gelbe Streifen, die senkrecht vom Stengel bis zum breiten Ende verliefen. Durch das Zerquetschen der einen Frucht wußte er bereits, daß sie mit Saft gefüllt war, und diese war so schwer und matschig, daß sie sich wie ein mit Wasser gefüllter Luftballon anfühlte. Der Saft, der ihm über die Hand gelaufen war, begann zu trocknen, und Hewlitt beobachtete, wie der letzte feuchte Fleck auf dem Handgelenk verdunstete.
Er hatte immer noch Hunger, und er wollte etwas Festes essen, andererseits hatte er nach all der Kletterei auch viel Durst, so daß ein kaltes Fruchtsaftgetränk auch nicht zu verachten gewesen wäre. Also klammerte er sich nur mit den Beinen am Ast fest und nahm die Frucht in beide Hände.
Der Saft hatte einen komischen Geschmack, weder gut noch widerlich. Da sich Hewlitt nicht schmutzig machen wollte, biß er ein kleines Loch in die Haut und saugte die Frucht leer. Als er mit den Fingern das Loch erweitern wollte, brach die Schale entlang einer der grün-gelben Linien auf, und er entdeckte, daß sie innen noch gar nicht leer war. Neben dem Saft befand sich darin eine gelbe, schwammige Masse, die in der Mitte schwarze Kerne enthielt. Während er den Inhalt aß, spuckte er die Kerne aus, weil sie auf der Zunge brannten. Das Fruchtfleisch schmeckte zwar genauso wie der Saft, füllte aber seinen Magen besser aus.
Noch während er darüber nachdachte, ob er die Frucht mochte oder nicht und ob er noch eine weitere essen sollte, bekam er in regelmäßigen Abständen Magenschmerzen, die von Mal zu Mal schlimmer wurden.
Zum ersten Mal, seit er das Haus verlassen hatte, bekam er es mit derAngst und wollte heim. Er begann rückwärts auf dem Zweig in Richtung des Baumstamms zu rutschen, um von dort aus nach unten zu klettern, aber die Magenschmerzen waren inzwischen so schlimm, daß er laut aufschrie und weinen mußte, und wegen der vielen Tränen konnte er kaum sehen, was er tat. Dann spürte er einen solch stechenden Schmerz, daß er sich instinktiv mit beiden Händen an den Bauch faßte und seitlich abrutschte. Für einen Augenblick hing er kopfüber am Ast, denn mit den Beinen klammerten er sich noch immer fest darum. Als er jedoch versuchte, sich wieder nach oben zu ziehen, wurden die Schmerzen so stark, daß er an nichts anderes mehr denken konnte. Er ließ los und fiel hinunter.
Er sah, wie sonnige und schattige Blätter an ihm vorbeipeitschten, und fühlte, wie ihm Zweige gegen Rücken, Arme und Beine schlugen. Dann war es für einen kurzen Moment völlig still und dunkel. Er wußte erst wieder, wo er war, als er auf den steilen Hang der Schlucht aufschlug und weiter nach unten rollte. Auf einmal taten ihm Arme, Beine und Rücken genauso weh wie sein Magen. Dann schlug er mit der rechten Schläfe und Körperseite gegen etwas, das unter seinem Gewicht zerbrach, und auf einmal waren seine Bauchschmerzen und alles andere um ihn herum verschwunden.
Beim Klang vieler Stimmen, von denen zwei zu seinen Eltern gehörten, und beim Scheinwerferlicht, das ringsherum die Schlucht bis auf den Grund beleuchtete, erwachte er wieder. In dem Lichtstrahl konnte er einen Erwachsenen erkennen, der eine Monitorkorpsuniform trug und mit einem Antischwerkraftgürtel zu ihm herabschwebte. Seine Eltern und einige Leute anderer Spezies kletterten auf Händen und Füßen oder was auch immer den Hang herunter.
Der Monitoroffizier landete direkt neben ihm, kniete sich hin und sagte: »Na prima, junger Mann, du bist also bei Bewußtsein, wie? Was hast du bloß angestellt? Aber erst mal sag mir, wo's weh tut.«
»Im Moment tut nichts weh«, antwortete Hewlitt, wobei er mit einen Hand gegen die Magengrube drückte und dann die Schläfe abtastete. »Es tut nirgendwo weh.«»Sehr schön«, sagte der Mann und holte aus einem Beutel, den er an der Schulter trug, ein flaches Gerät hervor, das auf einer Seite einen kleinen leuchtenden Bildschirm hatte, und bewegte es langsam über Hewlitts Kopf, Gliedmaßen und Körper.
»Ich habe ein paar Früchte von dem Baum dort oben gegessen«, berichtete Hewlitt. »Davon habe ich schreckliche Bauchschmerzen bekommen und bin dann vom Ast gefallen.«
»Das ist aber ein sehr großer Baum«, sagte der Mann in demselben Ton, den sein Vater immer anschlug, wenn er glaubte, Hewlitt würde ihm ein Lügenmärchen auftischen. »Nimm deine Hände wieder runter, und beweg dich nicht, bis ich mit der Untersuchung fertig bin. Bist du nach dem Sturz irgendwann einmal eingeschlafen?«
»Ja, aber ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe. Als ich runterfiel, ging die Sonne gerade unter. Sie haben mich aufgeweckt.«
»Bewußtlos für vier, vielleicht fünf Stunden«, murmelte der Mann mit besorgter Stimme. »Wenn ich dir jetzt beim Hinsetzen helfe, sag mir, ob irgend etwas weh tut, in Ordnung? Ich möchte deinen Kopf scannen.«
Dieses Mal bewegte der Monitoroffizier den Scanner sehr langsam über das ganz Gesicht, an den Schläfen entlang bis zum Hinterkopf und über den Nacken. Dann packte er das Gerät wieder in den Beutel und stand auf. Bevor Hewlitt noch etwas sagen konnte, waren bereits seine Eltern eingetroffen. Seine Mutter kniete neben ihm nieder und nahm ihn so fest in beide Arme, daß er kaum noch Luft bekam, und sie schluchzte vor Erleichterung, während sein Vater dem Mann mit der Uniform Fragen stellte.
»Der junge Mann hat sehr viel Glück gehabt«, hörte Hewlitt den Monitorarzt leise antworten. »Wie Sie sehen können, ist seine Kleidung zwar völlig zerfetzt, wahrscheinlich vom Spielen inmitten des Kriegsschrotts und von der langen Strecke, die er hier in die Schlucht hinuntergerutscht ist, aber ansonsten hat er keinen Kratzer abbekommen. Er hat mir erzählt, daß er etwas Obst von dem Pessinithbaum dort oben gegessen und davonMagenkrämpfe bekommen habe. Dann sei er vom Baum runtergefallen und seit Sonnenuntergang bewußtlos gewesen. Nun, es ist zwar nicht meine Art, mich mit einem Kind zu streiten, das übermäßig viel Phantasie besitzt, aber die Tatsachen stellen sich wohl doch anders dar. Die Magenverstimmung ist verschwunden, und ein Sturz aus der Baumkrone hätte Schnittwunden, Prellungen, Brüche und eine Gehirnerschütterung zur Folge haben müssen, aber seine Haut ist nicht einmal abgeschürft. Eine vier- bis fünfstündige Bewußtlosigkeit müßte irgendwelche traumatischen Folgen haben, die ich aber nicht feststellen konnte.
Vom Zustand der Kleidung her«, fuhr der Monitor fort, »würde ich sagen, daß er zwischen den Wracks so lange gespielt hat, bis er völlig übermüdet war und einfach eingeschlafen ist, als er hier hinunterklettern wollte. Durch die Magenschmerzen und den angeblichen Sturz möchte er wahrscheinlich nur an ihr Mitleid appellieren, um so vom elterlichen Zorn abzulenken.«