»Ich bin Forgianerin, Patient Hewlitt«, sagte das Wesen und nahm einen Scanner aus der Ausrüstungstasche, die an seinem Körper festgeschnallt war. »Da ich zur Zeit die einzige Vertreterin meiner Spezies in diesem Krankenhaus bin, und wir kein Volk sind, das viel herumreist, hoffe ich, daß Sie durch die erste Begegnung mit einer Forgianerin seelisch nicht zu sehr belastet werden. Mein Interesse gilt der Allgemeinchirurgie fremder Spezies, und deshalb werde ich Sie, natürlich nur mit ihrer Erlaubnis, vom Kopf bis zu den nicht als Greiforgane dienenden Zehen Ihrer Füße untersuchen…«Ein großer Schmetterling mit einer tadellosen Art im Umgang mit Patienten, staunte Hewlitt in Gedanken.
»… Sie sind nicht der erste DBDG-Terrestrier, den ich untersuche und über den ich für meine späteren Studien Aufzeichnungen mache«, fuhr die Forgianerin fort. »Aber die anderen waren, wie es bei Patienten in einem Krankenhaus nun mal üblich ist, krank oder verletzt. Sie hingegen sind offenbar ein perfektes Untersuchungsexemplar und als solches für mich insbesondere für Vergleichszwecke interessant. Ich beginne jetzt damit, den Puls an der Schläfe, an der Halsschlagader sowie am Handgelenk zu messen. Wenn man bei einem Notfall keinen Scanner zur Verfügung hat, muß man diese Methode nämlich auch so beherrschen können.«
Der Kopf des Schmetterlings kippte nach vorn und neigte sich dann so zur Seite, daß einer der Fühler sowohl Hewlitts Schläfe als auch Hals berührte, und zwar so zart, daß er es mit geschlossenen Augen nicht einmal gemerkt hätte.
»Bei dem Gerät, das ich benutze, wird es nicht nötig sein, daß Sie sich ganz frei machen, insbesondere nicht im Genitalbereich«, erklärte ihm die Forgianerin. »Aufgrund meiner Studien der Verhaltensweisen Ihrer Spezies weiß ich, daß es bei Terrestriern ein Nacktheitstabu gibt, und sie sehr empfindlich reagieren können, wenn sie ihren Intimbereich offen zeigen sollen. Glauben Sie mir, ich habe nicht die Absicht, Sie in Verlegenheit zu bringen, Patient Hewlitt, ob Sie nun männlich oder weiblich sind… «
»Du meine Güte, man sieht doch auf den ersten Blick, daß das ein männlicher Terrestrier ist!« fuhr eine Kelgianerin dazwischen. »Man braucht sich doch nur diese flachen und verkümmerten Brustdrüsen anzusehen. Selbst durch das Nachtgewand hindurch kann man die Konturen seiner Brust erkennen, oder besser gesagt: Man kann sie eben nicht erkennen. Bei Frauen sind sie vollständig entwickelt und verleihen der DBDG-Frau das für sie typische oberlastige Erscheinungsbild …«
Die Kelgianerin hielt abrupt inne, weil Medalont eine Zange hob und zweimal laut damit klickte. »Das reicht!« fuhr er entschieden dazwischen. »Jetzt ist wirklich nicht der Zeitpunkt für interne Auseinandersetzungen,zumal der Patient alles mithören kann und vielleicht seine eigenen Schlüsse bezüglich Ihrer medizinischen Kenntnisse zieht.«
Als nächstes trat die Kelgianerin vor, die für die Unterbrechung verantwortlich war. Sie stand auf den drei hinteren, raupenartigen Beinpaaren und schlängelte sich wie ein pelziges Fragezeichen über das Bett; bekanntermaßen verhielten sich kelgianische Wesen auch Patienten gegenüber alles andere als rücksichtsvoll.
»Die Untersuchung, die ich durchführen werde, wird ähnlich wie die meiner forgianischen Kollegin verlaufen«, sagte sie. »Darüber hinaus möchte ich Ihnen allerdings einige Fragen stellen. Meine erste Frage lautet: Was hat ein anscheinend gesunder Patient wie Sie in einem Krankenhaus zu suchen? Dem Krankenbericht des Chefarztes zufolge sind Sie in klinischer Hinsicht gesund, wenn man davon absieht, daß bei Ihnen ohne erkennbaren Grund lebensbedrohliche Herzbeschwerden aufgetreten sind. Was fehlt Ihnen, Patient Hewlitt? Besser gesagt: Was glauben Sie selbst, was Ihnen fehlen könnte?«
»Zum hundertsten Maclass="underline" Ich weiß es nicht!« fauchte Hewlitt wütend.
Wie bei dieser Spezies üblich, benahm sich auch diese Kelgianerin ausgesprochen unhöflich, ehrlich und sehr direkt, denn sie wußte einfach nicht, wie man sich anders verhalten konnte. Hätte sich Hewlitt seinerseits genauso wie die Kelgianerin aufgeführt, wäre sie kein Stück beleidigt gewesen, da Höflichkeit und Diplomatie für sie Fremdwörter waren. Das war eins der Dinge, die er seit seiner Ankunft in dieser Irrenanstalt, die man offiziell als Krankenhaus bezeichnete, gelernt hatte, und wenn er die Gelegenheit beim Schöpf faßte und die richtigen Fragen stellte, bot sich ihm nun erstmalig die Möglichkeit, sich dieses Wissen nutzbar zu machen.
Außerdem wußten Kelgianer nicht, wie man lügt.
»Der Zustand tritt ohne ersichtliche Ursache und, ohne Vorwarnung in Abständen auf«, fuhr Hewlitt deshalb fort. »Aber das müßten Sie ja auch aus meiner Krankenakte wissen. Was geht eigentlich sonst noch daraus hervor?«»In der Akte wird des weiteren die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß Sie selbst die Hauptursache sind«, antwortete die Kelgianerin geflissentlich, »und daß der Krankheitszustand durch eine heftige hysterische Reaktion hervorgerufen wird, deren Auslöser wiederum eine tiefsitzende Psychose ist, die sich auch auf physischer Ebene äußern kann. Um diese Theorie nachzuweisen oder auch zu widerlegen, wurde eine genaue psychologische Untersuchung angeordnet. Und jetzt drehen Sie sich auf die linke Seite.«
Hewlitt blickte sofort zu Braithwaite hinüber, der schmunzelnd an die Decke sah, und sagte dann: »Bislang gibt es keinen einzigen Beweis einer existierenden Psychose, sei sie nun tiefverwurzelt oder sonst was, und zwar deshalb, weil es einfach keine zu finden gibt. Hätte es in meiner Kindheit ein Erlebnis oder gar ein Verbrechen gegeben, das seither in meinem Unterbewußtsein vergraben liegt und so gräßlich und schmerzlich gewesen ist, daß ich mich gezwungen sah, es zu vergessen, dann hätte ich bestimmt Erinnerungslücken oder würde ständig von Alpträumen geplagt. Auf alle Fälle müßte es unter diesen Umständen irgendwelche anderen Symptome als den plötzlichen Eintritt eines Herzstillstands geben, oder was meinen Sie?«
Das Fell der Kelgianerin bewegte sich von der Nase bis zu dem Körperabschnitt, der von der Bettkante verdeckt wurde, in schnellen unregelmäßigen Wellen, als sie antwortete: »Ich bin zwar keine Psychologin für Terrestrier und noch nicht einmal für Kelgianer, dennoch stimme ich mit Ihnen nicht überein. Es ist allgemein anerkannt, daß verdrängte Erlebnisse starke Auswirkungen auf den allgemeinen Gesundheitszustand eines Wesens haben, und je höher der Verdrängungsgrad ist, desto schwerer ist es, diese Probleme zu entdecken. Es verbirgt sich etwas in Ihrem Unterbewußtsein, das nicht zum Vorschein kommen will. Falls dieses verdrängte Erlebnis solch eine Bedrohung für Sie bedeutet, daß es einen Herzstillstand oder andere Symptome verursachen kann, wie sie ja bereits in der Vergangenheit während ähnlicher Anlässe aufgetaucht sind, dann muß das Problem sehr sorgfältig lokalisiert, identifiziert und aufgedeckt werden, damit Sie diesen Prozeß unversehrt überstehen.«Diesmal blickte die Kelgianerin zu Braithwaite hinüber, der zustimmend nickte. Also glaubten wieder einmal alle, daß sich bei ihm alles nur im Kopf abspielte. Hewlitt versuchte, seine aufsteigende Wut zu unterdrücken, was aber eigentlich unnötig war, wenn man sich mit einer Kelgianerin unterhielt, und sagte: »Und wie sollte man dieses verdrängte Problem Ihres Erachtens nach am besten aufdecken und identifizieren?«
Einen Moment lang herrschte Stille, die Medalont schließlich mit dem Einwurf durchbrach: »Der Patient scheint jetzt seine Ärztin prüfen zu wollen. Obwohl ich zugeben muß, daß mich die Antwort auch interessiert.«
Das Fell der Kelgianerin richtete sich stachelig auf und legte sich wieder, bevor sie antwortete: »Bisher ist Chefarzt Medalont außerstande gewesen, eine medizinische Ursache für Ihren Zustand festzustellen, Patient Hewlitt. Andererseits hat Lieutenant Braithwaite auch keine Anzeichen für eine schwere psychische Störung entdecken können. Wenn es aber etwas gibt, dann müssen Sie etwas merken, Sie müssen fühlen, daß etwas mit Ihnen nicht stimmt, wie schwach diese Empfindung auch immer sein mag. Deshalb schlage ich vor, daß eine noch genauere Untersuchung Ihres Gefühlsleben vorgenommen werden sollte, und zwar eine gründlichere als die mündliche Befragung seitens des Lieutenants.