»Während der ersten paar Spiele werden wir Sie noch schonend behandeln und Sie auf Ihre Fehler hinweisen«, merkte Horrantor mit einem unübersetzbaren Geräusch an, das wahrscheinlich einem tralthanischen Lachen entsprach. »Ich denke, daß Sie jetzt die Regeln gut genug beherrschen und wir beginnen können.«
»Aber noch nicht gut genug, um bereits auch mit dem Schummeln beginnen zu können«, meinte Bowab, während er dichter ans Bett heranrückte.
»Ach ja, das Schummeln, das hätte ich fast vergessen«, pflichtete ihm die Tralthanerin bei. »Sie müssen immer daran denken, daß Ihre Gegner versuchen werden, Sie zu betrügen. Das bedeutet, daß sie auch körperliche Vorteile auf jede nur denkbare Art Ihnen gegenüber ausnutzen werden, und sei es auch noch so unfair. Wenn ich beispielsweise so neben Ihnen stehe, dann kann ich, obwohl Sie es bisher wahrscheinlich noch gar nicht bemerkt haben, eins meiner Auge so zur Seite ausstrecken, daß ich Ihnen direkt in die Karten sehen kann. Außerdem können die Duthaner ihr Sehschärfe genau auf ein Objekt einstellen, in diesem Fall sind es Ihre Augen, wenn es in einer bestimmten Entfernung verharrt. Ihre Karten werden klar und deutlich in Ihren Augen widergespiegelt, insbesondere die Karten, die Sie in der Hand halten, deshalb sollten Sie die Sicht Ihres Gegners blockieren, indem Sie die Augen zusammenkneifen und durch Ihre komischen Haarfransen an den Rändern der oberen und unteren Verschlußklappen hindurchblinzeln. Es werden noch geschicktere Methoden angewandt, umjemanden zu betrügen, aber am Anfang werden wir Ihnen die Möglichkeit bieten, sie wahrzunehmen, damit Sie entsprechend darauf reagieren können.«
»D… danke, ich… ich …«, stammelte Hewlitt.
»Schluß jetzt mit dem Gerede! Lassen Sie uns endlich anfangen!« fuhr Morredeth ungeduldig dazwischen.
Die nächsten zwei Stunden vergingen sehr schnell, bis die hudlarische Schwester kam und ankündigte, daß jetzt das Abendessen serviert werde.
»Wenn Sie sich weiter unterhalten oder ihre Aktivitäten fortsetzen wollen, können Sie ja zusammen an dem Tisch vor dem Personalraum essen«, schlug sie vor. »Sonst werden die Mahlzeiten direkt zu Ihren jeweiligen Betten gebracht. Na, was ist?«
Horrantor, Bawob und Morredeth riefen sofort im Chor, in den auch Hewlitt mit leichter Verzögerung einstimmte: »Am Tisch!«
»Sind Sie sich wirklich sicher, Patient Hewlitt?« erkundigte sich die Schwester erstaunt. »Sie verfügen nur über geringe Erfahrungen im Umgang mit fremden Spezies, und wenn Sie die anderen zum ersten Mal am Tisch essen sehen, könnte das bei Ihnen ein gewisses Unbehagen auslösen. Oder haben Sie zuvor schon einmal mit Fremdweltlern zusammen gegessen?«
»Nein, noch nie, aber ich möchte unsere Unterhaltung nicht unterbrechen«, antwortete Hewlitt. »Außerdem bin ich mir sicher, daß es mir nichts ausmachen wird, Schwester.«
»Der Trick dabei ist, nicht auf die Teller der anderen zu gucken, sondern nur auf den eigenen«, riet ihm Horrantor.
Als die Tabletts kamen, konnte es sich Hewlitt nicht verkneifen, auf die Teller der anderen zu schielen und fand, daß deren Essen zwar unappetitlich aussah, aber keineswegs eklig. Am meisten irritierte ihn der Anblick von Horrantor, die riesige Mengen gekochter Pflanzen - sie hatte mindestens die sechsfache Körpermasse eines Terrestriers und verschlang logischerweise riesige Portionen davon – in eine Öffnung hineinschob, die er niemals als einen Mund identifiziert hätte. Morredeth war ebenfalls einePflanzenfresserin, und sie gab enorm laute Geräusche von sich, während sie eine Auswahl knackiger und undefinierbarer Rohkost zerschnipselte. Was Bowab aß, konnte er nicht sagen, wenngleich von seinem Teller ein merkwürdig würziger Geruch ausging.
Darüber hinaus entging Hewlitt natürlich nicht, daß die drei Aliens nie auf seinen Teller schauten, und er fragte sich, ob es sich dabei nur um gute Manieren handelte oder ob der Anblick seines synthetischen Steaks und der Pilze womöglich eine noch schlimmere Wirkung auf sie hatte.
Als sie zu Ende gegessen hatten, stellten die anderen drei die Tabletts auf den Essenswagen zurück, und deshalb tat Hewlitt es ihnen gleich. Zwar wußte er nicht, ob sie es deshalb taten, um dem Pflegepersonal Zeit und Arbeit zu ersparen oder um schnell den Tisch für das nächste Spiel abzuräumen, doch hielt er es so oder so für eine gute Idee.
Während Bowab, der Gesamtsieger des vorherigen Spiels, die Karten austeilte, sagte Hewlitt: »Sie sind als Spieler wirklich alle ganz schön hinterhältig, wenn nicht sogar bösartig. Ich würde nicht gerade behaupten, daß die letzten drei Spiele für mich zufriedenstellend verlaufen sind. Ich habe schon die Hälfte meiner Zahnstocher verloren. Das ist gemein!«
»Sehen Sie das Ganze einfach als eine Art unfreiwillig gezahltes Lehrgeld an«, schlug Bowab vor. »Deshalb sollten Sie lieber gute Miene zum wirklich bösen Spiel machen.«
Ein pelziger Zentaur, der auch noch witzig zu sein versucht, dachte Hewlitt. Dann lachte er höflich und fuhr fort: »Meiner Meinung nach ist Scremman ein höchst unfaires Spiel, da das Gewinnen nicht nur davon abhängt, ob ein Spieler gut tricksen und bluffen kann, sondern auch davon, wie genau er die Gesichtsausdrücke oder Regungen seiner Gegner deuten kann. Ich weiß ja noch nicht einmal, ob es unter dem ganzen kelgianischen und duthanischen Fell überhaupt irgendwelche Gesichtsausdrücke gibt, die man deuten könnte, und Horrantors Kopfhaut ist so ausdrucksfähig wie ein hudlarischer Panzer. Bevor ich hierherkam, habe ich mich mit Aliens immer nur per Kommunikator unterhalten. Für mich sind Sie alle so absolut fremd, daß ich weder die Mimik noch aufschlußreiche Gesten erkennen könnte,
selbst wenn ich welche sehen würde.«
»Wie uns nicht entgangen ist, haben Sie seit Ihrer Einlieferung das physiologische Klassifikationssystem der Bibliothek studiert, das zur Identifizierung und Beschreibung der Bürger der Föderation dient, wozu auch einige grundlegende Informationen über das gesellschaftliche Verhalten gehören. Während des letzten Spiels sind Sie sehr schnell dahintergekommen, welchen Kartenhaufen ich zum Ablegen benutzt habe. Entweder sind Sie zu bescheiden, Hewlitt, oder Sie sind gar nicht so dumm, wie Sie tun, und führen uns alle gehörig an der Nase herum.«
»Demnach haben Sie bereits gelernt, daß bei Scremman während der Spielpausen auch eine psychologische Komponente eine gewisse Rolle spielt«, mischte sich Horrantor ein. »Sie machen wirklich gute Fortschritte.«
»Und sollte ich auch lernen, mich von Komplimenten dieser Art nicht entwaffnen zu lassen?« erkundigte sich Hewlitt in scherzhaftem Ton.
»Selbstverständlich sollten Sie das«, pflichtete ihmBowab bei.
Hewlitt lachte erneut und sagte: »Würde ich also meine Unkenntnis auf diesem Gebiet zugeben, wäre dadurch meine Position nicht einmal geschwächt, weil das Eingeständnis als ein möglicher Bluff angesehen werden könnte, durch den ich meine vermeintlich vorhandenen Fähigkeiten nur verbergen will, richtig? Aber was machen Sie mit jemandem wie Morredeth? Sie ist doch mit Sicherheit benachteiligt, weil sie nicht lügen kann, oder?«
»Kelgianisches Bluffen oder Tricksen bedeutet, daß die wahren Absichten durch Schweigen geheimgehalten werden. Wir müssen versuchen herauszufinden, was sie denkt, indem wir ihr Fell beobachten. Für einen Nichtkelgianer sind solche Gefühlsregungen allerdings sehr schwer zu deuten.«