Und Sie werden eine einfache kelgianische Antwort erhalten, beschloß Hewlitt und entgegnete dann laut: »Ich war einfach neugierig und wollte mehr über Sie und Ihre Verletzung wissen, aber Sie haben mir ja verboten, über Sie zu sprechen. Soll ich zurück in mein Bett gehen?«
»Nein«, antwortete Morredeth.
»Gibt es irgend etwas oder irgend jemand anderen, worüber Sie gerne reden möchten?«
»Ja, über Sie«, schlug die Kelgianerin vor.
Als Hewlitt zögerte, fuhr Morredeth fort: »Ich habe sehr empfindliche Ohren und beinahe jedes Wort mitgehört, das zwischen Ihnen und den Ärzten gewechselt wurde. Sie sind gesund und erhalten keinerlei medizinische Behandlung, abgesehen von dem einen Mal, als Sie das Bewußtsein verloren haben und das Reanimationsteam mit Verzögerung eintraf, um Sie wiederzubeleben. Auf jeden Fall weiß niemand, was Ihnen genau fehlt. Ich habe auch mitbekommen, wie Sie dem terrestrischen Psychologen erzählt haben, Sie hätten eine Vergiftung und einen Sturz überlebt, obwohl Sie dabei hätten umkommen müssen. Das Orbit Hospital ist aber für Kranke und Verletzte und nicht für Leute, die bereits genesen sind. Was fehlt Ihnen also? Handelt es sich vielleicht um etwas zuPersönliches oder gar zu Peinliches, über das Sie selbst nicht mit einem Mitglied einer anderen Spezies reden möchten, obwohl es Ihre Scham höchstwahrscheinlich nicht nachvollziehen kann?«
»Nein, es ist nichts dergleichen«, versicherte ihr Hewlitt. »Es ist nur so, daß es sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde, Ihnen alles zu erzählen, zumal ich Ihnen zwischendurch immer wieder einige Verhaltensweisen und Bräuche der Terrestrier erklären müßte. Außerdem würde mich das nur daran erinnern, wie wenig mir die terrestrischen Ärzte geholfen haben, weil Sie sich weigerten, mir zu glauben, daß mit mir etwas nicht stimmt. Also käme nur meine alte Wut und Enttäuschung wieder hoch, was höchstwahrscheinlich darauf hinauslaufen würde, daß ich Ihnen die Ohren volljammere.«
Morredeths Fell kräuselte sich in ein neues und optisch attraktiveres Muster, und er fragte sich, ob sich die Kelgianerin über ihn amüsierte.
»Also geht es Ihnen genauso wie mir«, stellte Morredeth fest. »Das ist nämlich derselbe Grund, weshalb ich nicht über mich reden will. Bestimmt wäre ich Ihnen mit meinem Gejammer auch auf die Nerven gegangen.«
»Sie haben bestimmt mehr Grund zu klagen als ich«, meinte Hewlitt und hielt kurz inne, weil sich das Fell der Kelgianerin wieder stachelig aufrichtete und sich die Muskelstränge, die den ganzen Körper umschlossen, so fest zusammenzogen, als stünden sie kurz vor einem Krampf. Deshalb fügte er rasch hinzu: »Entschuldigung, Morredeth, jetzt spreche ich doch über Sie anstatt über mich. Wo soll ich also anfangen?«
Der Körper der Kelgianerin entspannte sich zwar, das Fell bewegte sich jedoch noch immer unruhig, als sie antwortete: »Sprechen Sie mit mir über jene Krankheitsvorfälle, die Sie noch nicht erzählt haben oder über die Sie weder mit Medalont noch mit den Auszubildenden reden möchten, weil sie ungewöhnlich, beschämend oder sogar etwas anstößig sind. Vielleicht finde ich Ihre Erzählungen ja so unterhaltend, daß ich meine eigenen Probleme für eine Weile vergessen kann. Möchten Sie das für mich tun?«
»Ja«, willigte Hewlitt ein. »Erwarten Sie aber nicht zu viel Unterhaltung oder gar erotische Details von mir. Ich werde Ihnen von der Zeit erzählen,die ich auf der Erde verbracht habe, als ich mit meinen Großeltern zusammenlebte, die übrigens kein pelziges Haustier besaßen, mit dem ich hätte spielen können. Einige der Episoden sind allerdings ziemlich peinlich. Durchleben Kelgianer so etwas wie eine Pubertät?«
»Na klar! Oder dachten Sie, daß wir von Geburt an sexuell aktiv sind?«
»Nun, die Pubertät kann jedenfalls auch für gesunde Menschen äußerst unangenehm verlaufen«, meinte Hewlitt, ohne auf Morredeths Bemerkung einzugehen.
»Dann beschreiben Sie mir Ihre unangenehmen Erlebnisse und Ihre gesundheitlichen Mängel bis ins letzte Detail, das heißt, falls Sie nichts Interessanteres zu berichten haben«, forderte ihn Morredeth in ihrer unnachahmlich direkten Art auf.
Hätte ich bloß ein weniger persönliches Thema gewählt! dachte er und wunderte sich um so mehr, daß er schließlich ohne jegliches Zögern zu sprechen begann. Vielleicht hatte die Tatsache, daß Morredeth einer anderen Spezies angehörte, etwas damit zu tun, denn es machte zwar keinen Unterschied, ob er einer kelgianischen Patientin, einem melfanischen Chefarzt oder einer hudlarischen Krankenschwester seine Symptome erzählte, doch entsprang Morredeths Neugier eher persönlichem als medizinischem Interesse.
Also beschrieb er, wie er vom Einzelunterricht am Heimcomputer auf die höhere Schule wechselte, wo Gruppenunterricht und die Teilnahme an Sportveranstaltungen mehr ins Gewicht fielen. Als er von seinen Erfolgen sowohl bei den Mannschafts- wie auch bei den Einzelsportarten erzählte, die ihm insbesondere bei der weiblichen Studentenschaft einen guten Ruf einbrachten, unterbrach ihn Morredeth.
»Beklagen Sie sich etwa über diese Situation?« wollte sie wissen. »Oder prahlen Sie gerade mit Ihren Erfolgen beim weiblichen Geschlecht?«
»Ich beklage mich darüber«, antwortete Hewlitt, und seine Stimme wurde lauter, als mit der Erinnerung der Zorn in ihm aufwallte, »weil ich die Vorteile, die sich daraus für mich ergaben, nie genutzt habe. Niemalspassierte etwas. Selbst als ich mich von einer bestimmten jungen Frau stark angezogen fühlte, die auch an mir Interesse zeigte … nun, es war sehr unbefriedigend und frustrierend und… und schmerzlich.«
»Fühlten Sie sich denn noch von jemandem oder von etwas anderem angezogen?« erkundigte sich Morredeth. »Von einer Frau vielleicht, die sich aber nichts aus Ihnen machte? Oder haben Sie damals noch stärkere Gefühle für eine Ihrer kleinen pelzigen Kreaturen entwickelt?«
»Nein, um Himmels willen!« protestierte Hewlitt entschieden. Dann sah er ängstlich zu den Schlafenden in den nahe gelegenen Betten hinüber und senkte die Stimme. »Für wen halten Sie mich eigentlich, verdammt noch mal?«
»Für einen sehr kranken Terrestrier«, antwortete Morredeth. »Sind Sie nicht aus diesem Grund hier?«
»Ja, aber ich habe doch nicht das gehabt, was Sie mir gerade unterstellen wollten«, stellte Hewlitt klar, wobei er unwillkürlich lachen mußte. »Nach Meinung der Universitätsärzte war ich sogar überhaupt nicht krank. Die haben doch glattweg behauptet, mein Körper sei in jeder Hinsicht ein physikalisches Musterexemplar. Nachdem viele unangenehme Tests und Experimente mit mir durchgeführt worden waren, meinten sie, es gäbe weder einen anatomischen noch einen hormonellen Grund dafür, weshalb es beim Erreichen des Höhepunkts der sinnlichen und körperlichen Erregung bei mir zu keinem Samenerguß komme. Außerdem sagten sie, daß ich durch irgendein unwillkürliches oder unbewußtes Verhalten, das sie sich nicht erklären konnten, den Mechanismus des Samenergusses im letzten Moment zurückhalten würde. Diese plötzliche Unterbrechung des Samenflusses löse einen unmittelbaren Schmerz aus, und die Beschwerden im Genitalbereich würden erst dann nachlassen, sobald die Flüssigkeit resorbiert worden sei. Sie schlossen daraus, daß mein Problem wahrscheinlich auf einem tief sitzenden Kindheitstrauma beruhe, das sich in Form von zeitweilig auftretender Schüchternheit äußere, die so intensiv sei, daß sie sich auf den körperlichen Zustand auswirke.«