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Er war immer noch wach und grübelte vor sich hin, als das Licht angeschaltet wurde und die Tagschicht ihren Dienst antrat.

14. Kapitel

Die morgendliche Visite fiel sowohl verkürzt als auch unvollständig aus. Zum einen wurde Chefarzt Medalont nicht von der üblichen Gruppe Auszubildender, sondern lediglich von Oberschwester Leethveeschi begleitet, und zum anderen suchten die beiden nur die schwerkranken Patienten auf, wobei sie die längste Zeit an Morredeths Bett verbrachten, das nach wie vor von Sichtblenden und dem schalldichten Feld umgeben war.

Sie verweilten immer noch dort, als Horrantor und Bowab bereits auf dem Weg zum Waschraum waren und bei dieser Gelegenheit vor Hewlitts Bett stehenblieben. Der Duthaner ergriff als erster das Wort.

»Wir haben heute keine Lust, Scremman zu spielen«, sagte er. »Anscheinend weiß hier niemand genau, was Morredeth zugestoßen ist. Ich habe versucht, es von einer Krankenschwester zu erfahren, aber Sie kennen ja diese kelgianischen Plagegeister – entweder erzählen sie einem gleich die ganze Wahrheit über Gott und die Welt, oder sie schweigen wie ein Grab. Haben Sie eine Ahnung, was mit ihr passiert ist?«

Hewlitt fühlte sich immer noch mitschuldig an dem Vorfall, und er hätte lieber nicht darüber gesprochen. Diese beiden waren jedoch Morredeths Freunde oder zumindest während des Aufenthalts hier im Hospital ihre Leidensgenossen, so daß sie das Recht hatten, informiert zu werden. Zwar wollte er sie nicht anlügen, doch als Nichtkelgianer konnte er die Wahrheit wenigstens etwas zurechtstutzen.

»Naja, es gab einen Notfall«, setzte er vorsichtig an. »Die Schwester hat das Reanimationsteam gerufen und gesagt, Morredeths habe einen Stillstand beider Herzen. Als das Team eintraf, ist sofort ein schalldichtes Feld um das Bett errichtet worden, so daß ich keine Ahnung habe, was danach geschehen ist.«

»Wir müssen die ganze Nacht durchgeschlafen haben«, sagte Horrantor. »Die hudlarische Schwester ist doch eigentlich sehr nett und unterhält sichauch recht gern. Vielleicht erzählt sie uns, was los ist, wenn sie heute abend ihren Dienst antritt …« – sie hielt hme und deutete in Richtung des Personalraums. »Jetzt schauen Sie doch mal, wer da gerade mit Padre Lioren die Station herunterkommt … Thornnastor höchstpersönlich! Was macht der denn hier?«

Das besagte Wesen gehörte derselben Spezies wie Horrantor an, hatte aber einen kräftigeren Körperbau. Außerdem wies die Haut viel mehr Falten auf, und Thornnastor ging natürlich auf sechs anstatt auf fünf Beinen. Horrantors Frage beantwortete sich von selbst, als die beiden auf der Höhe von Morredeths Bett stehenblieben und hinter den Sichtblenden verschwanden. Eine kelgianische Schwester, die einen G-Schlitten mit geöffneter Kuppel lenkte, traf einige Minuten später ein und folgte ihnen.

»Da drinnen muß es jetzt ziemlich eng zugehen«, merkte Horrantor überflüssigerweise an.

Sie erhielt keine Antwort, und das Schweigen zog sich in die Länge.

Um den Gedanken zu verdrängen, daß Morredeth jetzt mit unbeweglichem Fell auf dem Bett lag, fragte Hewlitt: »Wer ist denn dieser Thornnastor?«

»Wir haben Thornnastor zwar selbst auch noch nie kennengelernt«, antwortete Horrantor, »aber das muß er sein, denn er ist der einzige Tralthaner im Orbit Hospital, der berechtigt ist, das Abzeichen eines Diagnostikers zu tragen. Wie ich gehört habe, verläßt er in seiner Funktion als Chefpathologe nur selten das Labor und sieht die Leute normalerweise erst dann, wenn sie bereits tot oder zumindest in kleine Stücke zerhackt sind.«

»Horrantor!« empörte sich Bowab. »Sie haben soviel Taktgefühl wie eine betrunkene Kelgianerin.«

»Tut mir leid, vielleicht habe ich mich etwas unsensibel ausgedrückt«, entschuldigte sich die Tralthanerin. »Sehen Sie nur, sie kommen schon wieder heraus!«

Die kelgianische Schwester tauchte zuerst auf und wogte in Richtung desStationseingangs, wobei sie den G-Schlitten lenkte, dessen Kuppeldach nun geschlossen war. Thornnastor, Medalont und Leethveeschi folgten ihr. Die Sichtblenden verschwanden in den Deckenschlitzen und gaben so den Blick auf Lioren frei, der mit seinen vier Augen auf das leere Bett starrte. Als er sich kurz darauf in Bewegung setzte, folgte er aber nicht den anderen.

»Er kommt direkt auf uns zu«, stellte Bowab mit einem alles andere übertönenden Knurren fest, das bei Duthanern bereits als Flüstern gilt. »Ich glaube fast, er schaut die ganze Zeit in Ihre Richtung, Hewlitt.«

Lioren blickte Hewlitt weiterhin mit zwei seiner Augen an, während er näherkam, bis er schließlich an seinem Bett stehenblieb. Die anderen beiden richtete er auf Bowab und Horrantor, als er sagte: »Entschuldigen Sie bitte die Störung, meine Freunde, aber wäre es Ihnen recht, wenn ich mich jetzt mit Patient Hewlitt allein unterhalte?«

»Natürlich, Padre«, antwortete Horrantor, und Bowab fügte hinzu: »Wir wollten sowieso gerade gehen.«

Lioren wartete, bis sie sich zurückgezogen hatten, und sagte dann: »Ich hoffe, daß es auch Ihnen recht ist. Oder haben Sie etwas dagegen, sich jetzt mit mir zu unterhalten?«

Hewlitt zögerte mit der Antwort; schließlich war es das erste Mal, daß er den Padre aus nächster Nähe zu sehen bekam, und trotz der Informationen, die er sich aus der Bibliothek eingeholt hatte, war er beileibe nicht auf die Realität vorbereitet. Die Tarlaner gehörten der physiologischen Klassifikation DRLH an – einer aufrecht gehenden Lebensform, deren spitz zulaufender kegelförmiger Körper von vier Beinen getragen wurde. In Taillenhöhe befanden sich vier lange, mehrgelenkige Mittelarme zum Heben und Tragen. Vier Vorderarme, die sich eher für feinmotorische Arbeiten eigneten, umgaben den Halsansatz. Die vier Augen, die gleichmäßig um den Kopf herum verteilt waren, konnten unabhängig voneinander bewegt werden. Ein erwachsener Tarlaner wurde in der Regel zweieinhalb Meter groß, aber Liorens Größe und Körpermasse ragten weit über den Durchschnitt hinaus. Aus der Nähe betrachtet, bot der Padre einen ziemlicheinschüchternden Anblick, und nach den Ereignissen der letzten Nacht war sich Hewlitt nicht sicher, ob Lioren noch gut auf ihn zu sprechen war. Statt einer Antwort stellte er schließlich eine Gegenfrage, um die sich bei ihm in den letzten sechs Stunden sowieso alles gedreht hatte.

»Was ist mit Morredeth passiert?«

Aufgrund der absurd anmutenden spiralförmigen Kopfform des Tarlaners war dessen Gesichtsausdruck genausowenig zu deuten wie der eines Hudlarers, als er antwortete: »Wir wissen nicht, was mit Morredeth passiert ist, aber es geht ihr jetzt gut, und sie ist von ihren Leiden befreit.«

Berücksichtigte man Liorens Beruf und Morredeths erst kürzlich frei gewordenes Bett, dann waren das genau jene trostspendenden Worte, die man von einem Geistlichen erwarten würde, wenn er mit einem trauernden Verwandten oder Freund gesprochen hätte. Und es waren genau jene Worte, die Hewlitt nicht zu hören gehofft hatte.

Als der Padre mit einer der mittleren Hände nach vorn griff, um den Projektor für das schalldichte Feld einzuschalten, verstummten die betriebsamen Geräusche auf der Station. Zwar hatte Hewlitt keine Ahnung, welche Gesichtsöffnung der Tarlaner zum Sprechen benutzte, aber seine Stimme klang ruhig und freundlich, als er fortfuhr: »Meiner Meinung nach kommen drei Leute in Betracht, die eine unterschiedlich hohe Verantwortung für das tragen, was Patientin Morredeth zugestoßen ist, und zwar sind das die hudlarische Schwester, ich selbst und Sie. Als erstes würde ich mich gern über Ihre Beteiligung unterhalten.«