An die Oberschwester gewandt, fuhr Prilicla fort: »Freundin Naydrad, wir haben einen Hyperraumflug von vier Tagen zum Orbit Hospital vor uns. Die Zeit sollte für uns ausreichen, um eine umfassende medizinische Untersuchung durchzuführen und die Reaktionen auf die gesamte Palette gegenwärtig eingesetzter DBDG-Medikamente zu testen. Dazu gehören auch jene Medikamente, mit denen Patient Hewlitt bereits behandelt worden ist, die jedoch abgesetzt worden sind, weil sie bei ihm allergische Reaktionen hervorgerufen haben. Stellen Sie für den Notfall drei Überwachungskameras auf und …«
»Aber ich verstehe das alles nicht!« protestierte Stillman mit erhobener Stimme über die dröhnenden Maschinengeräusche des Schiffs hinweg, das kurz vor der Abreise stand. »Als Lonvellin damals in seinem Schiff verdampft ist, war Hewlitt doch noch nicht einmal geboren!«
»Sie sollten jetzt das Schiff lieber auf der Stelle verlassen, Freund Stillman!« ermahnte ihn Prilicla ungeduldig, als er die Schritte von Fletcher und Danalta hörte, die gerade die Bordrampe heraufstiegen. »Es sei denn, Sie wollen dem Orbit Hospital unbedingt einen außerplanmäßigen Besuch abstatten. Für Erklärungen bleibt mir jetzt keine Zeit, aber ich werde Ihnen und dem Colonel unsere Untersuchungsergebnisse zu gegebener Zeit zukommen lassen. Entschuldigen Sie bitte mein etwas unhöfliches Verhalten. Tausend Dank für Ihre Zusammenarbeit und auf Wiedersehen.«
Hewlitt wartete ungeduldig, bis der Monitoroffizier durch die Besatzungsschleuse verschwunden war, und rief dann mit wutentbrannter Stimme: »Verdammt noch mal! Ich weiß auch nicht, was hier gespielt wird! Warum wollen Sie dieselben Medikamente noch einmal an mir austesten, obwohl Sie wissen, daß ich daran vor kurzem fast zugrunde gegangen wäre?«
»Jetzt reißen Sie sich mal zusammen, Freund Hewlitt!« erwiderte derzitternde Prilicla in ungewohnt scharfem Ton. »Ich denke nicht, daß Sie dabei ein ernsthaftes Risiko eingehen. Bitte gehen Sie jetzt ins Bett. Und Sie bleiben darin liegen, bis ich Ihnen erlaube, es wieder zu verlassen. Solange wir hier unsere Vorstellungen über die künftige Vorgehensweise diskutieren, wird um Ihr Bett herum ein schalldichtes Feld errichtet, damit sie sich keine unnötigen Sorgen zu machen brauchen.«
22. Kapitel
Hewlitt ließ den flimmernd grauen Hyperraum außerhalb des Sichtfensters nicht aus den Augen und wartete darauf, daß etwas Verhängnisvolles mit ihm passieren würde. Die anderen blickte er lieber nicht an, denn sie beobachteten ihn und warteten auf das Eintreten desselben Ereignisses wie er, während sie ihn anlächelten oder auf andere Weise Ermutigung auszustrahlen versuchten. Die Menge der Überwachungsgeräte, von denen er umgeben war, und die Anzahl der Sensoren, die an seinem Körper hafteten, waren nämlich alles andere als ermutigend.
»Sie haben mir doch selbst gesagt, ich solle nie wieder irgendwelche Medikamente bekommen!« protestierte Hewlitt, als Murchison erneut eine Spritze auf seinen Oberarm richtete und ihm völlig schmerzfrei eine weitere Dosis verabreichte. »Jetzt scheinen Sie ja alles, was Sie auf Lager haben, an mir ausprobieren zu wollen. Verflucht noch mal, was soll das?«
Die Pathologin musterte ihn eine ganze Weile mit kritischem Blick, dann erst antwortete sie: »Wir haben unsere Meinung eben geändert. So, und wie fühlen Sie sich jetzt?«
»Soweit ganz in Ordnung«, gab sich Hewlitt geschlagen. »Ich merke kaum eine Veränderung, abgesehen davon, daß ich etwas schläfrig bin. Wie sollte ich mich denn ihrer Ansicht nach fühlen?«
»Nun, soweit ganz in Ordnung und ein bißchen schläfrig eben«, erwiderte Murchison lächelnd. »Ich habe Ihnen ein leichtes Beruhigungsmittel gegeben. Es soll Ihnen helfen, sich ein wenig zu entspannen.«
»Sie wissen doch, was passiert ist, als Chefarzt Medalont versucht hat, mir ein Beruhigungsmittel zu geben«, wandte Hewlitt ein.
»Natürlich weiß ich das«, antwortete Murchison. »Aber wir haben speziell dieses und auch einige andere Medikamente an Ihnen in minimalen Dosen getestet, ohne irgendwelche Anzeichen einer hyperallergischen Reaktion feststellen zu können, wie es sonst der Fall war. Ich probiere jetztmal ein völlig neues Mittel aus, das den Ärzten auf der Erde noch nicht zur Verfügung stand. Spüren Sie schon etwas?«
Hewlitt spürte lediglich den Luftzug von Priliclas Flügeln auf Gesicht und Brust, als der kleine Empath näher herangeflogen kam, aber ihm war klar, daß diese Sinnesempfindung für die Pathologin nicht von Interesse war.
»Immer noch nichts«, antwortete er, doch dann korrigierte er sich rasch: »Nein, Moment mal! Die ganze Gegend wird taub. Was passiert da?«
»Nichts, worüber Sie sich Sorgen machen müßten«, beruhigte ihn die Pathologin mit einem Lächeln. »Dieses Mal teste ich an Ihnen ein Lokalanästhetikum. Den Sensoren zufolge sind Ihre Lebenszeichen optimal. Aber bemerken Sie vielleicht irgendwelche anderen Symptome? Einen leichten Juckreiz auf der Haut, ein allgemeines Unwohlsein oder andere, möglicherweise rein subjektive Empfindungen, die Ihrem Unterbewußtsein eine Art Frühwarnung vor auftretenden Beschwerden signalisieren?«
»Nein«, erwiderte Hewlitt.
Prilicla gab ein leises Trällern von sich, das nicht übersetzt wurde, dann sagte er: »Der Patient verhält sich sehr höflich, weil er mit aller Kraft versucht, seine heftigen Gefühle von Neugier, Sorge, Verwirrung und Wut im Zaum zu halten. Vielleicht würde die Befriedigung der Neugier die Intensität der anderen drei Gefühlsregungen auf ein erträgliches Maß abschwächen. Falls Sie also Fragen haben, Freund Hewlitt, dann kann ich Sie Ihnen jetzt gern beantworten.«
Aber sicherlich nicht alle, dachte Hewlitt, doch bevor er etwas sagen konnte, kam ihm Murchison zuvor.
»Sie wissen ganz genau, daß wir alle Fragen an Sie haben, Doktor Prilicla«, sagte sie, wobei sie Danalta und Naydrad und dann wieder Prilicla anblickte. »Warum veranstalten Sie eigentlich diesen ganzen Wirbel um einen ehemaligen Patienten, der bereits vor einem Vierteljahrhundert gestorben ist? Wozu haben Sie Vorsichtsmaßnahmen vor einer speziesübergreifenden Infektion angeordnet, obwohl wir wissen, daß so etwas unmöglich ist? Warum diese überstürzte Rückkehr zum OrbitHospital, und wozu soll diese Testreihe dienen, die Sie für Patient Hewlitt angeordnet haben?«
»Genau das wären auch meine Fragen gewesen«, bemerkte Hewlitt trocken.
Prilicla trudelte auf das Deck herab – vielleicht bereitete er sich so auf eine Woge emotionaler Ausstrahlungen vor, die ihm das Fliegen erschweren würden, und antwortete dann: »Nun, beim Krankheitsverlauf der Patienten Lonvellin und Hewlitt gibt es gewisse Parallelen, insbesondere was die anfängliche negative Reaktion und nachfolgende Akzeptanz auf die medikamentöse Behandlung betrifft. Natürlich ist es durchaus möglich, daß ich falsch liege und die Ähnlichkeiten rein zufällig sind, aber so oder so muß ich Bescheid wissen, bevor wir das Krankenhaus erreichen. Freund Hewlitt steht für Untersuchungen zur Verfügung, aber Lonvellin bedauerlicherweise nicht.«