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Irgendwann mußte Lonvellin in der jüngsten Vergangenheit den für seine Zwecke idealen ›Leib- und Magenarzt‹ entdeckt haben – in der jüngsten Vergangenheit deshalb, weil das besagte Wesen noch nicht viel Erfahrung als Arzt gesammelt haben konnte, was an den von ihm begangenen Kunstfehlern abzulesen war.

Wie Conway herausfand, entpuppte sich dieser ominöse Leibarzt als eine intelligente amöboide Lebensform – eine organisierte Anhäufung submikroskopischer, virusähnlicher Zellen -, die im Körper des Patienten lebte. Dieser Leibarzt konnte, sobald er die notwendigen Informationen dazu besaß, jede Krankheit oder organische Fehlfunktion von innen her untersuchen und behandeln. Da es sich aber um ein denkendes Wesen handelte, konnte dessen emotionale Ausstrahlung einem Empathen wie Prilicla nicht verborgen bleiben, auch wenn es im Körper des sich in tiefer Bewußtlosigkeit befindlichen Lonvellins steckte. Um diese Theorie zu beweisen, unternahm Conway einen auf den ersten Blick barbarisch wirkenden Angriff auf Lonvellins Körper, dem dessen natürliche Abwehrkräfte nicht hätten standhalten können, indem er ganz langsam einen spitzen Holzkeil an einer Stelle durch die Schuppenhaut trieb, unter der sich lebenswichtige Organe befanden. Wie von Conway vermutet, konzentrierte die Virenkreatur sämtliche Abwehrkräfte auf diesen einen Punkt, indem sie an dieser Stelle aus eigenen und Lonvellins Gewebezellen im Nu eine kleine, harte Knochenplatte ausbildete, um den Keil am Weiterkommen zu hindern.Kaum war dieser Vorgang abgeschlossen, entfernte Conway die Kreatur, deren Körpermasse etwa einer geschlossenen menschlichen Faust entsprach, und legte sie zur späteren Untersuchung in einen steril versiegelten Behälter. Anschließend entfernte er die Geschwülste und versorgte die mit dem Holzkeil künstlich zugefügte Wunde; eine reine Routinearbeit, die relativ wenig Zeit beanspruchte und ohne weitere Störversuche durch Lonvellins Leibarzt zu Ende geführt werden konnte.

Das eigentliche Problem war durch die Unwissenheit der Virenkreatur ausgelöst worden, die die ganze Zeit versucht hatte, den physischen Zustand ihres Wirtskörpers unter allen Umständen unverändert zu lassen, indem sie die absterbenden Hautschuppen beibehalten wollte, die von Lonvellins Spezies aber in regelmäßigen Abständen abgestoßen wurden, um durch neue ersetzt zu werden. Diesen Irrtum konnte man durch den Umstand entschuldigen, daß zwischen den beiden Wesen trotz ihrer Intelligenz keine direkte Kommunikation, sondern nur eine lose empathische Bindung bestand, die lediglich den Austausch von Gefühlen, nicht aber von Gedanken zuließ.

Trotz dieses Fehlverhaltens bestand Lonvellin darauf, daß man seinen Leibarzt wieder an den ihm angestammten Platz zurücksetzte. Zwar hätte man im Orbit Hospital diese einzigartige Lebensform gerne genauer untersucht, da sich die Virenkreatur aber vom ethischen Standpunkt her in einer merkwürdigen Grauzone aus intelligentem Wesen und parasitärer Krankheit bewegte, kam man dem Wunsch des EPLH nach. Nach seiner Genesung begaben sich Lonvellin und sein Leibarzt zum Seuchenplaneten Etla, wo er und sein Schiff in einer atomaren Wolke schließlich verdampften. Damals waren sich alle sicher gewesen, daß die Virenkreatur mit seinem Wirtswesen gemeinsam umgekommen war. Das jedenfalls war der Wissensstand, als man auf dem Diagnostikertreffen beschloß, die Rhabwar nach Etla zu schicken, weil man dort eine Erklärung für die mysteriösen Hewlitt-Morredeth-Vorkommnisse zu finden hoffte, auch wenn niemand erwartet hatte, daß die Mission des medizinischen Teams tatsächlich von Erfolg gekrönt werden würde.»… aber jetzt wissen wir, daß Lonvellin die Möglichkeit eines tödlichen Angriffs vorhergesehen hat und deshalb die notwendigen Vorkehrungen traf, seinem intelligenten Symbionten ein Weiterleben zu ermöglichen«, fuhr Prilicla fort. »Zwischen den beiden fand zwar nur ein begrenzter Informationsaustausch statt, aber ich nehme an, daß die Schiffssensoren einen unmittelbar bevorstehenden Nuklearschlag meldeten. Die furchtbare Erkenntnis, daß sein ungeheuer langes Leben kurz vor dem Ende stand, löste bei Lonvellin einen heftigen emotionalen Schock aus, der die Virenkreatur aus dem Wirtskörper hinaustrieb, um in den kleinen Überlebenscontainer der Rakete zu flüchten. Der Öffnungsmechanismus des Containers war mit einer auf hundert Standardjahre eingestellten Zeitschaltuhr ausgestattet, weil Lonvellin gehofft hatte, daß dann beim Freiwerden des Inhalts sowohl der Krieg als auch die Fremdenfeindlichkeit der etlanischen Bevölkerung längst vergessen sein würden. Aber der nukleare Einschlag muß bereits Sekunden nach dem Abheben der Fluchtrakete stattgefunden haben, die daraufhin vorzeitig abstürzte. Schließlich wurde die Virenkreatur durch ein terrestrisches Kind, das von einem Baum herab direkt auf den Container fiel, vorzeitig aus ihm befreit.«

»Du meine Güte! Ist das Ihr Ernst?« rief Hewlitt in einer Mischung aus Staunen und Entsetzen, wobei er gleichzeitig über alle Maßen erleichtert war und laut lachen mußte. Endlich war eine Erklärung für seine lebenslange Hypochondrie gefunden worden, so abwegig sich diese auch anhören mochte. »Wollen Sie mir damit etwa sagen, daß ich nie richtig krank gewesen bin, sondern all die Jahre nichts anderes als einen Leibarzt in mir stecken hatte?«

23. Kapitel

»Richtig«, antwortete Prilicla, »aber ich bin mir meiner Sache erst ziemlich sicher gewesen, als ich das, was Ihnen als Kind mit Ihren Milchzähnen widerfahren ist, mit Lonvellins Schuppen in Verbindung gebracht habe. Wenn wir nun sämtliche Geschichten, die Sie uns erzählt haben, als wahr akzeptieren, dann müssen wir Ihre Aussagen völlig neu bewerten und noch einmal alles von Anfang an durchgehen. Lassen Sie mich also laut nachdenken:

Als Sie auf diesen Baum geklettert sind, die giftige Frucht gegessen haben und in die Schlucht gefallen sind, hätten Sie sterben müssen, und das in zweifacher Hinsicht. Einmal höchstwahrscheinlich aufgrund des schweren Sturzes aus dieser gewaltigen Höhe und spätesten an der Menge des Giftes, das Sie zu sich genommen haben. Statt dessen sind Sie aber auf dem kleinen Plastikcontainer gelandet, der daraufhin zerbrach, so daß die Virenkreatur in Ihren verwundeten Körper eindringen konnte. Als das Wesen feststellte, daß Sie, obwohl Ihr Körper kurz vor dem Verenden war, einen geeigneten Wirt abgaben, hielt es Sie am Leben, reparierte die physischen Schäden und stimulierte den natürlichen Entgiftungsmechanismus Ihres Körpers. Daß ihm das alles so schnell gelingen konnte, liegt vermutlich daran, daß Ihre Körpermasse damals etwa nur ein Zwanzigstel seines vorhergehenden Wirts betrug. Wie und warum die Virenkreatur so gehandelt hat, können wir erst dann beantworten, wenn wir mit dem Wesen eine Kommunikationsmethode entwickelt haben, die über die Empathie hinausgeht.

Spontan würde ich behaupten, daß die Virenkreatur ohne einen Wirtskörper nicht lange allein existieren kann, daß sein Überleben also davon abhängt, ein möglichst großes und voraussichtlich langlebiges Wesen zu finden. Um den Wirtskörper bei optimaler Gesundheit zu erhalten, holt es sich aus dem genetischen Zellenmaterial die notwendigen Informationen und verlängert so automatisch auch sein eigenes Leben. Aber unser Wunderdoktor ist nicht unfehlbar. Zum Beispiel ist ihm nicht klar gewesen,daß der Zustand eines Wirtskörpers nicht unter allen Umständen aufrecht erhalten werden darf, weil gewisse Veränderungen völlig natürlich und sogar gesundheitsfördernd sind. Lonvellins Problem mit der alternden Schuppenhaut, die er nicht abstoßen konnte, und Ihre Milchzähne, die nicht herausfallen wollten, sowie Ihre lange Geschichte allergischer Reaktionen auf sämtliche medikamentöse Behandlungsformen beweisen das.