Nur äußerst widerstrebend hatte er schließlich doch noch zugestimmt, im Orbit Hospital zu bleiben, weil man Prilicla kaum einen Gefallen abschlagen konnte. Der Empath hoffte nämlich, mit Hewlitts Hilfe den gegenwärtigen Wirt der Virenkreatur schneller ausfindig machen zu können. Zählte man alle Patienten und Mitarbeiter zusammen, dann gab es allerdings mehr als zehntausend Zufluchtsorte für diese gänzlich unerforschte Lebensform. Kaum kam Hewlitt in Gegenwart des Empathen darauf zu sprechen, daß er seinen Beitrag bei der Suche für völlig unwichtig halte und lieber wieder nach Hause wolle, pflegte Prilicla sofort das Thema zu wechseln.
Am vierten Tag schaute in aller Herrgottsfrühe Braithwaite vorbei, um ihn zum Büro des Chefpsychologen zu begleiten, wo nach den Worten des Lieutenants › wegen mangelnder Fortschritte ‹ ein Krisengespräch stattfinden sollte. Kaum hatten sie das Büro betreten, war klar, daß sie bereits sehnsüchtig erwartet wurden.»Ich bin Diagnostiker Conway«, stellte sich ihm ein großer Terrestrier vor, dessen Gesichtszüge durch einen Helm kaum zu erkennen waren. »In Ihrem eigenen Interesse sollte ich Ihnen die gegenwärtige Situation so einfach wie möglich erklären, ohne Sie damit beleidigen zu wollen. Bitte hören Sie mir jetzt genau zu, und Ms Sie irgendwelche Fragen haben, können Sie mich natürlich jederzeit unterbrechen.«
Bevor Conway fortfuhr, blickte er abwechselnd die im Büro des Chefpsychologen versammelten Wesen an. »Um unnötigen Spekulationen und einer sich daraus ergebenden Besorgnis beim Krankenhauspersonal vorzubeugen, schlage ich vor, daß sämtliche aktuellen Kenntnisse über die Suche und deren eigentlichen Gegenstand auf die hier Anwesenden und natürlich auf die höhere Ärzteschaft, der das Problem bereits bekannt ist, beschränkt bleiben. Schließlich handelt es sich dabei um die einzigen Leute, die zumindest eine ungefähre Ahnung davon haben, wonach wir suchen… «
Und wie Hewlitt längst gelernt hatte, war bereits der Vorschlag eines Diagnostikers wenn auch nicht Gesetz, so doch nicht weniger als ein Ausblick auf die nahe Zukunft.
»… obwohl es höchst unwahrscheinlich ist, daß wir das Wesen in seinem natürlichen Zustand vorfinden werden. Als ich es das letzte Mal in natura gesehen habe, handelte es sich um eine lichtdurchlässige, gallertartige Masse. Die blaßrote Farbe dieses faustgroßen Klumpens kann allerdings auch an einem leichten Blutverlust gelegen haben, der durch die operative Entfernung der Virenkreatur aus Lonvellins Körper hervorgerufen wurde …«
Bei dem etwas älter und ziemlich grimmig dreinblickenden Offizier im grünen Monitoranzug, der hinter dem großen Schreibtisch saß, mußte es sich nach Hewlitts Einschätzung um Major O'Mara handeln. Links und rechts von ihm standen Braithwaite und Conway, während sich das medizinische Team der Rhabwar vor ihnen im Halbkreis versammelt hatte. Alle trugen leichte Schutzanzüge, selbst Prilicla, der zum Schweben einen Schwerkraftneutralisator benutzte, weil er die Flügel in der ihn umgebenden Schutzhülle fest anlegen mußte. Mit Ausnahme von Naydrad, die ein fürihre Körperbedürfnisse geeignetes Sitzmöbel gefunden hatte, und dem an der Decke schwebenden Prilicla standen alle auf den Beinen und hörten schweigend zu.
»…für eine genauere Untersuchung des Wesens hatten wir damals keine Zeit«, setzte Conway seine Ausführungen fort. »Da es sich um eine intelligente Lebensform handelt, hätten wir uns für solch eine gründliche und für sie womöglich riskante Untersuchung ihre Erlaubnis einholen müssen. Das einzige uns zur Verfügung stehende Kommunikationsmittel war die emotionale Ausstrahlung der Virenkreatur, die zwar exakte Informationen über ihre Gefühle, aber keine medizinischen Fakten liefern konnte. Als Lonvellin darauf bestand, ihm seinen Leibarzt umgehend wieder einzusetzen, fand die Wiedervereinleibung über die Schleimhäute einer Mundöffnung innerhalb von acht Komma drei Sekunden statt. Danach konnten wir mit Ausnahme des Vorhandenseins von nun zwei Quellen emotionaler Ausstrahlungen und einer leichten Gewichtszunahme, die exakt dem Gewicht der Virenkreatur entsprach, keine weiteren Merkmale seiner Anwesenheit im Wirtskörper ausfindig machen.
Aber wir müssen diesen kaum nachweisbaren Parasiten finden, und das so schnell wie möglich. Wie wir wissen, handelt es sich um einen intelligenten Organismus, der bislang versucht hat, hilfsbereit zu sein, wenngleich seine Bemühungen im Fall von Hewlitt auch langfristige physische und psychische Leiden verursacht haben. Dennoch können wir es nicht zulassen, daß sich ein Organismus, der die Speziesbarriere überwinden kann und über seinen eigenen und stark begrenzten Erfahrungsbereich hinaus über keinerlei medizinisches Wissen verfügt, in einem Krankenhaus frei herumbewegt, das für über sechzig verschiedene Spezies zuständig ist.«
Conway hielt inne, um jeden Anwesenden im Raum einzeln anzublicken, bis er seine Aufmerksamkeit wieder Hewlitt zuwandte. Als der Diagnostiker weitersprach, klang seine Stimme zwar ruhig und nüchtern, aber die emotionale Anspannung ließ Prilicla an der Decke leicht ins Trudeln geraten.»Es ist unumgänglich, die Suche einzuschränken, indem wir einerseits gewisse Individuen und Gruppen als in Frage kommende Wirtskörper ausschließen und andererseits unsere Bemühungen nur auf aller Wahrscheinlichkeit nach in Frage kommende Wirte konzentrieren. Sämtliche Mitarbeiter der psychologischen Abteilung haben sich mittlerweile auch ins Krankenhausgetümmel gestürzt, weil wir hoffen, auf diese Weise von irgendwelchen Gerüchten über Patienten zu erfahren, deren Gesundheitszustand sich ohne ersichtlichen Grund plötzlich verschlechtert oder, ebenso unverhofft, schlagartig verbessert hat. Sollte jemand etwas in dieser Richtung erfahren, werden wir uns sofort mit dem betreffenden Patienten genauer befassen. Wenngleich es zum Krankenhausalltag gehört, daß sich der Zustand von Patienten normalerweise auch ohne das Zutun unseres intelligenten Virenfreundes ständig verbessert und in seltenen Fällen auch mal verschlechtert. Haben Sie nach Ihren ausgiebigen persönlichen Erfahrungen mit diesem Organismus irgendwelche Vorschläge, die uns bei der Suche behilflich sein könnten?«
Als der einzige Nichtmediziner im Raum war Hewlitt überrascht, daß die erste Frage gleich an ihn gerichtet wurde. Entweder war Diagnostiker Conway ein sehr höflicher Mensch oder aber wirklich verzweifelt.
»Ich… ich wußte ja nicht einmal, daß dieses Ding in mir steckte«, antwortete er etwas verlegen. »Tut mir leid.«
Nun meldete sich zum ersten Mal O'Mara zu Wort: »Irgend etwas müssen Sie aber wissen, auch wenn es Ihnen nicht bewußt ist. Haben Sie nicht hin und wieder irgendwelche Gefühle oder Gedanken gehabt, die Ihnen damals eigenartig vorgekommen sind? Oder ist Ihnen aufgefallen, daß Sie Personen, Gegenstände oder Begebenheiten von einem Standpunkt aus betrachtet haben, der sich möglicherweise mit Ihrem eigenen gar nicht vereinbaren ließ? Erinnern Sie sich daran, merkwürdige Träume oder Alpträume gehabt zu haben, oder an atypische Verhaltensweisen? Auch wenn die Inbesitznahme Ihres Körpers durch diese Kreatur keine optisch oder körperlich spürbaren Folgen hatte, so müssen Sie seine Gegenwartzumindest unterbewußt wahrgenommen haben. Können Sie sich rückblickend an irgend etwas in dieser Richtung erinnern? Denken Sie bitte genau nach.«
Hewlitt schüttelte den Kopf. »Die überwiegende Zeit habe ich mich eigentlich recht wohl gefühlt. Allerdings hat es mich zur Weißglut getrieben, wenn ich hin und wieder wirklich krank gewesen bin und mir niemand geglaubt hat. Jetzt kenne ich ja auch den Grund für das, was mir widerfahren ist. Aber dieses Ding ist fast mein ganzes bisheriges Leben in meinem Körper gewesen, also kann ich auch nicht sagen, wie ich mich gefühlt oder verhalten hätte, wenn es nicht in mir drin gewesen wäre. Deshalb fürchte ich, daß ich Ihnen keine große Hilfe bin.«