Bei meiner Ankunft hier im Orbit Hospital bin ich dann von einer hudlarischen Schwester empfangen worden, und auf dem Weg zur Station sind wir an Wesen vorbeigekommen, die ich mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht hätte vorstellen können. Obwohl ich wußte, daß es sich um Mitarbeiter und Patienten des Hospitals handelte, habe ich mich trotzdem derart vor ihnen gefürchtet, daß ich eine ganze Weile vor Angst nicht einschlafen konnte. Gleichzeitig bin ich aber auch neugierig gewesen und wollte mehr über sie erfahren. Vor Oberschwester Leethveeschi hatte ich zum Beispiel eine Heidenangst, und zugleich faszinierte sie mich.«
Naydrad gab ein gurgelndes Geräusch von sich, was aber Hewlitt und die anderen im Raum nicht zu irritieren vermochte.
»Innerhalb weniger Stunden erkundigte ich mich über Hudlarer und über Wesen wie Leethveeschi und Medalont. Am nächsten Tag unterhielt ich mich bereits mit anderen Patienten und spielte sogar Karten mit ihnen. Was ich damit sagen will, ist, daß ich ein solches Verhalten von mir selbst niemals erwartet hätte. Die Xenophobie, die ich empfunden habe, entsprang sicherlich meinen ureigensten Ängsten, aber die brennende und anhaltende Neugier auf die anderen Lebensformen um mich herum, muß von jemand anderem ausgegangen sein.«
Kurz erweckte das Büro den Eindruck eines Standbilds, auf dem ihn alle anblickten, weil er die Kamera in der Hand hielt. Erst als O'Mara das Wort ergriff, kehrten Ton und Bewegung zurück.
»Im Grunde trifft es wohl zu, was Sie gesagt haben, aber eben nicht ganz. Anscheinend haben Ihre Eltern nämlich doch recht behalten, daß Sie Ehre Angst vor Fremdweltlern mit der Zeit ablegen würden, denn nach Ihrer Ankunft hier im Hospital haben Sie das innerhalb weniger Stunden geschafft. Selbst Prilicla war von Ihnen tief beeindruckt. Er hat mir erzählt, daß er bei Ihnen, als Sie das medizinische Team der Rhabwar zum ersten Mal kennengelernt haben, nur hin und wieder sehr schwache fremdenfeindliche Gefühle feststellen konnte – zu einem Zeitpunkt also, als die Virenkreatur gar nicht mehr in Ihrem Körper steckte. Seitdem diesesWesen nach dem Zwischenfall mit Morredeth Sie verlassen hat, sind für die Neugierde und das Interesse, das Sie plötzlich für ETs empfinden, allein Sie selbst verantwortlich.«
»Ich nehme an, das sollte ein Kompliment sein«, warf Hewlitt lächelnd ein.
»Nein, lediglich eine Feststellung«, entgegnete O'Mara mit grimmiger Miene. »Meine Aufgabe hier ist es, die Leute auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, und nicht, sie abheben zu lassen. Trotzdem hilft uns das, was Sie eben gesagt haben, vielleicht etwas weiter. Können Sie den Intensitätsgrad dieser geteilten Neugierde genauer beschreiben? Ich meine, wenn man einmal unterstellt, daß diese Virenkreatur ein gesteigertes Interesse an anderen Lebensformen als potentielle Wirtskörper hat, haben Sie dann – neben Ihren eigenen Gefühlen der Neugier – auch etwas von diesen doch eher egoistischen Absichten bemerkt? Hatten Sie zum Beispiel den Eindruck, daß Ihr Leibarzt aus eigenem Willen einen anderen Wirtskörper aufsuchen konnte? Und sind Sie sich wirklich sicher, daß seine Übertragung auf einen anderen Körper von Ihrem emotionalen Zustand abhing, wie es ja bei Ihrer Katze und Morredeth der Fall gewesen ist? Versuchen Sie, sich an all Ihre Gefühle genau zu erinnern, und nehmen Sie sich bitte Zeit zum Nachdenken, bevor Sie antworten.«
»Da brauche ich nicht lange nachzudenken«, widersprach Hewlitt. »Beide Male, als die Virenkreatur meinen Körper verlassen hat, habe ich tiefes Mitleid empfunden, so daß ich mir nicht absolut sicher sein kann, ob diese Gefühle für die Übertragung unbedingt notwendig waren. Was die Katze angeht, so habe ich sie die ganze Nacht dicht am Körper gehalten, aber der Kontakt mit Morredeth dauerte nur etwa eine Minute, allenfalls zwei. Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß ich meine Hände wegziehen wollte, weil das Zeug, das auf die Wunde und Verbände geschmiert war, sich eklig anfühlte, daß ich sie aber zuerst kaum bewegen konnte. Als es mir schließlich gelang, mich loszureißen, hatte ich in den Handflächen und Fingern ein ziemlich merkwürdiges Gefühl, ein heißes Kribbeln, das aber nach wenigen Sekunden wieder verschwand. Damalshabe ich nichts davon erwähnt, weil mir sowieso niemand meine Geschichten abnahm und ich es ohnehin nicht für so wichtig hielt.«
»Und erinnern Sie sich noch an mehr Dinge, die Sie selbst nicht für so wichtig halten?« zischte O'Mara.
Hewlitt atmete tief durch, wobei er Prilicla zuliebe versuchte, die sarkastische Bemerkung des Majors zu überhören. Dann fuhr er fort: »Wenn wir unterstellen, daß die Virenkreatur für das Aufsuchen eines neuen Wirts körperlichen Kontakt benötigt und es schon immer daran interessiert war, eine solche Möglichkeit wahrzunehmen, wie ist es dann um mein Interesse an Leethveeschi und diesem Doktor bestellt, der in einem Druckbehälter auf die Station gerollt kam? Ich bin mir ziemlich sicher, daß ich mit den beiden keinen körperlichen Kontakt haben wollte, insbesondere nicht mit der Oberschwester, so daß die Neugierde nicht von mir stammen konnte. Bedeutet das nun, daß diese Virenkreatur ihre Zeit verschwendet, indem sie Sehnsüchten nachhängt, obwohl sie diese selbst unmöglich stillen kann, oder ist sie womöglich in der Lage, in jedes x-beliebige Lebewesen einzudringen?«
O'Mara stieß verärgert einen kurzen Seufzer aus. »Die ganze Zeit bestand die Gefahr, daß Sie das Problem nur noch komplizierter machen würden, anstatt bei der Suche nach einer Lösung behilflich zu sein. Falls Sie nämlich recht haben sollten und unser Freund nicht allein von warmblütigen Sauerstoffatmern als Wirtskörper abhängig ist, dann kompliziert das unsere Suche erheblich.« Der Chefpsychologe blickte die anwesenden Mediziner der Reihe nach an. »Ist eine solch radikale, speziesübergreifende Übertragung überhaupt möglich?«
»So gut wie unmöglich«, antwortete Diagnostiker Conway als erster.
»Bis zur Einlieferung von Patient Hewlitt haben wir es alle für unmöglich gehalten, daß ein Mikroorganismus vom Planeten X in einer Lebensform des Planeten Y weiterexistieren kann«, konterte O'Mara in seinem typisch ironischen Ton.
Conway schien sich nicht beleidigt zu fühlen und fuhr fort: »Deshalb habe ich ja auch gesagt: so gut wie unmöglich. Jedoch gibt es riesigeUnterschiede gegenüber dem Metabolismus eines Chloratmers. Die erforderliche Anpassung an die biochemischen Prozesse solcher Wesen wäre, und ich wiederhole mich da gern, so gut wie unmöglich… «
»Und wer hätte darüber hinaus schon Lust, in einem illensanischen Körper zu leben?« merkte Naydrad an.
»… dasselbe gilt natürlich auch für exotischere Lebensformen wie die TLTUs, SNLUs oder VTXMs«, setzte Conway seine Ausführungen fort, wobei er Hewlitt einen Blick zuwarf, der ihm zu verstehen geben sollte, daß diese ergänzenden Erläuterungen in erster Linie ihm galten. »Ich würde sogar behaupten, daß diese als Wirtskörper überhaupt nicht in Frage kommen. Die ersten atmen überhitzten Dampf, und das unter Bedingungen, unter denen in grauer Vorzeit OP-Instrumente sterilisiert wurden. SNLUs sind zarte, kristalline, auf Methan basierende Lebensformen, die sofort zu Asche zerfallen, wenn die Umgebungstemperatur auf über minus hundertzwanzig Grad Celsius steigt. Bei den VTXM-Telfanern handelte es sich wiederum um eine sogenannte heiße Lebensform, das aber nicht wegen einer erhöhten Körpertemperatur, sondern weil diese Wesen für die Aufrechterhaltung ihrer Lebensfunktionen hohe Mengen harte Strahlung aufnehmen müssen.