Doch zu seiner Verwunderung sagte der Melfaner: »Ich würde Ihnen nun gern ein paar Fragen stellen, Patient Hewlitt. Dabei handelt es sich umFragen, die Ihnen bestimmt schon oft gestellt worden sind und deren Antworten bereits in der Krankenakte festgehalten wurden. Dennoch besteht die Möglichkeit, daß diese Antworten gerade aufgrund der ständigen Wiederholungen ungenau oder unvollständig geworden sein könnten, und vielleicht gelingt es mir, die von meinen Vorgängern übersehenen Informationen aufzudecken. Abgesehen davon, daß Sie als Säugling und als kleines Kind auf Etla gewesen sind, haben Sie nie Reisen außerhalb der Erdatmosphäre unternommen, richtig?«
»Ja«, antwortete Hewlitt.
»Hatten Sie auf Etla irgendwelchen Kontakt mit anderen Spezies?«
»Ich kann mich zwar daran erinnern, einige Extraterrestrier gesehen zu haben, aber nicht so genau, als daß ich sie jetzt beschreiben könnte. Ich war gerade mal vier Jahre alt und hatte Angst vor ihnen. Meine Eltern haben mir zwar damals gesagt, daß ich meine Abneigung eines Tages ablegen würde, aber jedesmal, wenn wir Besuch von anderen Spezies bekamen, haben sie mich von ihnen ferngehalten. Offensichtlich habe ich diese Angst bis heute nie richtig überwinden können.«
»Nun, es ist noch nicht zu spät dafür«, ermutigte ihn Medalont. »Hatten Sie irgendwelche Kinderkrankheiten? Wenn ja, dann beginnen Sie bitte mit der ersten, an die Sie sich erinnern können.«
»Soweit ich weiß, bin ich nicht oft krank gewesen«, antwortete Hewlitt. »Wie ich später erfuhr, soll ich als Kleinkind ziemlich gesund gewesen sein. Aber als meine Eltern bei einem Flugzeugunglück ums Leben kamen, wurde beschlossen, mich zu meinen Großeltern auf die Erde zurückzubringen, wo ich die üblichen Impfungen gegen terrestrische Kinder- und Erwachsenenkrankheiten erhielt. Danach begannen die eigentlichen Probleme. Damals lebten nur sehr wenige Terrestrier auf Etla, und da meine Eltern nicht vorgehabt hatten, zur Erde zurückzukehren, hielten sie es auch nicht für notwendig, mich vorsorglich impfen zu lassen.«
»Kennen Sie denn den wahren Grund dafür?« hakte der Arzt nach.
»Sicher«, antwortete Hewlitt leicht verdutzt.»Dann sagen Sie ihn mir bitte«, forderte Medalont ihn auf. »Wenn wir uns darüber unterhalten, nimmt Ihnen das vielleicht auch ein wenig von Ihrer Besorgnis, hier von Extraterrestriern umgeben zu sein.«
Hewlitt mochte es nicht, wenn man sich lustig über ihn machte. Weder war er ein kleines Kind, noch ein seniler Greis, und es ärgerte ihn, wenn ein medizinischer Besserwisser ihm unterstellte, daß er geistlos oder, schlimmer noch, ungebildet war. »Wenn Sie niesen, kann ich mich durch ihre melfanischen Bazillen nicht anstecken, und umgekehrt gilt dasselbe, wie sich übrigens alle artfremden Lebensformen hier im Krankenhaus gegenseitig nicht anstecken können. Das hängt mit der Evolution und den Umweltbedingungen zusammen. Krankheitserreger, die sich auf dem Planeten X entwickelt haben, können Wesen, die vom Planeten Y stammen, nicht befallen. Wie es heißt, soll es auf der Erde immer noch einige zumeist sehr alte oder schlecht geführte Krankenhäuser geben, in denen man sich bei anderen Menschen anstecken kann, obwohl man eigentlich darauf hofft, die eigene Krankheit loszuwerden.
Ist das auch der Grund, weshalb es auf dieser Station immer nur jeweils einen Patienten einer Spezies gibt? Soll auf diese Weise das Risiko ausgeschlossen werden, daß sich Patienten derselben Spezies gegenseitig anstecken?« fragte Hewlitt abschließend.
Doktor Medalont blinzelte so heftig mit den Augen, daß Hewlitt das Klimpern der Lider hören konnte, dann antwortete er: »Offiziell würde man das im Orbit Hospital zwar niemals zugeben, aber darüber hinaus gibt es wirklich noch andere Grunde. Nun, in medizinischer Hinsicht scheinen Sie ja recht gut informiert zu sein, dennoch wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mich darüber unterrichten könnten, wann die Symptome Ihrer Krankheit zum ersten Mal aufgetreten sind.«
»Wenn Sie wüßten, wie viele Ärzte in all den Jahren über meinen Fall diskutiert haben, dann würden Sie sich nicht wundern, daß ich einiges davon verstehe«, erwiderte Hewlitt. »Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Als ich damals noch vor meiner Rückkehr zur Erde eine erste Impfung erhielt, wurde mir gesagt, daß mein Körper ausgesprochenheftig reagiert habe. Ich soll unter Fieber, Hautausschlag und Schleimhautentzündung gelitten haben. Diese Symptome müssen allerdings nach ein paar Tagen verschwunden sein, und wie man mir später erzählte, seien sie auch keine typische Reaktion auf die Impfung gewesen. Nachdem ich auf der Erde eingetroffen war, erkrankte ich erneut, wobei andere Symptome auftraten und der Genesungsprozeß immer länger dauerte. Und ich kann mich daran erinnern, daß es mir häufig sehr schlecht ging. Ich wurde oft schlagartig müde, auch wenn ich mich beim Spielen nicht besonders verausgabt hatte, oder mir wurde ohne ersichtlichen Grund übel, und ich mußte mich übergeben oder hatte leichtes Fieber oder bekam einen Ausschlag. Dennoch waren die Krankheiten nicht schwer genug, als daß ich mich an die genauen Einzelheiten erinnern könnte oder daran, wie lange sie anhielten. Meine Großeltern beobachteten mich zwar genau, aber sie waren nie ernsthaft besorgt um mich. Sie brachten mich zu einem Arzt in unserem Ort, der mit ihnen die Meinung teilte, daß ich einfach nur ein kränkliches Kind sei, das sich anscheinend jedes Virus einfing, das gerade im Schwange war.
Trotzdem bin ich kein kränkelndes Kind gewesen, wie man es mir manchmal vorwarf«, erzählte Hewlitt weiter, wobei er sich noch im nachhinein über derlei ungerechtfertigte Anschuldigungen ärgern mußte. »Zwischendurch bin ich sogar immer wieder in die Schulmannschaft berufen worden und hab an Laufwettbewerben teilgenommen, und das … «
»Patient Hewlitt«, unterbrach ihn Medalont. »Soweit Sie es damals einschätzen konnten, standen also die Übelkeit, der leichte Hautausschlag und all die anderen Symptome nicht im direkten Zusammenhang mit irgendwelchen Impfungen, richtig? Könnte es sein, daß diese Erscheinungen durch die Verabreichung anderer Medikamente ausgelöst wurden? Vielleicht durch leichte Palliative gegen Kopfschmerzen oder ein Schmerzmittel, das Ihnen nach einer Sportverletzung verabreicht wurde, und woran Sie sich aufgrund der damaligen Aufregung nicht mehr erinnern können? Oder haben Sie etwas gegessen, das Sie nicht vertragen haben, wie zum Beispiel rohe oder unreife Früchte oder Pflanzen?«»Nein«, widersprach Hewlitt. »Wenn mir damals jemand während eines Spiels in die Knochen getreten oder ich mich sonstwie verletzt hätte, würde ich mich noch heute daran erinnern. Und wenn ich etwas gegessen hätte, wovon mir schlecht geworden wäre, würde ich mich ebenfalls noch daran erinnern und hätte es mit Sicherheit nie wieder angefaßt. Ich bin doch nicht dumm, und das bin ich übrigens auch schon damals nicht gewesen.«
»Das glaube ich Ihnen gern«, besänftigte ihn der Arzt. »Aber bitte erzählen Sie weiter.«
Ungeduldig und leicht verärgert fuhr Hewlitt mit seiner Krankheitsgeschichte fort, die er schon so oft in der Vergangenheit etlichen Medizinern erzählt hatte, von denen die meisten nur halbherzig versucht hatten, beim Zuhören ihre Ungeduld zu verbergen. Er beschrieb den plötzlichen Ausbruch einer Vielzahl von Symptomen, für die es scheinbar keine Ursache gegeben hatte, und obwohl sie ihm lästig und manchmal auch peinlich gewesen waren, war er durch sie doch nie so stark beeinträchtigt worden, daß er durch sie ans Bett gefesselt gewesen wäre. Mit neun Jahren, also fünf Jahre nach seiner Rückkehr zur Erde, war er von seiner Tante zum Hausarzt der Familie gebracht worden. Dieser schon etwas ältere Arzt faßte damals den ersten richtigen - oder vielleicht auch völlig falschen – Beschluß, Hewlitt keine Medikamente mehr zu verabreichen, wann immer diese unerklärlichen und relativ schmerzfreien Symptome bei ihm auftraten. Er vertrat nämlich die Auffassung, daß die Anzahl und die Vielfalt der Symptome im direkten Zusammenhang mit der medikamentösen Behandlung stehen könnten, so daß es am vernünftigsten sei, nichts zu verschreiben und das Ergebnis abzuwarten. Zwar konnte er den Arzt jederzeit aufsuchen, wenn die Symptome wieder auftraten, doch von da an pflegten sie sich lediglich darüber zu unterhalten.