Fast zur selben Zeit, also vor knapp zwei Wochen, hat Chefarzt Medalont den Auszubildenden an Horrantors Bett einen Vortrag gehalten«, fuhr Bowab fort. »Er erzählte den Anwesenden, daß die Patientin soweit wiederhergestellt sei, um umgehend entlassen werden zu können. Das hätte eigentlich binnen weniger Tage geschehen sollen, weil die Besatzungsmitglieder der meisten Versorgungs- und Transportschiffe, die manchmal vier- oder fünfmal in der Woche hierherkommen, einersauerstoffatmenden Warmblüterspezies angehören und laut Föderationsgesetz dazu verpflichtet sind, die Mehrheit der transportfähigen warmblütigen Sauerstoffatmer unterzubringen. Bedenken Sie, daß Traltha und Dutha zentrale Handelswelten sind, die praktisch für alle direkt auf dem Weg liegen. Aber die Begründung, die Leethveeschi Horrantor für deren Aufenthaltsverlängerung genannt hatte, war genau dieselbe, die sie mir gegeben hatte, daß nämlich hinsichtlich der für mich erforderlichen Umweltbedingungen kein geeignetes Transportmittel zu Verfügung stehe.«
»Vergessen Sie nicht, ihm über die Notfallübung zu berichten«, erinnerte ihn Horrantor.
»Nein, ganz bestimmt nicht«, erwiderte Bowab. »Also, vorgestern ist nämlich ein zwanzig Mann starkes Wartungsteam über unsere Station hergefallen. Leethveeschi hat das Ganze als eine Evakuierungsübung für den Notfall deklariert. Dabei trennten die Wartungsleute erst einmal die Betten der am ernsthaftesten erkrankten Patienten von den Wandbefestigungen und rüsteten die Gestelle mit zusätzlichen Sauerstoffbehältern und Gravitationsgittern aus. Dann wurden luftdichte Schutzzelte verteilt und man transportierte uns von der Station zu dem Gang, der zur Schleuse fünf führt, bis man uns schließlich wieder zurückbrachte. Leethveeschi stoppte die Zeit und ermahnte die Wartungsleute, daß der ganze Ablauf schneller werden müsse. Danach entschuldigte sie sich bei uns für die Unannehmlichkeiten und sagte, daß wir unser Spiel fortsetzen könnten und uns ansonsten keine Sorgen zu machen brauchten. Noch während die Leute des Wartungsdienstes die Station verließen und sich über den unverschämten Ton der Oberschwester beklagten und vor allem über den ungerecht hohen Leistungsstandard, den ihre Vorgesetzten von ihnen verlangten, obwohl es eine Katastrophenübung dieses Ausmaßes seit ungefähr zwanzig Jahren nicht mehr gegeben habe, konnten wir einige merkwürdige Wortfetzen aufschnappen, die uns sehr beunruhigt haben.
Also lautet unsere Frage: Was genau verheimlichen die vor uns?« beendete Bowab seine Ausführungen.
»Ich weiß es nicht…«, antwortete Hewlitt und fügte leise hinzu:»…jedenfalls nicht genau.«
Das entsprach durchaus der Wahrheit. Dennoch erinnerte er sich an die Rückreise mit der Rhabivar und an die Warnmeldung, die von der Anmeldezentrale gesendet worden war; nämlich daß alle Raumschiffe vorläufig außerhalb der inneren Leitbaken in Position zu gehen hätten, wenn sie keine Verletzten beförderten, die dringend versorgt werden müßten. Als Grund war ein nicht näher bestimmtes technisches Problem angeführt worden, mit dem sich der Wartungsdienst umgehend befassen werde, wenngleich diese Warnmeldung für das Ambulanzschiff Rhabivar offensichtlich nicht gegolten hatte.
Hewlitt fühlte sich nicht ansatzweise so locker, wie er sich anhörte, als er weitersprach: »Bislang sind mir zwar keinerlei Gerüchte über eine Evakuierung zu Ohren gekommen, aber ich werde mich trotzdem mal umhören und mich überall erkundigen. Wäre es nicht möglich, daß Sie das Gespräch, von dem Sie zufällig einiges mitgehört haben, mißverstanden haben? Schließlich führen alle öffentlichen Einrichtungen mit einem solch intensiven Personalaufwand von Zeit zu Zeit Notfallübungen durch. Na ja, und als jemand gemerkt hat, daß im Orbit Hospital seit zwanzig Jahren keine mehr stattgefunden hat, ist von der Krankenhausverwaltung wahrscheinlich entschieden worden, eine solche Übung lieber gestern als heute durchführen zu lassen, und natürlich waren die rangniedrigen Angestellten wieder einmal die Hauptleidtragenden.
Also könnte es doch durchaus sein, daß Leethveeschi recht hat und es nichts gibt, worüber Sie beunruhigt sein müßten«, fügte er hinzu, wobei er in Gedanken die Daumen drückte.
»Das ist genau das, was wir uns auch immer sagen, aber nachdem wir nun schon so lange miteinander Scremman spielen, fällt es uns schwer, überhaupt noch etwas zu glauben, was der andere erzählt«, wandte Horrantor ein.
»Wo wir gerade beim Thema sind, möchten Sie mitspielen?« wollte Bowab wissen. »Einer von uns könnte Sie kurzfristig als politischen Berater einkaufen, der die Seite wechseln will und …«Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte Hewlitt, wie der Padre langsam die Station entlangging. Lioren bewegte sich im Zickzack und sah nach den Patienten oder wechselte mit Ihnen ein paar Worte, so wie er es selbst kurz zuvor getan hatte.
»Tut mir leid, diesmal geht's nicht«, lehnte er schließlich das Angebot dankend ab. »Ich muß gleich gehen.«
Nachdem er sich von seinen beiden ehemaligen Mitpatienten verabschiedet hatte und sich schließlich mit Lioren draußen auf dem Korridor befand, sagte er: »Ich habe bei den Patienten und beim Personal nichts wahrgenommen. Und wie ist es Ihnen ergangen, Padre?«
»Auch nicht anders«, antwortete Lioren.
»Aber ich habe ein interessantes Gerücht vernommen«, fuhr Hewlitt fort und berichtete über Horrantors und Bowabs Beobachtungen und den Wortlaut der Warnmeldung, die von der Rhabwar empfangen worden war. Er wußte, daß Lioren ihm keine Märchen erzählen würde, und wenn der Padre ihm nicht die Wahrheit sagen durfte, dann würde er seine Fragen geflissentlich überhören. »Sind Ihnen auch irgendwelche Gerüchte über eine Evakuierung zu Ohren gekommen? Und wenn ja, wissen Sie, was da vor sich geht?«
Es dauerte eine Weile, ehe Lioren antwortete: »Als nächstes begeben wir uns zu demDiagnostikertreffen auf Ebene dreiundachtzig.«
27. Kapitel
Als erster traf ein großer, alter Tralthaner ein, der sich nur schleppend fortbewegte und den Lioren sofort als Thornnastor, den leitenden Diagnostiker der Pathologie, identifizierte. Sie beobachteten ihn von dem Augenblick seines Auftauchens aus einem Seitengang, der ungefähr dreißig Meter von ihnen entfernt lag, bis zu dem Zeitpunkt, als er an ihnen vorbeizog. Die beiden standen direkt gegenüber dem Raum, in dem das Treffen stattfinden sollte. Ohne ein Auge in ihre Richtung zu biegen oder ein Wort zu sagen, trottete er durch den Eingang hindurch.
»Nichts?« fragte der Padre.
»Nichts«, stimmte ihm Hewlitt zu. »Aber warum hat er uns nicht einmal eines Blickes gewürdigt? Wir sind groß genug, um gesehen zu werden, und außer uns hält sich hier niemand im Korridor auf.«
»Ihm geht einfach zu viel durch den Kopf, weil er…«, begann Lioren, hielt dann aber inne und fuhr fort: »Dahinten kommen drei weitere. Conway und der Chefpsychologe sind, wie wir ja bereits wissen, sozusagen sauber. Bei der Kelgianerin handelt es sich übrigens um die Diagnostikerin Kurrsedeth. Und? Auch nichts?«