»Quatsch, überhaupt nicht!« widersprach Zwei-Elf entschieden. »Ich gebe zwar gern zu, daß ich mich in letzter Zeit etwas schwach gefühlt habe, aber ich bin sehr viel besser bei Kräften, als es derzeit den Anschein hat.«
Hewlitt, dem dazu keine passende Antwort einfiel, griff kurzerhand nach der Flosse, deren dickes, rotgeädertes Ende wie eine riesige, durchsichtige Rhabarberstange aus einer Öffnung des schuppigen Panzers sproß. Als er plötzlich spürte, wie etwas Unsichtbares ihn loszureißen versuchte, packte er fester zu, bis er merkte, daß nur der steigende Wasserdruck an ihm zerrte, der durch die rasche Vorwärtsbewegung ausgelöst worden war. Während sie wie ein Torpedo durch die ganze Station schossen, glitten sie an den Zierpflanzen, den riesigen Patienten und dem im direkten Vergleich geradezu winzig wirkenden Pflegepersonal vorbei.
Wie Hewlitt sehen konnte, gab es auf dieser Station keine Betten, wasallerdings angesichts der hier herrschenden Umweltbedingungen alles andere als verwunderlich war. Diejenigen Chalder, die bettlägerigen Patienten am ehesten gleichkamen, waren an offene Behandlungsgestelle gebunden, die wie Kastendrachen aussahen. Einer dieser Patienten, dessen gesamte Körperoberfläche aus krankheits- und altersbedingten Gründen rissig und verfärbt war, erhielt gerade Besuch von Lioren. Die Mehrheit der anderen schwamm ohne Einschränkungen in den ihnen zugewiesenen, an Wänden und Decke markierten Bereichen umher, und da sie die Augen auf flackernde Bildschirme richteten, sahen Sie sich vermutlich Unterhaltungsprogramme an. Zwei Chalder trieben Kopf an Kopf fast bewegungslos am Ende der Station und unterhielten sich offenbar. Dort befand sich auch das Ziel. Als sich Zwei-Elf und Hewlitt den beiden näherten, schlugen sie mit den gewaltigen Schwänzen, drehten sich schwerfällig um und starrten sie mit weit aufgesperrten Mäulern an.
»Wenn Sie möchten, können Sie jetzt absitzen«, meinte Zwei-Elf und deutete mit einem fransigen Tentakel auf die beiden AUGLs: »Das sind übrigens die Patienten Eins-Dreiundneunzig und Zwei-Einundzwanzig. Und das hier ist eine terrestrische Besucherin, die sich mit uns unterhalten möchte.«
»Ich sehe auch so, daß es sich nicht um einen deiner widerlichen Körperparasiten handelt«, frotzelte Eins-Dreiundneunzig. »Worüber möchte er sich denn mit uns unterhalten? Über den idiotischen Grund, weshalb wir immer noch hier sind?«
Bevor Hewlitt antworten oder die geschlechtliche Frage klarstellen konnte, meldete sich Zwei-Einundzwanzig zu Wort: »Bitte entschuldigen Sie das Verhalten unseres Freundes, kleine Sauerstoffatmerin. Seine Manieren lassen aufgrund einer Mischung aus Ungeduld, Langeweile und Heimweh in letzter Zeit etwas zu wünschen übrig. Normalerweise ist sein Benehmen viel besser… na ja… zumindest etwas besser, als es jetzt der Fall ist. Dennoch bleibt seine Frage bestehen, nämlich warum Sie hier sind und was Sie uns zu sagen haben.«
Hewlitt wartete solange, bis die drei die Position gewechselt hatten undnebeneinander im Wasser schwebten, so daß sie ihn direkt ansehen konnten. Der Anblick eines aufgerissenen Rachens mit drei Zahnreihen war ihm schon etwas nahe gegangen, aber die drei übergroßen, aufgesperrten Mäuler, die nur wenige Meter von seinem Kopf entfernt waren, hatten nun eine eher lächerliche als furchterregende Wirkung auf ihn, so daß er sich langsam zu entspannen begann. Nach kurzer Überlegung faßte er den Entschluß, daß es sich wieder einmal um einen jener Augenblicke handelte, in dem man lieber sparsam und vielleicht sogar etwas erfinderisch mit der Wahrheit umgehen sollte.
»Ich weiß selbst nicht so genau, worüber ich reden möchte«, antwortete er. »Das Thema ist mir eigentlich egal. Ich möchte mich lediglich ein bißchen unterhalten. Ich bin weder Mediziner noch Psychologe, sondern nur ein ehemaliger Patient, der bei einigen Nachforschungen behilflich ist. Da es noch eine Weile dauern kann, bis man mir genehmigen wird, das Krankenhaus zu verlassen, und es nichts Interessantes für mich zu tun gibt, hat man mir auf meine Bitte hin die Erlaubnis erteilt, die Zeit dafür zu nutzen, so viele Patienten und Klinikmitarbeiter wie möglich kennenzulernen und mich mit ihnen zu unterhalten.
Hier im Orbit Hospital bietet sich einem die fast einmalige Chance, praktisch jede Spezies der Föderation hautnah zu erleben, während ich mich auf der Erde schon glücklich schätzen könnte, zu meinen Lebzeiten überhaupt nur fünf verschiedenen Fremdweltlern zu begegnen. Eine solch günstige Gelegenheit wollte ich mir einfach nicht entgehen lassen.«
»Aber es gibt über hundert Chalder auf der Erde«, wandte Zwei-Elf ein. »Sie kümmern sich um die Fortbildung der intelligenten Meeressäugetiere, die von Ihren Vorfahren fast ausgerottet worden wären.«
»Sicher, aber die meisten davon sind chalderische Wissenschaftler und deren Familien«, sagte Hewlitt. »Nur einigen wenigen terrestrischen Meeresbiologen ist es erlaubt, sich mit ihnen zu treffen oder zusammenzuarbeiten. Leuten, die wie ich nicht vom Fach sind, ist es aus Gründen des Umweltschutzes strikt verboten, mit ihnen in Kontakt zu treten, wohingegen sich die Patienten hier im Orbit Hospital gegenseitigbesuchen dürfen.«
»Dennoch glaube ich, daß ein körperlich so schwaches Wesen wie Sie ein ernsthaftes Risiko eingeht, wenn es sich hier im Hospital überall umsieht, nur um die Zeit bis zur Entlassung totzuschlagen«, meinte Eins-Dreiundneunzig. »Im Vergleich zu einigen anderen Stationen sind die Umweltbedingungen hier auf der Chalderstation nämlich noch ausgesprochen freundlich. Aber mal was anderes: Spielte bei ihrer überwundenen Krankheit eigentlich auch eine psychologische Komponente eine Rolle?«
»Auf der Erde hielten das die meisten Mediziner sogar für sehr wahrscheinlich«, entgegnete Hewlitt, dem klar war, daß eine ironische Antwort keinen Sinn gehabt hätte. »Im Orbit Hospital wurde aber die wahre Ursache entdeckt, und es stellte sich heraus, daß sich die terrestrischen Ärzte allesamt geirrt hatten. Und was Ihre Befürchtungen angeht, daß ich ein zu großes Risiko eingehen würde, wenn ich mich hier im Hospital umsehe, so kann ich Sie beruhigen, da sich Padre Lioren bereiterklärt hat, mir sozusagen als Fremdenführer und Beschützer in einem zur Seite zu stehen.«
»Das Krankenhaus muß sich Ihnen gegenüber ziemlich verpflichtet fühlen, wenn es Ihnen einen solch ungewöhnlichen Wunsch erfüllt«, merkte Eins-Dreiundneunzig an. »Was fehlte Ihnen denn?«
Hewlitt versuchte immer noch, sich eine angemessene, nicht offenkundige Antwort einfallen zu lassen, als Eins-Dreiundneunzig sagte: »Wahrscheinlich handelte es sich um eins dieser ekligen Fortpflanzungsprobleme, die diese Wesen haben, die keine Eier legen können. Ihr seht doch, daß die Terrestrierin es uns nicht sagen will, und außerdem glaube ich nicht, daß ich es überhaupt wissen will.«
Eigentlich wollte sich Hewlitt spontan gegen die Vermutung wehren, ein weibliches Wesen zu sein, das keine Eier legen konnte. Da er aber ebensowenig wußte, ob er es mit weiblichen oder männlichen Chaldern zu tun hatte, konnte er es ihnen umgekehrt nicht vorwerfen, wenn sie mit ihm denselben Fehler begingen. Also besann er sich eines Besseren undantwortete diplomatisch:
»Meistens ist der übliche Klatsch und Tratsch hier im Orbit Hospital mit irgendeinem körperlichen oder emotionalen Aspekt des Fortpflanzungsprozesses verbunden. Wenn ich Ihnen die peinlichen Erlebnisse anderer Wesen erzählen sollte, dann wäre ich natürlich weniger zurückhaltend, als wenn es sich um die eigene Person dreht.«
»Aha, ich fürchte, wir verstehen, was Sie uns damit sagen wollen«, meinte Eins-Dreiundneunzig. »Aber jetzt würden wir lieber erst einmal wissen, wann wir voraussichtlich nach Hause geschickt werden. Haben Sie diesbezüglich irgend etwas vernommen?«