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Daß die Antwort auf beide Fragen ›ja‹ lautete, war Hewlitt klar, aber das konnte er nicht zugeben, da von der Existenz der Virenkreatur ebenfalls nur einige wenige wußten. Eigentlich wollte er von der Oberschwester ein paar genauere Details über den Notfall erfahren, doch traute er sich nicht mehr, irgendwelche Fragen zu stellen, zumal er so tun müßte, als wüßte er Bescheid. Aus seiner anfänglichen Neugier wurde allmählich wachsende Furcht.

»Tut mir leid, Schwester, aber leider ist es mir nicht erlaubt, diese Frage zu beantworten«, versuchte er sich aus der Affäre zu ziehen.

Immer mehr Körperteile Hredlichlis zuckten aufgeregt. »Wenn es um meine Station geht, dann kann ich einer solchen Geheimniskrämerei nicht zustimmen. Meine Chalder mögen zwar eine gewisse Übergröße haben, aber deswegen sind sie noch lange nicht dumm. Selbst in diesem Krankenhaus gibt es noch immer viel zu viele Leute, die körperliche Größe mit einem Mangel an Intelligenz gleichsetzen. Sollten meine Patienten erfahren, daß es eine Fehlfunktion im Energieversorgungssystem gibt, durch die das ganze Orbit Hospital bedroht ist, würden sie trotzdem niemals in Panik geraten. Sie würden nicht einmal auszubrechen versuchen, wenn man ihnen sagt, daß sie aufgrund ihrer Größe und den daraus folgenden Problemen mit ihrer Evakuierung zu den letzten zählen, die das Krankenhaus verlassen können, und daß wegen der knapp bemessenen Zeit nicht genügend Schiffe für ihre Unterbringung umgerüstet werden könnten. Und die giftige und verdünnte Atmosphäre außerhalb dieserStation wäre für diese Wesen genauso tödlich wie meine Chloratmosphäre oder der Weltraum. Diejenigen Patienten, die zurückbleiben müßten, würden ihr Schicksal akzeptieren und ganz bestimmt darauf bestehen, daß sich ihr Pflegepersonal retten solle, weil diese Chalder sehr intelligente, hoch sensible und äußerst fürsorgliche Monster sind.«

»Das kann ich nur bestätigen«, pflichtete ihr Hewlitt bei, schließlich hatte er sich erst kurz zuvor mit allen Chaldern unterhalten und selbst davon überzeugen können. Außerdem hatte er eben eine beängstigende Bestätigung des Grunds für die Notfallübungen erhalten, die offenbar überall stattgefunden hatten, nur nicht auf der Chalderstation. Am meisten beschäftigte ihn allerdings der Gedanke, weshalb er urplötzlich ein für ihn unerklärliches Mitleid mit dieser optisch so abscheulichen Chloratmerin empfand. »Wahrscheinlich wird es sowieso nicht so weit kommen, Oberschwester«, fügte er hinzu. »Ich denke, daß die Wartungsingenieure dieses Problem noch rechtzeitig in den Griff bekommen.«

»Bedenkt man, wie lange die gebraucht haben, nur um den Müllabzug am Behandlungsgestell von Eins- Siebenundachtzig zu reparieren, dann kann ich das Vertrauen, das Sie in diese Stümper setzen, nicht ganz nachvollziehen«, antwortete Hredlichli in ihrer gewohnt bärbeißigen Art.

Während seines Gesprächs mit der Oberschwester hatte Lioren die ganze Zeit sämtliche Augen auf Hewlitt gerichtet, doch selbst nie ein Wort dazu gesagt. Als sie sich wenige Minuten später wieder auf dem Korridor befanden, fragte sich Hewlitt, ob ihm der Padre das Gespräch mit Hredlichli krummnahm.

»Sind wir uns einig, daß es auf der Chalderstation keine Exwirte der Virenkreatur gibt?« erkundigte sich Hewlitt.

»Ja«, antwortete Lioren knapp.

Immerhin hatte dieses kleine Wort schon mal ein kleines Loch in die Mauer des Schweigens gerissen. Doch mit der wachsenden Angst wuchs auch Hewlitts Verlangen, mehr zu erfahren, und ihm war klar, daß seine nächste Frage dieses kleine Loch in der Mauer wieder verschließen könnte.»Haben Sie den Grund für die Notfallübung eigentlich auch gekannt und ihn mir extra nicht verraten, Lioren?«

»Ja«, antwortete der Padre, und bevor Hewlitt die naheliegende Frage nach dem Warum stellen konnte, fuhr Lioren fort: »Dafür gab es drei Gründe. Einer davon ist Ihnen ja bereits bekannt; nämlich der, daß Sie auf diesem Gebiet kein Experte sind, was wiederum bedeutet, daß es überhaupt keinen Sinn gehabt hätte, Sie über den wahren Sachverhalt zu informieren, da es nicht zur Lösung des Problems beigetragen hätte. Zweitens hätten Sie sich nur unnötige Sorgen gemacht, was sich möglicherweise auf Ihr Verhalten bei unserer gegenwärtigen Suche negativ ausgewirkt hätte. Und drittens bin ich über den Notfall unter ganz besonderen Begleitumständen informiert worden, die es mir verbieten, meine Kenntnisse preiszugeben. Auf jeden Fall haben Sie von Hredlichli auch nicht viel weniger erfahren, als ich weiß, so daß ich mich jetzt durchaus in der Lage sehe, mich mit Ihnen über die aktuelle Situation zu unterhalten… zumindest ganz allgemein.«

»Soll das etwa heißen, daß es da immer noch etwas gibt, das Sie mir nicht verraten wollen«, hakte Hewlitt nach und fügte im geringschätzigen Ton hinzu: »Natürlich nur, damit ich mir keine unnötigen Sorgen mache, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete Lioren.

Jetzt war Hewlitt an der Reihe, lieber eine Mauer des Schweigens um sich herum zu errichten, denn die Wörter, die er Lioren gerne an den Kopf geworfen hätte, wären dem Padre höchstwahrscheinlich nicht gerecht geworden.

Folglich mußte sich dieses Mal Lioren als Abbruchunternehmer von Schweigemauern betätigen. »Als nächstes begeben wir uns auf die SNLU-Station«, verkündete er. »Die SNLUs sind sehr zarte Methanwesen mit einer kristallinen Gewebestruktur, die auf helles Licht und steigende Umgebungstemperatur extrem empfindlich reagiert. Die für uns erforderlichen Schutzfahrzeuge sind stark isoliert und etwas unbeweglich, aber mit Außensensoren und fernbedienbaren Greifarmen ausgestattet.Aufgrund der extremen Hörempfindlichkeit ist es notwendig, die nach außen gehenden akustischen Signale zu reduzieren und die hereinkommenden zu verstärken, deshalb ist es sehr leise auf dieser Station. Sie können sich meinem Patienten ruhig nähern, wenn ich Sie mit ihm bekanntmache. Danach müssen Sie uns beide aber allein lassen. Sie können sich dann mit den drei anderen Patienten, die dort zur Zeit sonst noch behandelt werden, unterhalten, wie Sie es schon auf der Chalderstation getan haben. Um die Steuerung Ihres Schutzfahrzeugs brauchen Sie sich nicht zu kümmern, weil es vom Personalraum aus von einem Mitarbeiter ferngesteuert wird.«

Hewlitt schwieg beharrlich, da er sich noch immer maßlos darüber ärgerte, daß Lioren ihm Informationen vorenthielt, nur damit er sich keine unnötigen Sorgen machte.

»Wie Sie gleich feststellen werden, kühlt bei den auf der SNLU-Station herrschenden Umweltbedingungen selbst das heißblütigste Temperament rasch ab«, fügte Lioren weise hinzu.

29. Kapitel

Auf der Station herrschten Dunkelheit und eisige Kälte. Schwere Blei-und Panzerplatten dienten als Isolation vor der Reststrahlung und Wärme, die durch den hospitalnahen Schiffsverkehr hervorgerufen wurden. Natürlich gab es keine Fenster, weil selbst das schwache Licht der weit entfernten Sterne diesen sensiblen Bereich des Orbit Hospitals nicht erreichen durfte. Die Abbildungen, die auf Hewlitts kleinem Bildschirm erschienen, waren aus dem nicht sichtbaren Spektrum umgewandelt worden, wodurch sie unwirklich und nahezu geisterhaft wirkten. Die Schuppen, mit denen der achtgliedrige, seesternähnliche Körper des Patienten bedeckt war, glänzten durch den Methannebel hindurch wie vielfarbige Diamanten, wodurch das Wesen einem wundersam anmutenden Wappentier ähnelte.