Jetzt hat die Virenkreatur alles, was sie für die Zukunft benötigt. Einzelne Telfis werden sterben, wenngleich jetzt längst nicht mehr so häufig wie früher, da sie nun über einen sehr mobilen Arzt verfügen, aber die Telfigestalt wird immer wieder Teilwesen ersetzen müssen oder sich erweitern und so für einen ständigen Informationsfluß und Erfahrungsaustausch sorgen. Somit hat die Virenkreatur ihre perfekte Wirtskörperspezies gefunden. Mit dem Willen zur Zusammenarbeit und dem Strahlenabsorptionsmechanismus der Telfigestalt als Starthilfe wird sie an Größe, Intelligenz und Energie zunehmen und sich fortwährend weiterentwickeln, bis sie in der Lage ist, Sonnen zu besiedeln, selbst auf die Gefahr hin, sich dabei selbst umzubringen. Das Orbit Hospital wird mit der Virenkreatur nie wieder Probleme haben.«
Hewlitt konnte in seinem Kopfhörer bis auf einige ungläubige Zischlautenichts hören, bis sich schließlich eine Stimme zu Wort meldete, die so leise und emotionsgeladen klang, daß sie nicht zu identifizieren war.
»Also beabsichtigt die Virenkreatur, die Sterne zu infizieren und zu besiedeln. Ich bezweifle nicht, daß sie meint, was sie sagt, schließlich wissen wir ja bereits, daß man mit dem Verstand nicht lügen kann. Das könnte das Ende eines ungehinderten Kontakts zwischen den verschiedenen Spezies einläuten und letztendlich zum Zusammenbruch der Föderation führen. Vielleicht bedeutet es sogar das Ende allen intelligenten Lebens, weil die Mitgliedswelten von unkontrollierbaren speziesübergreifenden Seuchen heimgesucht werden, wenn wir nicht sofort etwas dagegen unternehmen. Es tut uns schrecklich leid, Hewlitt, aber dazu gehört auch, daß wir Lioren, Morredeth, die telfische Schiffsbesatzung, Sie selbst und sogar das Haustier aus Ihrer Kindheit von allen zukünftigen Kontakten mit anderen Wesen für den Rest ihres Lebens isolieren müssen.«
»Das werden Sie nicht, verdammt noch mal!« wehrte sich Hewlitt aufgebracht. »Warum hören Sie mir eigentlich nicht zu, wenn ich was sage? Warum glauben Sie mir nicht einfach? Padre, könnten Sie das diesen Ignoranten vielleicht bitte erklären?«
Während die Stimme aus O'Maras Büro zu hören gewesen war, hatte Lioren die telfischen Särge geschlossen und seine Aufmerksamkeit dem Gespräch zugewandt. Hewlitt hatte das Gefühl, daß sich die emotionale Aufgewühltheit des Padre wieder gelegt oder zumindest normalisiert hatte.
»Ich hätte das keinen Deut besser erklären können«, meinte der Padre. »Erzählen Sie weiter, Hewlitt, aber beeilen Sie sich. Oje! Da kommen schon zwei G-Schlitten und… eine bewaffnete Eskorte!«
Hewlitt atmete tief durch und versuchte, sich möglichst kurz und einfach auszudrücken, als er sagte: »O'Mara! Sie irren sich alle, und das in zweifacher Hinsicht. Keiner der Wirtskörper der Virenkreatur ist infiziert oder hat irgendwelche Samen, Eier oder Embryos eingepflanzt bekommen. So funktioniert das nicht. Das Wesen ist eine intelligente, organisierte Virenansammlung, ein einzigartiges und sehr egoistisches Individuum, das niemals die Abtrennung eines Teils von sich freiwillig zulassen würde, weildadurch die Leistungsfähigkeit und Intelligenz des Gesamtwesens verringert werden würden. Meine Probleme während und nach meiner Pubertät wurden durch den Umstand verursacht, daß die Virenkreatur zwar die Notwendigkeit des Absonderns von Körperausscheidungen verstehen konnte, doch die Ausstoßung von gesundem, lebendem Material wie Samenflüssigkeit völlig fremd für sie war, weil sie sich damals einfach nicht vorstellen konnte, daß sich irgendein Wesen fortpflanzen wollte, anstatt allein weiterzuleben. Sie hat noch immer Probleme damit, die Vorstellung zu akzeptieren, daß wir zum Überleben der eigenen Art zig Millionen Samen opfern.
Auf Etla, auf der Erde und hier im Orbit Hospital bestand also nie das Risiko einer zusätzlichen Infektion. Falls sich die Pläne der Virenkreatur verwirklichen lassen, dann ist sie vielleicht in ferner Zukunft in der Lage, sich zu teilen, aber bis dahin ist es noch ein sehr weiter Weg, und selbst dann würde das für uns keine Gefahr bedeuten. Zur Zeit kann sie nur einen Wirtskörper gleichzeitig bewohnen, und diesen hinterläßt sie nicht im erkrankten Zustand, sondern stattet ihn bis zu seinem Lebensende mit einem hohen Maß an körperlicher Gesundheit aus, die alle ehemaligen Wirtskörper wie eine organische Signatur sofort erkennen können.
Dies tut sie aus Dankbarkeit für das Wissen und die Erfahrungen, die ihr vom Wirt vermittelt wurden. Sie bezeichnet sich selbst als eine Art Untermieter, der seine Miete bezahlen muß.«
Die mit geöffnetem Kuppeldach bereitstehenden Quarantäne- G- Schlitten wurde von zwei wuchtigen hudlarischen Ärztinnen und acht bewaffneten Angehörigen des Monitorkorps begleitet, die nach terrestrischen Maßstäben sehr kräftig gebaut waren. Die Gesichtsausdrücke der Anwesenden verrieten eine Mischung aus Verlegenheit und Entschlußkraft, und Hewlitt beeilte sich noch mehr als zuvor.
»Glauben Sie mir, weder die Föderation noch deren Bürger haben von der Virenkreatur irgend etwas zu befürchten. Aus den zuvor genannten Gründen ist sie, mit Ausnahme der Telfis, an keiner Spezies der Föderation mehr interessiert, da sie für ihre Verhältnisse viel zu kurzlebig sind. Auchwenn die Vollendung dieses Projekt etliche unserer Lebensspannen benötigen wird, ist ihr unumstößliches Ziel, einen Stern nach dem anderen zu besiedeln, und sie will mit der telfischen Heimatsonne beginnen, da diese nach astronomischen Maßstäben immer älter und kranker wird. Auch wenn die Möglichkeit besteht, daß sie sich bei diesem Versuch selbst vernichtet, so will sie dieses Risiko auf jeden Fall eingehen. Eine Sonne zu bewohnen, der sie Intelligenz und Stabilität vermitteln und deren sämtliche inneren Vorgänge sie steuern kann, ist das erklärte Endziel der Virenkreatur.
Ein intelligenter Stern wäre das langlebigste Wesen, das man sich vorstellen kann«, beendete Hewlitt seine Ausführungen.
Jetzt waren die Diagnostiker Conway, Prilicla und Thornnastor an der Reihe, ein Gespräch miteinander zu führen, während die beiden Hudlarerinnen und die Monitoreskorte darauf warteten, welche Entscheidung man für das weitere Vorgehen treffen würde. Eine ganze Weile schienen der Padre und Hewlitt in Vergessenheit geraten zu sein, während der Krisenstab in O'Maras Büro diskutierte, ob man Lonvellins Reisen vor seiner damaligen Einlieferung ins Orbit Hospital zurückverfolgen könnte, um so den Herkunftsplaneten der Virenkreatur ausfindig zu machen. Sollte man dort die Vorfahren dieses Wesen entdecken – vermutlich nicht intelligente Virenstämme -, müßte man diese untersuchen und sie mit Hilfe von Zellkultivierung zu vermehren versuchen. Natürlich wäre für solch ein Forschungsprojekt die Mitarbeit ehemaliger Wirte der Virenkreatur von unschätzbarem Wert. Alle notwendigen Vorsichtsmaßnahmen müßten getroffen werden, und es gäbe eine Menge Probleme zu bewältigen, doch sollte man erfolgreich sein, ließe sich absehen, daß die Bürger der galaktischen Föderation in ferner Zukunft lediglich mit einem Virus infiziert werden müßten, um ansonsten völlig frei von Krankheiten zu sein. Für die ärztliche Zunft bliebe dann nichts weiteres zu tun, als die Behandlung von Unfallopfern und die Versorgung chirurgischer Notfälle zu gewährleisten. Wie nicht anders zu erwarten war, blieb es dem Chefpsychologen vorbehalten, ungeduldig das Schlußwort zu ergreifen.»Genug jetzt, werte Kollegen! Ihre zukünftigen Probleme werden wir in den nächsten Minuten auch nicht klären können, zumal sie auf rein hypothetischen Überlegungen basieren. Und Sie, Padre Lioren und Hewlitt, können sich erst mal entspannen. Wir haben entschieden, daß es kein Sicherheitsproblem mehr darstellt, wenn Morredeth auf Kelgia landet und die Telfigestalt mit ihrem neuen Freund auf ihren Heimatplaneten zurückkehrt. Die bewaffnete Eskorte kann abtreten, aber sie beide werden sich sofort auf den Weg machen, und zwar nicht, um auf der Isolierstation der Pathologie zu landen, sondern um sich hier im Büro einigen noch ungeklärten Fragen zu stellen… «