»Lassen Sie sich deshalb hier ausbilden?« erkundigte sich Hewlitt. »Ich meine, damit Sie später einmal den gealterten Hudlarern helfen können?«
Die Schwester zeigte keinerlei Reaktionen, die er hätte deuten können, denn sie hatte kein Gesicht, und der Rest ihres glatten und gepanzerten Körpers war so ausdruckslos wie ein aufgeblasener Ballon. Doch als die Hudlarerin antwortete, sprach sie auffällig schnell, was ihm das Gefühl gab, daß sie verlegen war oder sich ihrer Antwort schämen könnte.
»Nein, ich studiere Allgemeinmedizin und Chirurgie fremder Spezies, wobei eine dazu parallel stattfindende Schwesternausbildung übrigens sehr dienlich ist. Innerhalb der galaktischen Föderation sind wir Hudlarer eine einzigartige Spezies. Aufgrund der Beschaffenheit unserer Haut sind wir in der Lage, selbst unter feindseligsten Umweltbedingungen zu leben und zu arbeiten. Wir können fast sämtliche Druckveränderungen überleben, angefangen vom höchsten atmosphärischen Druck bis hin zum Vakuum im All, und wir brauchen keine Atmosphäre, um unsere Nahrung zu absorbieren. Hudlarer sind besonders gefragt, wenn es darum geht, unter Bedingungen zu arbeiten, unter denen andere Spezies durch ihre Schutzanzüge enorm behindert wären, ganz besonders dann, wenn es umBauprojekte im Weltraum geht. Ein hudlarischer Arzt, der aufgrund seiner Ausbildung am Orbit Hospital in der Lage ist, Bauarbeitern vieler verschiedener Spezies medizinische Hilfe zu leisten, ist zum Beispiel vor Ort ein großer Vorteil, zumal er ohne die zeitraubende Notwendigkeit auskommt, sich Schutzkleidung anlegen zu müssen.
Unser Planet ist nie sehr reich gewesen«, fügte sie hinzu. »Wir besitzen kaum Bodenschätze oder Industrieprodukte, mit denen man Handel treiben könnte. Nicht einmal die Landschaft ist schön genug, um Touristen anzuziehen. Auf Hudlar gibt es wirklich nichts, womit außerplanetarische Wesen etwas anfangen könnten, mit Ausnahme der ungeheuer starken und unermüdlich fleißigen Bewohner, die überall arbeiten können und die dafür von den anderen Spezies der Föderation sehr gut bezahlt werden.«
»Und nachdem Sie es hier zu Ruhm und Reichtum gebracht haben, werden Sie sich, nehme ich an, zu Hause niederlassen, eine Familie gründen und Kinder kriegen, richtig?«
Der Lernschwester schien immer noch etwas zu schaffen zu machen. Hewlitt fragte sich, ob sich die Hudlarerin dafür schämte, daß sie ihre Heimat verlassen hatte, um weitab im Weltraum einen gutbezahlten Beruf zu erlernen und sich auf diese Weise davor zu drücken, einen alten und kranken Verwandten zu versorgen. Jedenfalls bereute er es bereits, diese Frage gestellt zu haben.
»Nun ja, ich werde immerhin die Hälfte der Kinder kriegen«, antwortete die Lernschwester schließlich.
»Wie bitte?« hakte Hewlitt verdutzt nach. »Das verstehe ich nicht.«
»Patient Hewlitt, Sie sind wirklich nicht besonders gut über Hudlarer informiert, oder? Ich bin als weibliches Wesen zur Welt gekommen und habe dieses Geschlecht bis heute nicht abgelegt. Ich beabsichtige, diese weibliche Phase beizubehalten, bis ich mich für eine Paarung entscheide, die bei unserer Spezies übrigens eher dem Zweck der Fortpflanzung als dem Vergnügen dient. Dieser Zeitpunkt ist dann, wenn ich als schwangere Frau aus physiologischer Notwendigkeit heraus den weiteren sexuellen Kontakt zu meinem Lebensgefährten vermeiden muß und deshalb eine männlicheForm annehme, wohingegen mein Partner gleichzeitig langsam eine weibliche Gestalt annimmt. Etwa ein hudlarisches Jahr nach der Entbindung haben die beiden Elternteile eine vollständige Geschlechtsumwandlung vollzogen, und wenn der Nachkömmling weniger Aufmerksamkeit erfordert und die ehemalige Mutter zum Vater werden kann, hat der ehemalige Vater die Möglichkeit, das nächste Kind zu gebären. Dieser Prozeß dauert so lange an, bis die gewünschte Anzahl an Nachkömmlingen erreicht ist. Normalerweise einigt man sich auf eine gerade Zahl, so daß die Geburten gleichmäßig aufgeteilt sind, und bis das Paar sich gemeinsam entschieden hat, wer den Rest des Lebens in weiblicher und wer in männlicher Form verbringt.
Das ist eine sehr einfache, ausgewogene und gefühlsmäßig zufriedenstellende Einrichtung«, fuhr sie fort. »Ich wundere mich nur immer wieder, daß die anderen intelligenten Spezies kein solches Fortpflanzungssystem entwickelt haben.«
»Aha… « Mehr fiel Hewlitt zu diesem Thema nicht ein.
5. Kapitel
Hewlitt war wach geblieben, oder genauer gesagt: Er hatte mit aller Anstrengung versucht, gegen seine Müdigkeit anzukämpfen, weil er sich von den alptraumhaften und völlig fremden Gestalten, die mit ihm als Patienten oder als Mitarbeiter die Station teilten, regelrecht umzingelt fühlte. Doch nun fragte er sich, ob seine emotionalen Reaktionen durch die völlige Übermüdung abklangen oder ob er sich allmählich entspannte, weil er sich sowieso nichts Absurderes vorstellen konnte als dieses freundliche und ihm mittlerweile gar nicht mehr so fremde Ungetüm mit dem weltraumerprobten Hautpanzer, den bizarren Eßgewohnheiten und regelmäßigen Geschlechtsumwandlungen.
»Es war wirklich sehr nett von Ihnen, sich so lange mit mir zu unterhalten, Schwester«, bedankte er sich. »Ich glaube, ich kann jetzt schlafen.«
»O nein, davon würde ich Ihnen abraten, Patient Hewlitt!« widersprach die Hudlarerin energisch. »In zwanzig Minuten ist nämlich Schichtwechsel, und das Tagespersonal wird dann alle Patienten wecken, damit sie noch vor dem Austeilen des Frühstücks mit dem Waschen fertig sind. Außer ihnen gibt es hier noch drei weitere gehfähige Patienten auf der Station, und wie ich Sie einschätze, wäre es Ihnen bestimmt lieber, den Waschraum nicht gleich am ersten Morgen mit den anderen teilen zu müssen. Deshalb dürfte es für Sie angenehmer sein, als erster hineinzugehen, damit Sie fertig sind, bevor die anderen kommen.«
»Da haben Sie sicher vollkommen recht«, stimmte ihr Hewlitt ohne zu zögern zu. »Trotzdem bin ich furchtbar müde. Kann ich mich nicht später waschen?«
»Wenn ich an das Unbehagen denke, das die Nähe von Extraterrestriern bei Ihnen auslöst, werde ich Sie lieber nicht in den Waschraum begleiten«, fuhr die Hudlarerin fort, ohne auf Hewlitts Bitte einzugehen. »Ich warte dann draußen vor der Tür, falls Ihr Sensorenmeßgerät, das Sie während des Waschens übrigens nicht abzunehmen brauchen, einen Notfall meldensollte oder Sie Hilfe benötigen, weil Sie mit der Ausstattung nicht zurechtkommen.
Sollten Sie sich geistig und körperlich übermäßig erschöpft fühlen, haben Sie auch die Möglichkeit, ein Dampfbad zu nehmen. Dabei wären Ihnen unsere drei jüngsten Lernschwestern übrigens gern behilflich. Die Melfanerin und die beiden Kelgianerinnen würden sich nämlich sehr freuen, wenn sie endlich einmal die Gelegenheit bekämen, mehr Erfahrung im Umgang mit einem körperlich gesunden Terrestrier wie Ihnen zu sammeln.
Wie ich weiß, freuen sie sich schon besonders darauf, das Abschaben der Fellstoppeln, die über Nacht auf den männlichen DBDG-Gesichtern wachsen, zu erlernen.«