»Sie müssen mich auch nicht Lieutenant oder Braithwaite nennen«, antwortete der Psychologe, und erneut trat Schweigen ein.
»Also gut, ich werde Ihre Frage beantworten«, gab sich Hewlitt schließlich geschlagen. »Ich denke an diese grauenhafte Oberschwester und überlege, wie ich mich bei ihr dafür entschuldigen kann, daß ich sie falsch eingeschätzt habe, und wie ich mich bedanken kann, daß sie mir das Leben gerettet hat.«
Braithwaite nickte. »Ich würde sagen, daß Sie bereits die richtigen Worte gefunden haben, und alles, was sie tun sollten, ist, es Leethveeschi genauso zu erzählen, wie Sie es eben mir erzählt haben.«
Aus irgendeinem Grund fiel es Hewlitt schwer, seine Wut diesem Mann gegenüber aufrechtzuerhalten. »Sie sind hier, um mir klarzumachen oder mich davon zu überzeugen, daß meine ganzen Probleme rein psychischer Natur sind. Das ist mir schon oft passiert. Von frühester Jugend an hat man versucht, mir diesen Unsinn einzureden. Also lassen Sie uns keine Zeit mehr damit vergeuden, uns gegenseitig Nettigkeiten an den Kopf zu werfen.«
»Das habe ich auch überhaupt nicht vor«, widersprach Braithwaite, wobei er auf der Bettkante das Gewicht verlagerte und so eng heranrückte, daß er sich mit einem Arm über Hewlitts Oberschenkel hinweg abstützen mußte. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich hier sitze? Oder wäre es Ihnen lieber, wenn ich mich wieder zurücksetze oder aufstehe?«
»Ich fürchte mich nur vor Extraterrestriern, wenn sie mir zu nahe kommen«, antwortete Hewlitt. »Passen Sie nur auf, daß Sie sich nicht auf meine Beine setzen.«
Braithwaite nickte. Hewlitts Anwort auf die höfliche und scheinbarunschuldige Frage machte deutlich, daß ihn die Nähe eines Terrestriers nicht ängstigte. Diese Tatsache war für die psychologische Arbeit sehr nützlich, weil dadurch ein möglicher Problembereich bereits ausgeschlossen wurde. Durch jahrelange Erfahrung wußte Hewlitt, was der Lieutenant vorhatte, und der wiederum war wahrscheinlich intelligent genug, um zu wissen, daß er von seinem Patienten durchschaut wurde.
»Wir beide wissen, daß Ihr Fall kompliziert ist«, fuhr Braithwaite fort und schielte dabei auf Hewlitts Sensorenmeßgerät. »Sie machen den Eindruck, völlig gesund zu sein, obwohl Sie unter einer periodisch auftretenden und unerklärlichen Krankheit leiden, die sogar, sollte der Herzstillstand ein Symptom sein, lebensgefährlich ist. Wir wissen auch, daß sich eine ernste körperliche Erkrankung entsprechend auf die Psyche auswirken kann und umgekehrt, selbst wenn zunächst einmal keine offensichtliche Verbindung erkennbar ist. Ich möchte gern diese Verbindung finden und identifizieren, falls es überhaupt eine gibt.«
Braithwaite wartete, bis Hewlitt schließlich argwöhnisch nickte, bevor er weitererzählte: »Normalerweise wird jemand in dieses Krankenhaus eingeliefert, weil er, sie oder es krank oder verletzt ist. Das Problem und die klinische Behandlung stehen zumeist von Anfang an fest, und die hier beschäftigten Ärzte können die Einrichtungen des führenden Krankenhauses der Föderation nutzen, um die Patienten zu behandeln und sie in den meisten Fällen wieder gesund nach Hause zu schicken. Wenn dem Problem allerdings eine psychologische Komponente zugrunde liegt, dann muß man eben… «
»… darüber reden«, beendete Hewlitt den Satz.
»Richtig, wobei es mir als Psychologen allerdings besser zu Gesicht steht, wenn ich zuhöre«, schränkte Braithwaite ein. »Deshalb hoffe ich auch, daß Sie gleich das Reden übernehmen. Sie sollten damit beginnen, alle ungewöhnlichen Begebenheiten oder Umstände zu beschreiben, an die Sie sich erinnern können, bevor die ersten Beschwerden auftraten. Erzählen Sie mir, wie Sie als Kind damals über Ihre Situation gedacht haben, und nicht, wie sich Ihre Ärzte und Angehörigen später darüber geäußert haben. Also,nur zu, Sie erzählen, und ich höre zu.«
»Sie wollen, daß ich Ihnen alles über den Zeitraum berichte, in dem ich nicht krank war?« hakte Hewlitt nach. Dann deutete er mit einem Nicken in Richtung der Küche, aus der die mit Essenstabletts beladenen Servierwagen auftauchten, und fügte hinzu: »Dafür haben wir leider keine Zeit mehr… es gibt jetzt nämlich Mittagessen.«
Braithwaite seufzte. »Ich möchte dieses Gespräch so schnell wie möglich mit Ihnen zu Ende führen, falls Medalont, der für Sie verantwortlich ist, nichts dagegen hat. Würden Sie mir einen Gefallen tun und für mich ein Essen mit bestellen? Nichts Spezielles, mir reicht es völlig, wenn ich das kriege, was man Ihnen bringt.«
»Aber Sie sind doch kein Patient«, entgegnete Hewlitt verdutzt. »Gestern habe ich zum Beispiel gehört, wie Leethveeschi zu einem Assistenzarzt gesagt hat, er solle gefälligst kein fauler Scrassug sein, was auch immer das sein mag, und zur Personalkantine gehen, anstatt sich das Essen aus der Stationsküche zu stibitzen. Deshalb glaube ich auch nicht, daß die Oberschwester so etwas erlauben wird.«
»Keine Sorge, die Oberschwester wird's bestimmt erlauben, wenn Sie sie erst einmal darum bitten, mit Ihr über eine persönliche Angelegenheit zu sprechen, die Ihrer Meinung nach wichtig ist«, versicherte ihm der Lieutenant. »Nach dem medizinischen Drama vor fünf Stunden wird sie es nicht riskieren wollen, Ihnen diesen Wunsch abzuschlagen. Wenn sie dann kommt, sagen Sie ihr das, was Sie ihr schon die ganze Zeit sagen wollten; daß es Ihnen nämlich leid tut, sie falsch eingeschätzt zu haben, und Sie ihr dankbar sind, daß sie Ihnen das Leben gerettet hat. Danach erzählen Sie ihr, Sie hätten das Gefühl, unser Gespräch könne wichtig für Ihren Gesundheitszustand sein, und ob es möglich wäre, noch eine zweite DBDG-Mahlzeit für mich zu bestellen, um die Unterhaltung ohne Unterbrechung fortführen zu können.
Illensaner erhalten eine Menge Komplimente vom Klinikpersonal, weil sie sehr gute Arbeit leisten«, fuhr Braithwaite fort. »Allerdings weniger von den Patienten, weil diese sich nur selten lange genug hier aufhalten, um dieguten Seiten an diesen Wesen schätzen zu lernen. Das liegt sicherlich daran, daß Illensaner der einzigen chloratmenden Spezies angehören, die darüber hinaus allgemein als die häßlichste der Föderation angesehen wird. Wenn Sie das machen, was ich Ihnen gesagt habe, wird Leethveeschi viel zu überrascht und zu geschmeichelt sein, um Ihnen noch irgendeinen Wunsch abschlagen zu können.«
Hewlitt schwieg einen Augenblick lang, ehe er antwortete: »Lieutenant, Sie sind ein egoistischer, hinterhältiger und berechnender Mist… ahm… ein hundsgemeiner Scrassug.«
»Natürlich, schließlich bin ich Psychologe«, stimmte ihm Braithwaite grinsend zu.
Allein bei dem Gedanken, diese grauenvolle Leethveeschi an sein Bett rufen zu müssen, geriet Hewlitt ins Schwitzen. »Zwar habe ich schon selbst darüber nachgedacht, ihr so etwas in der Richtung zu sagen, aber erst später«, wehrte er sich. »Ich brauche noch etwas mehr Zeit, um das nervlich zu verkraften.«
Braithwaite schüttelte lächelnd den Kopf und deutete mit aufforderndem Blick auf den Kommunikator.
7. Kapitel
Die erste ungewöhnliche Begebenheit, die ihm als Kind widerfahren war und an die er sich am besten erinnern konnte, hatte sich einige Tage nach seinem vierten Geburtstag ereignet. Seine Eltern arbeiteten damals zu Hause an in getrennten Räumen stehenden Terminals und waren sich sicher, nicht gestört zu werden, weil jeder vom anderen glaubte, er würde auf Hewlitt aufpassen. Deshalb gingen beide davon aus, daß ihr Sprößling sein Zimmer nicht unbeobachtet verlassen könnte.