Braithwaite lachte erneut und schüttelte den Kopf.
»Das ist nicht witzig, verdammt noch mal!« empörte sich Hewlitt. »Zumindest nicht für mich.«
»Wenn Sie erst einmal einen Cinrussker kennengelernt haben, dann werden Sie auch darüber lachen müssen«, besänftigte ihn Braithwaite. »Es ist nämlich nicht Priliclas Art, so mit Leuten zu reden. So, das erst einmal dazu. Darüber hinaus versuchen wir, etwas anderes zu tun, als Sie unter dauernde medizinische Beobachtung zu stellen. Zugegebenermaßen ist das nicht viel, aber wir halten es durchaus für möglich, daß an der Geschichte über das giftige Obst, das Sie gegessen haben, etwas Wahres sein könnte, wenngleich es sich dabei um eine ziemlich vage Theorie handelt. Der Saft, der in geringen Mengen tödlich ist, hat, wenn er in großen Mengen getrunken wird, offenbar heilende Eigenschaften. Ich kann Ihnen zwar keinemedizinischen Gründe nennen, warum das so sein soll, aber es gibt dafür einen bekannten Präzedenzfall. In diesem speziellen Fall traten langfristige Nachwirkungen auf, was vielleicht Ihre in Abständen auftretenden Symptome erklären könnte - wenngleich ich auch hier nicht weiß, weshalb und warum das so ist. Deshalb werden wir auf Etla Proben der Frucht nehmen lassen, so daß in bezug auf deren Giftigkeit in der Pathologie eine unabhängige Untersuchung durchgeführt werden kann.
Wenn man die Zeit rechnet, die für den Hin- und Rücksprung durch den Hyperraum zwischen hier und Etla benötigt wird, sowie für das Finden, Pflücken und Verstauen der Frucht, plus der Dauer der Analyse, dann bedeutet das eine Wartezeit von mindestens zwei Wochen. Während dieser Zeit wird nicht viel mit Ihnen passieren, es sei denn, Prilicla kehrt vorzeitig zurück, oder Medalont läßt sich eine neue Behandlungsmethode einfallen. Deshalb wollte ich von Ihnen wissen, wie Sie sich bis dahin die Zeit zu vertreiben gedenken.«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Hewlitt. »Mit Lesen und Fernsehen, nehme ich mal an, wenn Sie mir die Codes für die Bibliothek geben. War das eigentlich Ihre Idee, die Penissithfrucht analysieren zu lassen?«
Braithwaite schüttelte erneut den Kopf. »Ich möchte nicht mit einer solch verrückten Idee in Verbindung gebracht werden. Das war Padre Liorens Vorschlag. Er ist ein DRLH-Tarlaner und arbeitet mit der psychologischen Abteilung zusammen. Er wird Sie in den nächsten Tage wahrscheinlich besuchen. Optisch ist er ein ziemlich furchterregend aussehendes Wesen, aber vielleicht kann er Ihnen helfen. Nach dem Verhalten zu urteilen, das Sie bei der Untersuchung durch die Auszubildenden an den Tag gelegt haben, sollte Ihnen seine äußere Erscheinung keine Probleme mehr bereiten.«
»Das fürchte ich allerdings auch«, stimmte ihm Hewlitt nur widerwillig zu, denn über dieses Kompliment mochte er sich nicht recht freuen. »Aber… aber bedeutet das, was Sie eben gesagt haben, daß Sie mir allmählich glauben?«
»Nein, tut mir leid«, widersprach Braithwaite. »Wie ich bereits erwähnthabe, gehen wir davon aus, daß Sie sich selbst glauben. Das ist etwas ganz anderes, als wenn wir denken würden, daß das, was Sie uns erzählen, absolut der Wahrheit entspricht. Der Vorfall mit der Pennisithfrucht ist praktisch der einzige Anhaltspunkt, den Sie uns gegeben haben, und somit ist diese Frucht auch das einzige Beweisstück, das überprüft werden kann. Wir müssen versuchen, Ihre Aussage entweder zu beweisen oder zu widerlegen, und uns dann weiter vortasten.«
»Und wie wollen Sie dabei genau vorgehen?« wollte Hewlitt wissen. »Indem Sie mich mit der Pennisithfrucht füttern und dann abwarten, ob ich sterbe?«
»Tut mir leid, als Nichtmediziner kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten«, entgegnete Braithwaite lächelnd. »Selbstverständlich wird man entsprechende Sicherheitsvorkehrungen treffen, aber ansonsten haben Sie wahrscheinlich recht.«
10. Kapitel
Zwar wußte Hewlitt, daß es sich um kein Krankheitssymptom handelte, das per Sensorenmeßgerät auf dem Kontrollmonitor im Personalraum angezeigt werden würde, aber allmählich fragte er sich allen Ernstes, ob es so etwas wie unheilbare Langeweile mit einhergehender Verkümmerung der Sprechorgane gab.
Außer sich nach seinem allgemeinen Wohlbefinden zu erkundigen und zu sagen: »Na, dann ist ja alles in Ordnung«, ließ sich Medalont zu keinen weiteren Äußerungen hinreißen. Die hudlarische Schwester war wie immer sehr freundlich und hilfsbereit, wenn sie sich mit ihm unterhielt, doch die meiste Zeit des Tages hielt sie sich nicht auf der Station auf, sondern nahm an Vorlesungen teil oder war mit anderen Dingen beschäftigt. Braithwaite kam jeden Tag auf dem Weg zur Kantine für ein paar Minuten bei ihm vorbei, wobei er stets betonte, daß er ihm nur Gesellschaft leisten wolle und es keine medizinischen Gründe dafür gebe, zumal diese Besuche außerhalb seiner Dienstzeit stattfänden. Immerhin hatte er Hewlitt einige brauchbare Codes für den Bibliothekszugang besorgt, doch ansonsten redete er immer nur viel, ohne wirklich etwas zu sagen. Der tarlanische Kollege des Lieutenants, Padre Lioren, hatte sich bisher noch nicht blicken lassen, genausowenig wie Oberschwester Leethveeschi, die sich laut eigener Aussage nur dann um ihn kümmern wollte, wenn auf seinem Überwachungsmonitor ein medizinischer Notfall angezeigt werden würde.
Die ambulanten Patienten, die auf dem Weg zum Waschraum an seinem Bett vorbeikamen – zwei Melfaner, ein kürzlich eingelieferter Dwerlaner, eine Kelgianerin und eine sich nur sehr langsam fortbewegende Tralthanerin -, redeten zwar manchmal miteinander, aber niemals mit ihm, und bei den wenigen Gesprächen, die er auf der Station mithören konnte, wurde er nie mit einbezogen. Mit den Patienten, die im Nachbarbett beziehungsweise im Bett gegenüber gelegen hatten, konnte er sich nicht mehr unterhalten, weil sie woandershin verlegt worden waren.
Allmählich hatte er es satt, stundenlang der oberlehrerhaft klingendenStimme des Bibliothekscomputers zuzuhören, denn er kam sich wie früher vor, wenn er sich als kleiner Junge durch endlos lange Schulstunden quälen mußte. Damals wie heute empfand er nichts als Langweile und innere Unruhe, aber seinerzeit lockte wenigstens ein offenes Fenster, hinter dem sich eine Landschaft erstreckte, in der man unendlich viele interessante Dinge zum Spielen entdecken konnte. Hier gab es keine offenen Fenster, und wären welche vorhanden gewesen, dann hätte man dahinter nichts anderes als die totale Leere des Weltraums gesehen. Aus lauter Verzweiflung beschloß Hewlitt, auf der Station auf und ab zu gehen.
Als er bereits zweimal die Station durchquert hatte und gerade die dritte Runde drehte, kam Leethveeschi aus dem Personalraum gewatschelt und versperrte ihm den Weg.
»Bitte gehen Sie nicht so schnell, Patient Hewlitt!« ermahnte sie ihn. »Sie könnten mit einer meiner Schwestern zusammenstoßen und sich dabei gegenseitig verletzen. Darüber hinaus ist Ihnen offensichtlich nicht klar, daß eine solch plastische Demonstration ihrer körperlicher Fitness gegenüber den anderen Patienten, die wirklich ernsthaft krank, verletzt oder ans Bett gefesselt sind, nicht gerade von großem Einfühlungsvermögen zeugt. Wenn Sie also unbedingt hier herummarschieren müssen, dann führen Sie Ihre Bewegungen bitte etwas langsamer aus.«
»Das tut mir leid, aber daran hatte ich wirklich nicht gedacht, Oberschwester«, entschuldigte sich Hewlitt kleinlaut.