Die Kelgianerin lag wie ein dickes, pelziges Fragezeichen auf der unverletzten Seite und war lediglich mit dem großen, rechteckigen Verband bedeckt, unter dem sich die Mullauflagen befanden. Wie Hewlitt vermutete, benötigte sie bei all dem natürlichen Wärmeschutz wahrscheinlich sowieso keine Decke. Ihre Augen waren geschlossen, und ihre Beine wurden von dem dicken, unruhigen Fell fast völlig verdeckt, dessen unregelmäßige Bewegung nicht unbedingt bedeutete, daß sie schlief.
»Sind Sie wach, Morredeth?« flüsterte Hewlitt mit einer solch leisen Stimme, daß er sich selbst kaum verstehen konnte.
»Ja«, antwortete die Kelgianerin, ohne die Augen zu öffnen.
»Möchten Sie sich vielleicht mit mir unterhalten?« erkundigte sich Hewlitt schüchtern. »Ich meine, falls Sie nicht schlafen können?«
»Nein«, entgegnete Morredeth und einen Moment später: »Ja.« »Worüber würden Sie denn gern sprechen?«
»Reden Sie einfach, worüber Sie wollen«, schlug die Kelgianerin vor, wobei sie die Augen öffnete. »Nur nicht über mich.«
Hewlitt befürchtete, daß es ziemlich schwierig für ihn werden könnte, sich mit einem Wesen zu unterhalten, das niemals log und immer genau das sagte, was es dachte. Da zudem außer ihnen beiden niemand anwesend war, der ihn an die allgemein übliche Gepflogenheit höflich gemeinter Lügen hätte erinnern können, würde er sogar gehörig aufpassen müssen, am Ende nicht so ehrlich wie ein Kelgianer zu reden. Zwar hatte er keine Erklärung dafür, aber das Bedürfnis, genau das zu tun, war sehr stark.
Warum denke ich bloß so? fragte sich Hewlitt nicht zum ersten Mal. Das sieht mir überhaupt nicht ähnlich.
Laut sagte er: »Ich bin in erster Linie deshalb zu Ihnen gekommen, weil ich mich bei Ihnen entschuldigen möchte. Ich hätte in Ihrer Gegenwart nicht so ausführlich über mein pelziges Haustier reden sollen. Ich wollte Ihnen wirklich keinen Kummer bereiten, und nachdem ich von den langfristigen Auswirkungen Ihrer Verletzung erfahren habe, wurde mir klar, wiegedankenlos, unsensibel und dumm mein Verhalten gewesen ist. Es tut mir sehr leid, Morredeth.«
Für eine Weile zeigte die Kelgianerin keinerlei Reaktion, lediglich ihr Fell kräuselte sich so aufgeregt und deutlich, daß selbst die Ränder des Wundverbands mitzuckten. Dann sagte sie: »Es war nicht Ihre Absicht, mich zu verletzen, also zeugte Ihr Verhalten nicht von Dummheit, sondern von Unwissenheit. Setzen Sie sich aufs Bett. Und welchen weiteren Grund gibt es für Ihren Besuch?«
Als Hewlitt nicht sofort antwortete, sagte Morredeth: »Warum verschwenden Nichtkelgianer bloß so viel Zeit, um über viele Worte für eine Antwort nachzudenken, wenn es auch wenige tun würden? Ich habe Ihnen eine einfache Frage gestellt.«
Und Sie werden eine einfache kelgianische Antwort erhalten, beschloß Hewlitt und entgegnete dann laut: »Ich war einfach neugierig und wollte mehr über Sie und Ihre Verletzung wissen, aber Sie haben mir ja verboten, über Sie zu sprechen. Soll ich zurück in mein Bett gehen?«
»Nein«, antwortete Morredeth.
»Gibt es irgend etwas oder irgend jemand anderen, worüber Sie gerne reden möchten?«
»Ja, über Sie«, schlug die Kelgianerin vor.
Als Hewlitt zögerte, fuhr Morredeth fort: »Ich habe sehr empfindliche Ohren und beinahe jedes Wort mitgehört, das zwischen Ihnen und den Ärzten gewechselt wurde. Sie sind gesund und erhalten keinerlei medizinische Behandlung, abgesehen von dem einen Mal, als Sie das Bewußtsein verloren haben und das Reanimationsteam mit Verzögerung eintraf, um Sie wiederzubeleben. Auf jeden Fall weiß niemand, was Ihnen genau fehlt. Ich habe auch mitbekommen, wie Sie dem terrestrischen Psychologen erzählt haben, Sie hätten eine Vergiftung und einen Sturz überlebt, obwohl Sie dabei hätten umkommen müssen. Das Orbit Hospital ist aber für Kranke und Verletzte und nicht für Leute, die bereits genesen sind. Was fehlt Ihnen also? Handelt es sich vielleicht um etwas zuPersönliches oder gar zu Peinliches, über das Sie selbst nicht mit einem Mitglied einer anderen Spezies reden möchten, obwohl es Ihre Scham höchstwahrscheinlich nicht nachvollziehen kann?«
»Nein, es ist nichts dergleichen«, versicherte ihr Hewlitt. »Es ist nur so, daß es sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde, Ihnen alles zu erzählen, zumal ich Ihnen zwischendurch immer wieder einige Verhaltensweisen und Bräuche der Terrestrier erklären müßte. Außerdem würde mich das nur daran erinnern, wie wenig mir die terrestrischen Ärzte geholfen haben, weil Sie sich weigerten, mir zu glauben, daß mit mir etwas nicht stimmt. Also käme nur meine alte Wut und Enttäuschung wieder hoch, was höchstwahrscheinlich darauf hinauslaufen würde, daß ich Ihnen die Ohren volljammere.«
Morredeths Fell kräuselte sich in ein neues und optisch attraktiveres Muster, und er fragte sich, ob sich die Kelgianerin über ihn amüsierte.
»Also geht es Ihnen genauso wie mir«, stellte Morredeth fest. »Das ist nämlich derselbe Grund, weshalb ich nicht über mich reden will. Bestimmt wäre ich Ihnen mit meinem Gejammer auch auf die Nerven gegangen.«
»Sie haben bestimmt mehr Grund zu klagen als ich«, meinte Hewlitt und hielt kurz inne, weil sich das Fell der Kelgianerin wieder stachelig aufrichtete und sich die Muskelstränge, die den ganzen Körper umschlossen, so fest zusammenzogen, als stünden sie kurz vor einem Krampf. Deshalb fügte er rasch hinzu: »Entschuldigung, Morredeth, jetzt spreche ich doch über Sie anstatt über mich. Wo soll ich also anfangen?«
Der Körper der Kelgianerin entspannte sich zwar, das Fell bewegte sich jedoch noch immer unruhig, als sie antwortete: »Sprechen Sie mit mir über jene Krankheitsvorfälle, die Sie noch nicht erzählt haben oder über die Sie weder mit Medalont noch mit den Auszubildenden reden möchten, weil sie ungewöhnlich, beschämend oder sogar etwas anstößig sind. Vielleicht finde ich Ihre Erzählungen ja so unterhaltend, daß ich meine eigenen Probleme für eine Weile vergessen kann. Möchten Sie das für mich tun?«