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Ist Ihnen eigentlich schon mal der Gedanke gekommen, daß möglicherweise Lioren und nicht die Hudlarerin recht haben könnte? Oder daß es besser wäre, wenn Sie Ihrem Problem hier an Ort und Stelle ins Auge sehen, ich meine, hier im Krankenhaus, wo jederzeit Hilfe verfügbar ist, anstatt zu Hause, wo Sie Ihrer Aussage nach ganz allein sein werden? Oder daß es Ihnen nicht immer so schlecht gehen wird, wie im Moment? Fast sämtliche Wesen, ob nun Kelgianer oder Terrestrier, gewöhnen sich mit der Zeit fast an alles und… «

»Sie reden schon wie Lioren…«, unterbrach ihn Morredeth, und dann passierte es…

Da ihr Fell längst nicht mehr so unruhig wie noch wenige Minuten zuvor war und die unkontrollierten Körperbewegungen allmählich nachgelassen hatten, kam ihre plötzliche Verkrampfung völlig unerwartet. Morredeth nahm die Form eines langgezogenen, pelzigen Zylinders an und ließ sich zur entgegensetzten Bettkante von Hewlitt rollen. Ohne nachzudenken, griff ermit beiden Händen nach ihr, um sie zurück aufs Bett zu ziehen.

Er erwischte sie am Stoffabschnitt, der die Wundverbände abdeckte, und gerade als er im Begriff war, ihren Sturz aufzuhalten, schnappten die Verschlüsse auf, und er hielt nur noch den Stoff in den Händen.

Die Kelgianerin gab ein langes, hohes Wimmern von sich, das sich wie ein Nebelhorn im Fistelton anhörte, dann bekam sie erneut einen Krampf und rollte auf die andere Seite des Betts zurück … und direkt auf Hewlitt drauf. Halb fallend, halb gleitend, fiel er mit der immer noch auf ihm liegenden Morredeth auf den Boden.

»Schwester!« schrie er.

»Ich bin schon da«, meldete sich die Hudlarerin, die sich bereits innerhalb der Sichtblenden befand und sich über die beiden beugte. »Sind Sie verletzt, Patient Hewlitt?«

»N… nein«, stammelte er. »Bis jetzt jedenfalls noch nicht.«

»Gut. Die Spezies, die der DBLF-Klassifikation angehören, setzen ihre Füße niemals als natürliche Waffen ein, so daß Ihnen wahrscheinlich nichts zustoßen wird. Erst mal brauche ich jemanden, der mir hilft. Ich möchte aber keine Zeit damit vergeuden, eine andere Schwester von einer anderen Station zu rufen, und außerdem will ich mir nicht nachsagen lassen, mit einem einfachen Notfall nicht klargekommen zu sein. Sind Sie bereit, mir zu helfen?«

Ich soll Ihnen helfen? dachte Hewlitt. Das Geräusch, das er von sich gab, konnte er noch nicht einmal selbst übersetzen, doch die Hudlarerin betrachtete es offenbar als Zustimmung.

»Ihre gegenwärtige Lage auf dem Fußboden ist für unser Vorhaben ideal«, versicherte sie ihm. »Sie sollen mir nämlich dabei helfen, Patientin Morredeth ruhigzustellen. Bitte legen Sie die Arme um sie herum, und greifen Sie mit beiden Händen in das Rückenfell. Noch fester, bitte, Sie tun ihr nicht weh. Bedauerlicherweise brauche ich vier meiner Gliedmaßen, um meinen Körper abzustützen, also bleibt noch ein Tentakel, mit dem ich Ihnen helfen werde, die Patientin ruhigzustellen, und mit dem anderenwerde ich das Beruhigungsmittel verabreichen. Gut, genau so werden wir es machen.«

Hewlitt versuchte, mit beiden Händen nach Morredeths Fell zu greifen und gleichzeitig die Innenseiten der Unterarme gegen ihren Rücken zu pressen, während die Hudlarerin mit einem Tentakel mit sanftem, aber festem Druck ihren Hals umschlang. Morredeth mußte ruhig gehalten werden, damit die Schwester die richtige Stelle für die Injektion ausfindig machen konnte. Die Kelgianerin gab noch immer diese hohen, wimmernden Geräusche von sich, während sie mit aller Macht versuchte, sich seinen Armen zu entwinden, indem sie mit den über dreißig Füßen über seinen Bauch, seine Brust und sein Gesicht hochzulaufen versuchte. Glücklicherweise waren die Beine kurz, dünn und nicht sehr muskulös, und die Füße, die keine Zehennägel oder sonstige knochige Enden hatten, waren wie kleine, feste Schwämme, so daß er das Gefühl hatte, ununterbrochen mit wattierten Trommelstöcken attackiert zu werden. Diese Erfahrung war allerdings eher etwas irritierend als schmerzhaft. Morredeths Anstrengungen mußten sie ins Schwitzen gebracht haben, denn er nahm eine zunehmende, leicht nach Pfefferminze riechende Körperausdünstung wahr.

Als wäre ihm mit einem Mal die ganze Kraft entwichen, spürte er in jedem Muskel seines Körpers eine unverhofft auftretende Schwäche, und dort, wo seine Haut das Fell berührte, das sich unentwegt zwischen seinen Fingern drehte und wand, kribbelte es heiß an den Händen und den entblößten Unterarmen. Diese Erfahrung war ihm derart fremd, und es kitzelte so sehr, daß er sich mit aller Anstrengung dagegen wehren mußte, nicht zu lachen. Plötzlich wölbte Morredeth den Rücken und versuchte, sich mit aller Gewalt zu befreien, wobei ihm fast die Hände abrutschten.

»Entschuldigung, aber meine Hände schwitzen!« keuchte er unter der Last. »Sie wäre mir beinahe entwischt.«

»Sie machen das sehr gut, Patient Hewlitt«, ermunterte ihn die Schwester, wobei sie die erst kurz zuvor verabreichte Beruhigungsspritze wieder in die Tasche zurücksteckte. »In wenigen Sekunden wird allesvorbei sein. Das vorübergehende Nachlassen Ihrer Umklammerung kann durch die Berührung Ihrer Finger mit dem Fell verursacht worden sein, das mit dem öligen Medikament des Wundverbands und dem Schweiß der Patientin durchtränkt ist. Außerdem habe ich erfahren, daß DBDG-Terrestrier selbst dann in den Handflächen schwitzen, wenn sie sich körperlich nicht anstrengen und keinen Temperaturanstieg haben. Dabei kann es sich um ein Anzeichen für eine heftige Gefühlsreaktion auf eine bestehende oder bevorstehende Stressituation handeln, die durch…«

»Aber meine Handflächen schwitzen bis zu den Ellbogen hoch!« unterbrach Hewlitt sie, zumal er absolut nicht willens war, sich in dieser Situation schon wieder einen medizinischen Vortrag der Schwester anzuhören.

»Auf jeden Fall besteht für Sie keine Gefahr«, beruhigte ihn die Hudlarerin. »Kelgianische Krankheitserreger können die Speziesbarriere nicht durchbrechen… Oh! Ich glaube, Patientin Morredeth entspannt sich allmählich.«

Die Kelgianerin bewegte nun auch ihre Beine nicht mehr, und ihr Körper lag schlaff und mit vollem Gewicht auf Hewlitts Bauch und Brust. Die Schwester schob nun die wieder freien Greiftentakel von beiden Seiten unter den Körperschwerpunkt der Kelgianerin und hob Morredeth auf das Bett. Während Hewlitt wieder auf die Beine kam, brachte sie den schlaffen Körper Morredeths in die für ruhende Kelgianer anscheinend bequeme S-Form. Er konnte gerade noch einen Blick auf die große aufgedeckte Hautfläche und das strähnige, verfärbte Fell werfen, bevor sie die gelösten Verbände wieder anlegte.

»Bitte waschen Sie sich das Medikament der Kelgianerin von den Händen ab, Patient Hewlitt«, forderte ihn die Schwester auf. »Es wird Ihnen zwar nicht schaden, aber es könnte sein, daß sie den Geruch unangenehm finden, dann gehen Sie ins Bett zurück und versuchen zu schlafen. Ich werde später bei Ihnen vorbeischauen, um zu sehen, ob Sie kleinere Abschürfungen erlitten haben, die Sie in der momentanen Aufregung vielleicht gar nicht bemerken.Bevor Sie gehen, muß ich mich noch für mein spätes Eintreffen entschuldigen. Wie Sie wahrscheinlich wissen, befinden sich in den Sensorenmeßgeräten auch Mikrofone, so daß auch die akustischen Signale von Patienten auf die Überwachungsmonitore übertragen werden. Diese Signale werden übrigens aufgezeichnet, damit sie auch für spätere Untersuchungen zur Verfügung stehen. Durch die Richtung, in die sich Ihre Unterhaltung entwickelte, war mir schnell klar, daß etwas passieren und eine schnelle Injektion des Beruhigungsmittels erforderlich werden könnte. Da es sich dabei um ein neu entwickeltes Medikament handelt, bin ich dazu verpflichtet, eine Verabreichung des Mittels vorher mit der Pathologie genau abzusprechen, wenn kein Chefarzt auf der Station ist. Deshalb bin auch erst eingetroffen, als Sie bereits um Hilfe riefen.«