Hier im Orbit Hospital bietet sich einem die fast einmalige Chance, praktisch jede Spezies der Föderation hautnah zu erleben, während ich mich auf der Erde schon glücklich schätzen könnte, zu meinen Lebzeiten überhaupt nur fünf verschiedenen Fremdweltlern zu begegnen. Eine solch günstige Gelegenheit wollte ich mir einfach nicht entgehen lassen.«
»Aber es gibt über hundert Chalder auf der Erde«, wandte Zwei-Elf ein. »Sie kümmern sich um die Fortbildung der intelligenten Meeressäugetiere, die von Ihren Vorfahren fast ausgerottet worden wären.«
»Sicher, aber die meisten davon sind chalderische Wissenschaftler und deren Familien«, sagte Hewlitt. »Nur einigen wenigen terrestrischen Meeresbiologen ist es erlaubt, sich mit ihnen zu treffen oder zusammenzuarbeiten. Leuten, die wie ich nicht vom Fach sind, ist es aus Gründen des Umweltschutzes strikt verboten, mit ihnen in Kontakt zu treten, wohingegen sich die Patienten hier im Orbit Hospital gegenseitigbesuchen dürfen.«
»Dennoch glaube ich, daß ein körperlich so schwaches Wesen wie Sie ein ernsthaftes Risiko eingeht, wenn es sich hier im Hospital überall umsieht, nur um die Zeit bis zur Entlassung totzuschlagen«, meinte Eins-Dreiundneunzig. »Im Vergleich zu einigen anderen Stationen sind die Umweltbedingungen hier auf der Chalderstation nämlich noch ausgesprochen freundlich. Aber mal was anderes: Spielte bei ihrer überwundenen Krankheit eigentlich auch eine psychologische Komponente eine Rolle?«
»Auf der Erde hielten das die meisten Mediziner sogar für sehr wahrscheinlich«, entgegnete Hewlitt, dem klar war, daß eine ironische Antwort keinen Sinn gehabt hätte. »Im Orbit Hospital wurde aber die wahre Ursache entdeckt, und es stellte sich heraus, daß sich die terrestrischen Ärzte allesamt geirrt hatten. Und was Ihre Befürchtungen angeht, daß ich ein zu großes Risiko eingehen würde, wenn ich mich hier im Hospital umsehe, so kann ich Sie beruhigen, da sich Padre Lioren bereiterklärt hat, mir sozusagen als Fremdenführer und Beschützer in einem zur Seite zu stehen.«
»Das Krankenhaus muß sich Ihnen gegenüber ziemlich verpflichtet fühlen, wenn es Ihnen einen solch ungewöhnlichen Wunsch erfüllt«, merkte Eins-Dreiundneunzig an. »Was fehlte Ihnen denn?«
Hewlitt versuchte immer noch, sich eine angemessene, nicht offenkundige Antwort einfallen zu lassen, als Eins-Dreiundneunzig sagte: »Wahrscheinlich handelte es sich um eins dieser ekligen Fortpflanzungsprobleme, die diese Wesen haben, die keine Eier legen können. Ihr seht doch, daß die Terrestrierin es uns nicht sagen will, und außerdem glaube ich nicht, daß ich es überhaupt wissen will.«
Eigentlich wollte sich Hewlitt spontan gegen die Vermutung wehren, ein weibliches Wesen zu sein, das keine Eier legen konnte. Da er aber ebensowenig wußte, ob er es mit weiblichen oder männlichen Chaldern zu tun hatte, konnte er es ihnen umgekehrt nicht vorwerfen, wenn sie mit ihm denselben Fehler begingen. Also besann er sich eines Besseren undantwortete diplomatisch:
»Meistens ist der übliche Klatsch und Tratsch hier im Orbit Hospital mit irgendeinem körperlichen oder emotionalen Aspekt des Fortpflanzungsprozesses verbunden. Wenn ich Ihnen die peinlichen Erlebnisse anderer Wesen erzählen sollte, dann wäre ich natürlich weniger zurückhaltend, als wenn es sich um die eigene Person dreht.«
»Aha, ich fürchte, wir verstehen, was Sie uns damit sagen wollen«, meinte Eins-Dreiundneunzig. »Aber jetzt würden wir lieber erst einmal wissen, wann wir voraussichtlich nach Hause geschickt werden. Haben Sie diesbezüglich irgend etwas vernommen?«
»Nein, leider nicht«, antwortete Hewlitt. »Aber ich werde versuchen, das herauszufinden.«
Das stimmt zumindest, dachte er, wobei er sich an die von der Rhabwar empfangene Warnung erinnerte und an die Notfallübung, die auf seiner ehemaligen Station stattgefunden hatte. Ob es ihm überhaupt erlaubt war, etwas von seinen Erkenntnissen preiszugeben, stand auf einem ganz anderen Blatt, denn allmählich befürchtete er, daß es weder einfach noch angenehm sein würde, die ganze Angelegenheit zu erklären. Doch stellte sich schon bald heraus, daß die drei Chalder im Grunde nur über ihre alles geliebte Heimat sprechen wollten.
Zuerst hatte er damit gerechnet, daß der Versuch, ihm die Wasserwelt von Chalderescol zu beschreiben, dasselbe wäre, als würde man einem Farbenblinden einen Sonnenuntergang beschreiben, doch hatte er sich diesbezüglich geirrt. Innerhalb weniger Minuten erfuhr er etwas über die Freiheit eines Meeres, das, abgesehen von zwei kleinen Gegenden an den Polen, die gesamte Planetenoberfläche bedeckte und über hundertfünfzig Kilometer tief war. Nachdem sich die Chalder auf die oberste Sprosse der evolutionären Unterwasserleiter ihres Heimatplaneten Chalderescol II hochgekämpft und etabliert hatten, war es ihnen gelungen, die Energie der Unterwasservulkane in den Griff zu bekommen und zu nutzen und gleichzeitig mit den natürlichen Ressourcen des vielleicht schönsten Planeten der Föderation hauszuhalten; wenngleich die meisten außerplanetarischenWesen spezielle druckbeständige Unterwasserfahrzeuge und Sehhilfen benötigten, um diese Welt vor Ort bewundern zu können. Schon lange vor der Entdeckung des Feuers waren die Chalder eine hoch zivilisierte Spezies und konnten schon nach den ersten technischen Errungenschaften durch die fast vakuumdichte Atmosphäre über ihren Ozean fliegen und schon bald darauf Weltraumflüge unternehmen. Doch egal wie weit oder häufig diese Wesen auch reisten und aus welchen Beweggründen sie dies auch immer taten, sie blieben doch stets ein Teil des chalderischen Heimatozeans und mußten regelmäßig auf ihren geliebten Planeten zurückkehren.
Angesichts ihrer gewaltigen Größe und des enormen Aufwands an erforderlichen Lebenserhaltungssystemen sowie der extremen Gefahren und Unannehmlichkeiten, denen sich diese Wesen bei Weltraumreisen aussetzten, fragte sich Hewlitt, warum sie nicht einfach zu Hause auf Chalderescol II blieben.
»Warum wollen wohl sämtliche Spezies, die ansonsten alle sieben Sinne einigermaßen beisammen haben, unbedingt Weltraumreisen unternehmen?« fragte Zwei- Elf zurück und erinnerte Hewlitt daran, daß er laut nachgedacht haben mußte. »Falls Sie sich auch noch mit den anderen Patienten auf unserer Station unterhalten wollen, dann ist das eine viel zu umfassende philosophische Frage, als daß wir sie noch vor der Jagd nach dem Mittagessen klären könnten. Halten Sie sich bitte wieder an meiner Flosse fest…«
Die Begegnung mit den drei Chaldern hatte ihm die Angst vor diesen Unterwassermonstern gänzlich genommen, so daß er sich fortan mit den anderen Patienten auf fast freundschaftlicher Ebene unterhalten konnte, da er deren Gefühle nun etwas besser verstand, ohne sich dabei zum Narren machen zu müssen. Bei dem schwer erkrankten Patienten, mit dem sich Lioren unterhielt, legte er zwar einen kurzen Zwischenstop ein, sagte aber keinen Ton. Die beiden waren bereits in ein Gespräch vertieft, und er hielt es für angebrachter, sie dabei nicht zu stören. Dennoch hatte der kurze Aufenthalt neben dem Behandlungsgestell für ihn ausgereicht, um festzustellen, daß auch dieser Chalder kein Wirt der Virenkreatur gewesenwar, was ebenso für den Rest der Patienten und das gesamte Pflegepersonal auf dieser Station zutraf.