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Ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr Hewlitt fort: »Handelt es sich dabei um telepathische oder eher um empathische Fähigkeiten wie bei Prilicla? Wahrscheinlich nicht, da wir weder die Gedanken noch die Gefühle des anderen empfangen können. Ich verstehe nicht genug von Xenobiologie oder vom Verhalten extraterrestrischer Viren, seien sie nun intelligent oder nicht, aber alle weigern sich, und damit meine ich natürlich insbesondere Sie, Padre, mir irgendwelche Fragen zu beantworten. Gehe ich dennoch recht in der Annahme, daß wir diese Wiedererkennungsfähigkeit nur dadurch erlangt haben können, weil in uns eine physische Veränderung stattgefunden hat? Ist dieses unsichtbare Erkennungsmerkmal, durch das sich ehemalige Wirtskörper gegenseitig identifizieren können, lediglich eine Begleiterscheinung oder steckt noch etwas anderes dahinter? Etwas, das die Virenkreatur mit allen Wesen anstellt, die von ihr befallen werden? Hat womöglich der Fortbestand dieser Spezies irgend etwas damit zu tun? Sind wir alle von diesem Ding besamt worden und züchten munter wachsende Embryos dieser Spezies heran?«

Hewlitt hielt gerade auf einem Bein das Gleichgewicht, während er mit dem anderen in den Strahlenschutzanzug stieg. Der Padre stand, ohne etwas zu sagen, reglos hinter ihm und stützte Hewlitts Oberkörper ab. Das entstandene Schweigen wurde schließlich vom Padre unterbrochen.

»Aus genau den Gründen, die Sie eben genannt haben, hat man mir verboten, Ihnen irgendwelche Fragen zu diesem Thema zu beantworten. Man wollte Ihnen den seelischen wie mentalen Stress ersparen, wenn Sie von unseren beängstigenden Vermutungen erfahren hätten. Da nun aberfeststeht, daß Sie selbst daraufgekommen sind, werde ich mich mit meinen Antworten nicht mehr länger zurückhalten müssen.«

Hewlitt schwieg; er war sich nicht einmal mehr sicher, ob er seine Fragen überhaupt noch beantwortet haben wollte.

»Wie Sie bereits wissen, ist einer der wichtigsten Faktoren bei der Behandlung von Patienten in einem Multispezies-Krankenhaus, daß wir kein Risiko gegenseitiger Ansteckung eingehen müssen, weil Krankheitserreger oder Keime, die sich auf einem Planeten X entwickelt haben, eine auf einem Planeten Y entstandene Lebensform nicht befallen können. Aus dieser Tatsache haben wir sehr viel Zuversicht geschöpft, und in der gesamten erforschten Galaxis ist nie eine Ausnahme von dieser Regel entdeckt worden. Jedenfalls bis heute nicht.«

»Aber dieses Virus ist doch gar nicht schädlich!« widersprach Hewlitt. »Er ist keine Krankheit, sondern genau das Gegenteil.«

»Sicher, und dennoch bleibt es ein Virus, eine Form eines speziesübergreifenden Krankheitserregers, und das mit allen dazugehörigen Konsequenzen. Zugegebenermaßen handelt es sich voraussichtlich um einen intelligenten, vielleicht sogar um einen hochintelligenten Organismus, der wahrscheinlich keinen Schaden anrichten möchte, aber wir können uns dessen nicht sicher sein. Möglicherweise legen wir das selbstsüchtige Verlangen, einen Wirtskörper aufzusuchen und diesen bei optimaler Gesundheit zu halten, irrtümlicherweise als Selbstlosigkeit aus. Sicherlich wäre ein solch selbstloses Verhalten ein sehr tröstlicher Gedanke, aber in einer Einrichtung wie dem Orbit Hospital können wir es uns nicht leisten, die Möglichkeit auszuschließen, daß es sich bei diesem Wesen um den schlimmsten medizinischen Alptraum handelt, den man sich vorstellen kann. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob die Handlungen dieses Wesens von Intelligenz und Altruismus gesteuert werden oder Folge eines stark ausgeprägten Selbsterhaltungstriebs sind.«

»Ich verstehe immer noch nicht, warum Sie sich alle solche Sorgen machen. Diese Virenkreatur heilt andere Wesen«, wandte Hewlitt ein.

»Sie vergessen dabei, was sie angerichtet hat«, entgegnete Lioren.»Unseres Wissen hat sie bislang sechsmal diese Speziesbarriere durchbrochen. Dies hat sie mit Leichtigkeit getan und ohne die natürlichen Abwehrkräfte der Wirtskörper zu aktivieren, obwohl sie später auf sämtliche toxischen Stoffe oder Medikamente, die den von ihr befallenen Wesen verabreicht wurden, überreagiert hat. Letztendlich haben wir es mit einem Allroundvirus zu tun, mit einer organisierten, intelligenten Virenansammlung, die ihren Körperbau beliebig verändern kann und sich im hohen Maße den Temperaturen, Physiologien und Metabolismen einer bislang noch unbekannten Anzahl ehemaliger Wirtskörper anpassen kann…«

»Moment mal«, unterbrach ihn Hewlitt. »Hat das medizinische Team der Rhabwar davon gewußt und mir diese Informationen bewußt vorenthalten?«

»Ja, und zwar spätesten zu dem Zeitpunkt, als allen klar wurde, daß Lonvellins ehemaliger Leibarzt darin verwickelt ist und Sie auf neue Medikamente nicht mehr überempfindlich reagiert haben. Prilicla wollte aber nicht, daß Sie sich Sorgen machen.«

»Jetzt fällt mir auch wieder ein, daß Naydrad auf dem Rückflug von Etla gesagt hat, meine Probleme würden jetzt erst anfangen«, erinnerte sich Hewlitt. »Und ich dachte immer, sie hätte damit was ganz anderes gemeint.«

»Nein, genau das hat sie damit gemeint«, bestätigte Lioren Hewlitts Vermutungen und fuhr fort: »Ein Organismus, der zu all dem in der Lage ist, könnte in der Tat sehr gefährlich sein. Auch wenn er keinen Schaden anrichten will, so birgt der Mechanismus, der ihn dazu befähigt, sich so leicht zwischen den verschiedenen Spezies zu bewegen, die Gefahr, tödlichen Krankheitserregern als eine Art Brücke zwischen ehemaligen Wirtskörpern zu dienen. Falls ein solch anpassungsfähiger, speziesübergreifender Krankheitserreger im Hospital freigesetzt wird, kann es selbstverständlich durchaus möglich sein, daß die Virenkreatur die davon befallenen Patienten heilt, wie sie es schon bei früheren Gelegenheiten getan hat. Das heißt, wenn es uns gelingt, mit ihr zu kommunizieren und ihr unsereSorgen mitzuteilen.

Doch würde es in dem Fall nur ein einziges Individuum sein, das versuchen müßte, sämtliche Patienten gleichzeitig zu heilen, und sollte es eine krankenhausweite Epidemie geben, wäre das nicht schnell genug. Das Orbit Hospital und vielleicht die gesamte galaktische Föderation könnten in ernste Schwierigkeiten geraten.

Das würde auch das vorläufige Ende unserer gegenwärtig völlig ungehinderten Kontakte zwischen den planetarischen Kulturen bedeuten«, beendete Lioren seine Erläuterungen. »Und wir wären dazu gezwungen, fast nur noch unsere Heimatplaneten zu bewohnen oder bei Besuchen fremder Welten strikte Vorsichtsmaßnahmen treffen zu müssen.«

»Das also ist der Grund, weshalb die Evakuierungsschiffe noch nicht andocken dürfen«, seufzte Hewlitt.

Dieses Mal stellte er ausnahmsweise keine weiteren Fragen.

30. Kapitel

Einen Moment lang fror Hewlitt so sehr, als befände er sich ohne den Schutzanzug wieder auf der SNLU-Station, und er fragte sich, warum ihm die Schweißperlen, die ihm auf der Stirn standen, nicht wie Hagelkörner herunterfielen. Alle Augen des Padre waren auf ihn gerichtet, und er wußte nicht, ob die folgenden Worte Liorens seiner Ungeduld entsprangen oder der Notwendigkeit, das Thema aus therapeutischen Gründen zu wechseln.

»Versuchen Sie bitte, alle anderen Probleme erst einmal zu verdrängen«, riet ihm der Padre. »Sie sind im Begriff, Ihrem ersten Telfi zu begegnen; bedauerlicherweise einem, der im Sterben liegt. Zum einen benötigen Sie dazu einige zusätzliche Informationen und zum anderen müssen Sie ein paar Vorsichtsmaßnahmen beachten. Beides ist für Ihre eigene Sicherheit bestimmt und um zu vermeiden, Patient Cherxic noch mehr zu belasten. Hören Sie mir also bitte genau zu und wenn möglich, ohne irgendwelche Fragen zu stellen… «