Lioren fuhr damit fort, die Bedingungen auf Telfi zu beschreiben, einem Planeten, der sich in etwa fünfzig Millionen Kilometern Entfernung, stets eine Seite seiner Sonne zugewandt, um sein Zentralgestirn drehte. Die Flora auf diesem Planeten setzte sich ausnahmslos aus mineralienartigen Pflanzen zusammen. Die extrem hohen Temperaturen und Strahlenemissionen wären für alle anderen intelligenten Spezies der Föderation tödlich gewesen, so daß der Planet – mit Ausnahme für die telfischen Bewohner selbst – im wahrsten Sinne des Wortes die reinste Hölle darstellte.
Bei den Telfis handelte es sich um tierähnliche Wesen, die sich auf der Tagseite des Planeten entwickelt hatten und zum Überleben die von der Sonne gelieferte hohe Hitze und harte Strahlung benötigten. Neben einer eigenen Sprache verfügte diese Spezies zusätzlich über telepathische Fähigkeiten, die zwar auch zwischen den Einzelwesen angewandt wurden, insbesondere aber zwischen den Teilwesen einer sogenannten Gesamtgestalt, die körperlich eng miteinander verbunden waren.Ihre Zivilisation war sehr alt und zu Beginn ihres Raumfahrtzeitalters schon sehr weit fortgeschritten. Die für sie notwendigen Umweltbedingungen in einem Schiff zu reproduzieren war sehr schwierig, und obwohl das Ausmaß an Funktionsstörungen und Verlusten unter telfischen Besatzungsmitgliedern im Vergleich zum üblichen Föderationsstandard verhältnismäßig hoch war, konnte sie dieser Umstand nicht von interstellaren Raumflügen abhalten. Die Telfis waren schon vor längerer Zeit der galaktischen Föderation beigetreten, um die damit verbundenen wirtschaftlichen und kulturellen Vorteile einer Mitgliedschaft zu nutzen, wozu auch der häufige Gebrauch der medizinischen Einrichtungen gehörte.
Unter der Voraussetzung, daß ein telfisches Schiffmit Verletzten an Bord schnell genug im Orbit Hospital eintraf, konnte man dort durchaus Hilfe gewähren. Wenn allerdings der Strahlenabsorptionsmechanismus eines verletzten Telfi zusammenbrach – zumeist ausgelöst durch einen plötzlichen Strahlenentzug oder eine katastrophale Übersättigung von harter Strahlung -, dann blieben dem Krankenhaus höchstens einhundert Stunden vom Eintreten des Unglücksfalls bis zur Einleitung der Behandlung. Dazu gehörte, daß der Strahlencocktail in der erforderlichen Dosierung und Dauer reproduziert werden mußte, da dies eine unabdingbare Voraussetzung für den Genesungsprozeß des Verletzten war.
Die Notwendigkeit, diese Vielfalt heilender atomarer Strahlen für die Telfis zu reproduzieren, war der einzige Grund, weshalb das Orbit Hospital einen kleinen Atomreaktor unterhielt, der inmitten modernster Kernfusionsanlagen eher wie ein Museumsstück wirkte. Über die Jahre hinweg hatte das Krankenhaus nicht nur gelernt, wie man telfische Unfallopfer behandeln konnte, sondern auch Patienten, die an den telfischen Entsprechungen für Atem- und Darmbeschwerden und gynäkologischen Krankheiten litten. Aus naheliegenden Gründen mußten für solche Behandlungen häufig nicht nur Ärzte, sondern auch Physiker und Ingenieure herangezogen werden.
»Das Teilwesen, das wir besuchen werden, ist der letzte noch lebendePatient von insgesamt dreien, die sich bei einer Funktionsstörung ihres Schiffs verletzt haben. Die technischen Einzelheiten will ich uns lieber ersparen, da wir beide sowieso nicht viel davon verstehen. Cherxic war ein Teilwesen der Gesamtgestalt, die auf die Bedienung des Schiffes spezialisiert war. Da er kein funktionierendes Mitglied seiner Gruppe mehr ist, haben die anderen die Reihen so gut wie möglich geschlossen und jeglichen körperlichen, verbalen und telepathischen Kontakt mit Cherxic abgebrochen, um…«
»Haben Sie nicht eben noch behauptet, daß es sich bei den Telfis um eine zivilisierte Spezies handelt?« unterbrach ihn Hewlitt.
»Ja«, antwortete Lioren, wobei er mit den Augen und den mittleren Händen schnell die Verschlüsse von Hewlitts Schutzanzug überprüfte. »In Ordnung. Die Schutzhandschuhe und die darunter befindlichen Stoffhandschuhe brauchen Sie nicht anzulegen, da wir sie während des Besuches bei Cherxic nicht benötigen, aber überprüfen Sie die Sichtblende ihres Helms lieber doppelt, während ich mich umziehe. Die Lichtstrahlung ist auf der Telfi-Station nämlich das reinste Teufelszeug.«
»Der Anzugstoff scheint sehr dünn zu sein«, merkte Hewlitt mit kritischem Blick an.
»Die Materialien, aus denen sowohl der Anzug als auch die Sichtblende sind, wurden vom Planeten Telfi importiert, wo man sie zum Schutz für außerplanetarische Besucher entwickelt hat«, klärte ihn der Padre auf. »Weder Sie selbst noch einer Ihrer zukünftigen Nachkommen, die Sie vielleicht noch hervorbringen werden, müssen sich Sorgen machen.«
Hewlitt schluckte schwer und versuchte, mit fester Stimme zu reden, als er sagte: »Wenn wir tatsächlich Virenembryos in uns tragen, müßte Prilicla sie dann nicht wahrnehmen können?«
»Ja, vorausgesetzt, daß sie sich in einem Entwicklungsstadium befinden, wo sie sich ihrer eigenen Existenz bereits bewußt sind.«
Noch bevor Hewlitt etwas entgegnen konnte, fuhr Lioren fort: »Weder Patient Cherxic noch irgendein anderer Telfi würde in solch einer tragischenZeit daran denken, um die Anwesenheit eines Familienangehörigen oder Freundes zu bitten. Bei vollem Bewußtsein langsam sterben zu müssen ist für jede Lebensform eine schreckliche Erfahrung, und da die Telfis ihre telepathischen Fähigkeiten bis zum Ende bewahren, möchten sie diese nicht mit ihren Artgenossen teilen. Selbst bei nachlassendem Bewußtsein spürt ein Telfi heftige Schmerzen, begleitet von Angst, die nicht gebändigt oder verheimlicht werden kann, weil ein Telepath außerstande ist, seine Gefühle zu verheimlichen. Für ein Wesen, das von Geburt an daran gewöhnt ist, in engem körperlichen und geistigen Kontakt mit seinen Mitwesen zu stehen, bedeutet dieser Zustand eine unbekannte und schreckliche Isolation; eine Einsamkeit, die dermaßen groß ist, daß Nichttelepathen sich das kaum vorstellen können. Folglich sind nur Nichttelepathen wie wir in der Lage, einem sterbenden Telfi Trost zu spenden. Dies erreichen wir am besten dadurch, indem wir uns mit ihm per Translator unterhalten, seinen letzten Gedanken zuhören und ihm ermöglichen, die körperliche Nähe eines anderen empfindungsfähigen Wesens noch einmal zu spüren, denn er weiß, daß wir Mitgefühl haben, seinen Schmerz aber nicht spüren können.«
Hewlitt schämte sich ein wenig dafür, daß seine egoistische Angst größer gewesen war als sein Mitleid für dieses Wesen, dem er gleich begegnen würde. »Wie sehen Telfis eigentlich aus? Und als Sie eben von körperlicher Nähe gesprochen haben, was genau haben Sie damit gemeint?«
»Wir werden jetzt bis zur Schleusenkammer gehen, die zum Telfi-Schiff führt«, sagte Lioren, ohne Hewlitts Frage zu beantworten. »Folgen Sie mir. Sie brauchen keine Angst zu haben, denn wo wir hingehen, ist die Strahlenemission ungefährlich.«
Die Luftschleuse klappte auf und enthüllte einen Bordtunnel, dessen Ende wie eine viereckige Sonne glühte. In der Zeit, in der sie ihn durchquert hatten, hatten sich Hewlitts Augen an das grelle Licht gewöhnt, aber trotz seiner Sichtblende mußte er die Augen zusammenkneifen, um die Einzelheiten erkennen zu können. Die Geräte, die aus den Wänden und der Decke hervorragten, nahm er nur verschwommen wahr – und das sowohl in optischer als auch in geistiger Hinsicht -, doch in der Mitte derSchleusenkammer war ein G-Schlitten festgebunden, auf dem zwei lange, offene Metallkästen standen. Hewlitt folgte dem Padre und blieb mit ihm neben den beiden Kästen stehen. Ihm fiel dabei auf, daß Särge offenbar auf allen Welten gleich aussahen, wenngleich die Tatsache, daß diese Wesen anscheinend in ihre letzte Ruhestätte gelegt worden waren, bevor sie klinisch tot waren, nach seinem Dafürhalten von einem gewissen Mangel an Sensibilität zeugte.