„Vermutlich sind Sie hergekommen, um über die Bedingungen zu verhandeln. Wieviel Lösegeld verlangen Sie?“
Er bemerkte, daß im Hintergrunde jemand diese Worte auf einem Stenogrammblock mitschrieb. Alles war sehr geschäftsmäßig.
Der Führer antwortete in einem wohlklingenden Waliser Tonfalclass="underline" „Sie können es so ausdrücken, Herr Generalsekretär. Aber wir interessieren uns für Auskünfte, nicht für Bargeld.“
Also das war es, dachte Stormgren. Er war ein Kriegsgefangener, und dies war das Verhör.
„Sie kennen unsere Ziele“, fuhr der andere mit seiner etwas sin genden Stimme fort. „Nennen Sie uns eine Widerstandsbewegung, wenn Sie wollen. Wir glauben, daß früher oder später die Erde um ihre Unabhängigkeit kämpfen muß, aber wir sind uns darüber klar, daß der Kampf nur durch indirekte Mittel, wie zum Beispiel Sabotage und Ungehorsam, erfolgen kann. Wir haben Sie entfuhrt, einesteils um Karellen zu zeigen, daß es uns ernst ist und daß wir gut organisiert sind, hauptsächlich aber, weil Sie der einzige Mann sind, der uns irgend etwas über die Overlords sagen kann. Sie sind ein vernünftiger Mann, Herr Stormgren. Arbeiten Sie mit uns zusammen, und Sie können Ihre Freiheit haben.“
„Was genau wünschen Sie zu wissen?“ fragte Stormgren vorsichtig.
Die ungewöhnlichen Augen schienen sein Inneres bis in die Tiefen zu durchforschen. Sie waren anders als alle andern Augen, die Stormgren in seinem Leben gesehen hatte. Dann erwiderte die singende Stimme: „Wissen Sie, wer oder was die Overlords wirklich sind?“
Stormgren lächelte fast. „Glauben Sie mir“, sagte er, „ich bin genauso erpicht darauf, das zu entdecken, wie Sie.“
„Dann werden Sie unsere Fragen beantworten?“
„Ich verspreche nichts. Aber ich werde vielleicht antworten.“
Joe stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus, und ein erwartungsvolles Rascheln ging durch den Raum.
„Wir haben“, fuhr der andere fort, „eine allgemeine Vorstellung von den Umständen, unter denen Sie mit Karellen zusammentreffen. Aber vielleicht können Sie uns das alles sorgfältig schildern, ohne irgend etwas von Bedeutung auszulassen.“
Das ist harmlos genug, dachte Stormgren. Dies hatte er schon oft getan, und es würde den Anschein von Zusammenarbeit erwecken. Hier waren scharfsinnige Köpfe, und vielleicht konnten sie etwas Neues herausfinden. Sie sollten gern jede neue Auskunft haben, die sie aus ihm herausfragen konnten. Daß es Karellen irgendwie schaden würde, glaubte er nicht einen Augenblick.
Stormgren suchte in seinen Taschen und zog einen Bleistift und einen alten Briefumschlag heraus. Während er sprach, begann er rasch eine Zeichnung zu machen. „Sie wissen natürlich“, sagte er, „daß ein kleines Flugzeug ohne sichtbare Antriebsmittel mich in regelmäßigen Zwischenräumen abholt und zu Karellens Schiff bringt. Es fliegt durch die Öffnung, und Sie haben zweifellos die teleskopischen Filme gesehen, die von diesem Vorgang gemacht worden sind. Die Tür öffnet sich wieder — wenn man es eine Tür nennen kann — und ich betrete einen Meinen Raum mit einem Tisch, einem Stuhl und einem Bildschirm. Die Anordnung ist ungefähr so.“
Er schob seinen Plan dem alten Waliser zu, aber die seltsamen Augen warfen keinen Blick darauf. Sie waren noch immer auf Stormgrens Gesicht geheftet, und während dieser sie betrachtete, schien sich in ihren Tiefen irgend etwas zu verändern. Im Raum war es völlig still geworden, aber hinter sich hörte er Joe plötzlich einen tiefen Atemzug tun.
Verwundert und ärgerlich sah Stormgren den andern an, und während er das tat, dämmerte ihm langsam die Erkenntnis. In seiner Verwirrung knüllte er den Briefumschlag zu einem Ball zusammen und zertrat ihn mit dem Fuß.
Er wußte jetzt, warum diese grauen Augen ihn so seltsam berührt hatten. Der Mann ihm gegenüber war blind.
Van Ryberg machte keine weiteren Versuche, sich mit Karellen in Verbindung zu setzen. Ein großer Teil der Arbeiten seiner Abteilung, zum Beispiel die Weiterleitung statistischer Auskünfte, die Auswertung der Weltpresse und dergleichen, war automatisch weitergeführt worden. In Paris stritten die Juristen noch immer über die vorgeschlagene Weltverfassung, aber das war im Augenblick nicht seine Angelegenheit. Erst in vierzehn Tagen sollte der Oberkontrolleur den endgültigen Entwurf bekommen. Wenn er bis dahin nicht fertig war, würde Karellen zweifellos geeignete Maßnahmen ergreifen.
Und von Stormgren war noch immer keine Nachricht eingetroffen.
Van Ryberg war gerade beim Diktieren, als das „Dringlichkeits“-Telefon zu läuten begann. Er hob den Hörer ab und lauschte mit wachsender Verwunderung, dann warf er ihn auf die Gabel und stürzte an das offene Fenster. In der Ferne stiegen Rufe des Erstaunens von den Straßen auf, und der Verkehr stockte.
Es war Tatsache: Karellens Schiff, dieses unverrückbare Symbol der Overlords, stand nicht mehr am Himmel. Er suchte den Himmel ab, so weit er sehen konnte, und fand keine Spur davon. Dann plötzlich schien es, als ob es auf einmal Nacht geworden wäre. Von Norden kommend, raste das große Schiff, dessen im Schatten liegender Bauch schwäre war wie eine Gewitterwolke, in geringer Höhe über die Türme von New York hinweg. Unwillkürlich schreckte van Ryberg vor dem heranstürmenden Ungetüm zurück. Er hatte immer gewußt, wie riesig die Schiffe der Overlords in Wirklichkeit waren, aber es war etwas ganz anderes, ob man sie weit entfernt im Raum sah, oder ob sie wie von Dämonen getriebene Wolken über einem hinwegrasten.
In der Dunkelheit dieser halben Sonnenfinsternis blieb er auf seinem Beobachterposten, bis das Schiff und sein ungeheurer Schatten im Süden verschwunden waren. Man hörte kein Geräusch, nicht einmal einen Lufthauch, und van Ryberg machte sich klar, daß das Schiff, obwohl es dem Anschein nach so nahe gewesen war, doch mindestens einen Kilometer über seinem Kopf hinweggebraust sein mußte. Dann erzitterte das Gebäude, als die Schallwelle es traf, und von irgendwoher ertönte das Klirren zerbrochenen Glases, als ein Fenster eingedrückt wurde.
In den Büroräumen hinter ihm hatten alle Telefone zu klingeln begonnen, aber van Ryberg regte sich nicht. Er lehnte noch immer am Fensterbrett und starrte nach Süden, gelähmt durch die Gegenwart grenzenloser Macht.
Während Stormgren sprach, schien es ihm, als ob sein Geist auf zwei Ebenen gleichzeitig arbeite. Einerseits versuchte er, den Männern zu trotzen, die ihn gefangengenommen hatten, anderseits hoffte er, sie würden ihm helfen, Karellens Geheimnis zu entdecken. Es war ein gefährliches Spiel, aber zu seiner Überraschung genoß er es.
Der blinde Waliser hatte größtenteils das Verhör geleitet. Es war faszinierend, zu beobachten, wie dieser wendige Geist eine Möglichkeit nach der andern untersuchte und alle Theorien, die Stormgren selbst längst abgetan hatte, prüfte und verwarf. Jetzt lehnte er sich mit einem Seufzer zurück. „Wir kommen nicht weiter“, sagte er entmutigt. „Wir müssen weitere Tatsachen haben, und das bedeutet Handeln, nicht Reden.“ Die blinden Augen schienen Stormgren nachdenklich anzusehen. Einen Augenblick trommelte er nervös auf dem Tisch; es war das erste Zeichen von Unsicherheit, das Stormgren an ihm bemerkte. Dann fuhr er fort: „Ich bin etwas überrascht, Herr Generalsekretär, daß Sie nie eine Anstrengung gemacht haben, mehr über die Overlords zu erfahren.“
„Wie meinen Sie das?“ fragte Stormgren kühl und versuchte sein Interesse zu verbergen. „Ich habe Ihnen gesagt, daß es nur einen Ausgang aus dem Raum gibt, in dem ich meine Gespräche mit Karellen hatte, und daß dieser Ausgang unmittelbar zur Erde zurückführt.“
„Es könnte möglich sein“, überlegte der andere, „Apparate zu bauen, die uns Aufschlüsse geben. Ich bin kein Wissenschaftler, aber wir müssen die Sache erwägen. Würden Sie, wenn wir Ihnen Ihre Freiheit geben, bereit sein, an einem solchen Plan mitzuwirken?“