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Die Sterne, die in dem Augenblick, als die Sonne untergegangen war, in so unpassender Eile hervortraten, waren ihm völlig fremd. Er hielt nach dem Kreuz des Südens Ausschau. Obwohl er sehr wenig von Astronomie wußte und nur vereinzelte Sternbilder bestimmen konnte, störte ihn das Fehlen vertrauter Freunde. Auch waren die Töne, die vom Dschungel herüberklangen, unangenehm nah. Jetzt habe ich genug von der frischen Luft, dachte George. Ich gehe zurück zur Party, ehe ein Vampir oder etwas gleich Angenehmes angeflogen kommt, um Untersuchungen anzustellen.

Er wollte eben den Rückweg antreten, als ein anderer Gast durch die Luke herauskam. Es war jetzt so dunkel, daß George nicht sehen konnte, wer es war; deshalb rief er: „Hallo, haben Sie auch genug gehabt?“

Sein unsichtbarer Gesellschafter lachte. „Rupert zeigt jetzt einige seiner Filme. Ich habe sie alle schon gesehen.“

„Nehmen Sie eine Zigarette?“ fragte George.

„Ja, danke.“

Im Schein des Feuerzeugs — George liebte solche altmodischen Dinger — konnte er jetzt seinen Gefährten erkennen, einen auffallend hübschen jungen Neger, dessen Namen man George genannt, den er aber sofort vergessen hatte, ebenso wie die Namen der zwanzig andern völlig fremden Gäste. Dieser junge Mann jedoch kam ihm irgendwie bekannt vor, und plötzlich kam George darauf.

„Ich glaube, wir haben uns noch nicht wirklich kennengelernt“, sagte er, „aber sind Sie nicht Ruperts neuer Schwager?“

„Allerdings, ich bin Jan Rodricks. Jeder sagt, daß Maja und ich uns sehr ähnlich sehen.“

George fragte sich, ob er Jan wegen seines neuen Verwandten bedauern solle. Er beschloß jedoch, es den armen Jungen allein herausfinden zu lassen; schließlich war es ja möglich, daß Rupert diesmal seßhaft bleiben würde. „Ich bin George Greggson. Sie sind zum erstenmal auf einer von Ruperts berühmten Gesellschaften?“

„Ja. Man lernt sicherlich auf diese Art eine Menge neue Menschen kennen.“

„Und nicht nur Menschen“, fugte George hinzu. „Ich hatte hier zum erstenmal Gelegenheit, einem Overlord gesellschaftlich zu begegnen.“

Der andere zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete, und George fragte sich, welche empfindliche Stelle er getroffen habe. Aber die Antwort verriet nichts.

„Ich hatte auch noch keinen gesehen, außer natürlich im Fernsehen.“

Hier erlahmte die Unterhaltung, und nach einem Augenblick begriff George, daß Jan allein sein wollte. Es wurde auch kalt, und so verabschiedete er sich und begab sich wieder zur Gesellschaft.

Der Dschungel war jetzt still. Als Jan sich gegen die gewölbte Wand der Klimaanlage lehnte, konnte er kein Geräusch weiter hören, als das leise Raunen des Hauses, das durch seine mechanischen Lungen atmete. Er fühlte sich sehr einsam, was er sein wollte. Er fühlte sich aber auch sehr enttäuscht, und das war etwas, wonach er durchaus kein Verlangen hatte.

4

Kein Utopien kann irgend jemanden auf die Dauer befriedigen. Sobald ihre materielle Lage sich bessert, steigern die Menschen ihre Ansprüche und werden unzufrieden mit den Machtbefugnissen und Besitztümern, an die sie früher in ihren kühnsten Träumen nicht einmal zu denken gewagt hätten. Und selbst wenn die Außenwelt alles gegeben hat, was sie vermag, so bleibt immer noch das Suchen des Geistes und die Sehnsucht des Herzens.

Obwohl Jan Rodricks selten sein Glück zu schätzen wußte, wäre er in einem früheren Zeitalter noch unzufriedener gewesen. Vor hundert Jahren wäre seine Farbe ein furchtbarer, vielleicht sogar erdrückender Nachteil gewesen. Heute bedeutete sie nichts. Wenn die Neger zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts ein gewisses Gefühl der Überlegenheit gehabt hatten, so war dieses bereits vergangen. Das bequeme Wort „Nigger“ war in höflicher Gesellschaft nicht mehr tabu, sondern wurde von allen ohne Verlegenheit be nutzt. Es hatte keinen anderen Gefühlsinhalt als Republikaner oder Methodist, Konservativer oder Liberaler.

Jans Vater war ein bezaubernder, aber etwas schwächlicher Schotte gewesen, der sich als Berufsmagier einen bedeutenden Namen gemacht hatte.

Sein Tod im frühen Alter von fünfundvierzig Jahren war durch übermäßigen Genuß des berühmtesten Erzeugnisses seines Landes verursacht worden. Obwohl Jan seinen Vater nie betrunken gesehen hatte, war er nicht überzeugt, ihn jemals nüchtern gesehen zu haben.

Frau Rodricks, die noch sehr lebendig war, lehrte an der Universität Edinburgh Höhere Wahrscheinlichkeitstheorie. Es war typisch für die außerordentliche Beweglichkeit der Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts, daß Frau Rodricks, die kohlschwarz war, in Schottland geboren worden war, während ihr aus seinem Vaterland ausgewanderter blonder Mann fast sein ganzes Leben auf Haiti verbracht hatte. Maja und Jan hatten nie ein richtiges Zuhause gehabt, sondern waren zwischen den Familien ihrer Eltern wie zwei kleine Federbälle hin- und hergeflogen. Dieser Zustand war spaßig gewesen, hatte aber nicht dazu beigetragen, die Unbeständigkeit auszumerzen, die sie beide von ihrem Vater geerbt hatten.

Mit siebenundzwanzig Jahren hatte Jan noch immer mehrere Studienjahre vor sich, ehe er ernsthaft über seine Laufbahn nachzudenken brauchte. Er hatte ohne jede Schwierigkeit sein Abschlußexamen gemacht, und zwar auf Grund eines Studienplanes, der hundert Jahre vorher sehr sonderbar erschienen wäre. Seine Hauptfächer waren Mathematik und Physik gewesen, aber als Nebenfächer hatte er Philosophie und Musik gewählt. Selbst nach den hohen Anforderungen der Zeit war er ein erstklassiger Amateurpianist.

In drei Jahren würde er seinen Doktor der Physik machen, mit Astronomie als zweitem Fach. Das würde sehr harte Arbeit erfordern, aber Jan war damit ganz zufrieden. Er studierte an der vielleicht am schönsten gelegenen Universität der Welt: an der Universität Kapstadt am Fuß des Tafelberges.

Er hatte keine materiellen Sorgen, und doch war er unzufrieden und sah keinen Ausweg aus seiner Lage. Um alles noch schlimmer zu machen, hatte Majas eigenes Glück, obwohl er es ihr nicht im mindesten neidete, die Hauptursache seiner eigenen Nöte hervorgehoben.

Denn Jan litt noch immer an der romantischen Illusion, der Ursache von so viel Elend und so viel Poesie, daß jeder Mensch nur eine wirkliche Liebe in seinem Leben hat. In ungewöhnlich spätem Alter hatte er sein Herz zum ersten Male verloren, an eine Dame, die mehr wegen ihrer Schönheit als wegen ihrer Beständigkeit bekannt war. Rosita Tsien behauptete, völlig wahrheitsgemäß, das Blut der Mandschu-Kaiser in ihren Adern zu haben. Sie hatte noch immer viele Untertanen, darunter den größten Teil der Wissenschaftlichen Fakultät in Kapstadt. Jan war von ihrer zarten, blumenhaften Schönheit gefangengenommen worden, und die Angelegenheit war weit genug vorgeschritten, um ihre Beendigung um so bitterer zu machen. Er konnte sich nicht denken, was schiefgegangen war.

Er würde natürlich darüber hinwegkommen. Andere Männer hatten ähnliche Katastrophen überlebt, ohne nicht wiedergutzumachenden Schaden zu nehmen, und hatten sogar einen Punkt erreicht, an dem sie sagen konnten: „Ich bin überzeugt, ich hätte es bei einer solchen Frau nie wirklich ernst meinen können.“ Aber eine solche Einstellung lag noch in ferner Zukunft, und im Augenblick stand Jan mit dem Leben auf ganz schlechtem Fuß.

Sein anderer Kummer war weniger leicht zu heilen, denn er betraf die Einengung seines eigenen Ehrgeizes durch die Overlords. Jan war ein Romantiker, nicht nur im Herzen, sondern mit dem Verstand. Gleich so vielen andern jungen Männern hatte er, seit die Eroberung der Luft gesichert war, seine Träume und Phantasien die unerforschlichen Ozeane des Weltraums durchschweifen lassen.