Vor hundert Jahren hatte der Mensch seinen Fuß auf die Leiter gesetzt, die ihn zu den Sternen führen konnte. Gerade in diesem Augenblick — konnte es ein Zufall sein? — war ihm die Tür zu den Planeten vor der Nase zugeschlagen worden. Die Overlords hatten nur wenige Verbote für menschliche Betätigungen erlassen — das Verbot, Krieg zu führen, war vielleicht die große Ausnahme — aber die Forschung auf dem Gebiet des Weltraumflugs hatte einfach aufgehört. Der Vorsprung, den die Overlords durch ihre Wissenschaft erlangt hatten, war zu groß. Für den Augenblick wenigstens hatte der Mensch den Mut verloren und sich daher anderen Tätigkeitsgebieten zugewendet. Es hatte keinen Sinn, Raketen zu entwickeln, wenn die Overlords unendlich überlegene Fortbewegungsmittel hatten, die auf Prinzipien beruhten, über die sie nirgends etwas verlauten ließen.
Einige wenige hundert Menschen hatten den Mond besucht, um ein Mondobservatorium zu errichten. Sie waren als Passagiere in einem kleinen, von den Overlords geliehenen Schiff mit Raketenantrieb gereist. Es lag auf der Hand, daß man aus dem Studium dieses primitiven Gefährts wenig lernen konnte, selbst wenn die Besitzer es vorbehaltlos den wißbegierigen irdischen Gelehrten überließen.
Der Mensch war daher noch immer ein Gefangener auf seinem eigenen Planeten. Es war ein viel schönerer, aber viel kleinerer Planet als vor hundert Jahren. Als die Overlords Krieg, Hunger und Krankheit abschafften, hatten sie auch das Abenteuer abgeschafft.
Der aufgehende Mond begann den östlichen Himmel mit einem blassen, milchigen Schein zu übergießen. Dort oben, im Bereich des Pluto, das wußte Jan, war der Hauptstützpunkt der Overlords. Obwohl die Versorgungsschiffe seit mehr als siebzig Jahren verkehrt haben mußten, war erst zu Jans Lebzeiten jede Verheimlichung fallengelassen worden, und sie waren in voller Sicht der Erde abgefahren. In dem zweihundertzölligen Teleskop konnte man die Schatten der großen Schiffe deutlich sehen, wenn die Morgen- oder Abendsonne sie meilenlang über die Ebenen des Mondes warf. Da alles, was die Overlords taten, von ungeheurem Interesse für die Menschheit war, beobachtete man ihr Kommen und Gehen sorgfältig, und die Art ihres Verhaltens — wenn auch nicht die Ursache — begann deutlich zu werden. Einer dieser großen Schatten war vor wenigen Stunden verschwunden. Das bedeutete, wie Jan wußte, daß irgendwo in der Nähe des Mondes ein Overlord-Schiff im Raum lag und irgendwelche Vorkehrungen traf, die nötig waren, bevor es zu seiner fernen, unbekannten Heimat reisen konnte.
Er hatte nie eines dieser heimkehrenden Schiffe den Sternen zusteuern sehen. Wenn die Bedingungen gut waren, konnte man es in der halben Welt sehen, aber Jan hatte immer Pech gehabt. Man konnte nie genau sagen, wann die Abreise erfolgte, und die Overlords kündigten sie nicht an. Er beschloß, noch zehn Minuten zu warten und dann zu der Gesellschaft zurückzugehen.
Was war das? Nur ein Meteor, der durch den Eridanus abwärts glitt. Jan entspannte sich, bemerkte, daß seine Zigarette ausgegangen war, und zündete sich eine neue an.
Er hatte sie halb zu Ende geraucht, als eine halbe Million Kilometer entfernt der Start erfolgte. Aus dem Herzen des sich verbreiternden Mondscheins begann ein winziger Funke zum Zenit emporzusteigen. Zuerst war seine Bewegung so langsam, daß sie kaum wahrzunehmen war, aber Sekunde für Sekunde nahm sie an Schnelligkeit zu. Während der Funke höherstieg, wuchs seine Leuchtkraft, dann plötzlich entschwand er den Blicken. Einen Augenblick später erschien er wieder und nahm an Schnelligkeit und Helle zu. In einem seltsamen Rhythmus zu- und abnehmend, stieg er noch schneller am Himmel empor und zog einen ununterbrochenen Lichtstreifen zwischen den Sternen. Auch wenn man seine wirkliche Entfernung nicht kannte, war der Eindruck seiner Schnelligkeit atemberaubend; wenn man wußte, daß das abreisende Schiff irgendwo jenseits des Mondes war, schwindelte es dem Geist angesichts der Schnelligkeit und Energie, die sich hier offenbarten.
Es war ein unwichtiges Nebenerzeugnis dieser Energien, was er jetzt sah, das wußte Jan. Das Schiff selbst war unsichtbar, diesem emporsteigenden Licht schon weit voraus. Wie ein hochfliegendes Düsenflugzeug einen Dampfschweif hinterlassen kann, so hinterließ das abreisende Schiff der Overlords seine eigene, besondere Spur. Die allgemein angenommene Theorie, an deren Richtigkeit man kaum zweifeln konnte, lief darauf hinaus, daß die ungeheure Beschleunigung der Sternenfahrt eine örtliche Verzerrung des Raumes verursachte. Was Jan sah, war, wie er wußte, nichts weniger als das Licht ferner Sterne, das in seinem Auge gesammelt wurde, sobald die Bedingungen längs der Bahn des Schiffes günstig waren. Es war ein sichtbarer Beweis für die Relativität, die Beugung des Lichts in Anwesenheit eines ungeheuren Gravitationsfeldes.
Jetzt schien sich das Ende der riesigen, bleistiftdünnen Linse langsamer zu bewegen, aber das lag nur an der Perspektive. In Wirklichkeit steigerte das Schiff seine Schnelligkeit immer noch, sein Weg wurde nur in der Verkürzung gezeichnet, während es sich selbst zu den Sternen hinausschleuderte. Viele Teleskope würden seine Bahn begleiten, das wußte Jan, da die Wissenschaftler der Erde die Geheimnisse der Fahrt zu entdecken versuchten. Dutzende von Schriften waren bereits über dieses Thema veröffentlicht worden; ohne Zweifel hatten die Overlords sie mit größtem Interesse gelesen.
Das gespenstische Licht begann zu verschwinden. Jetzt war es ein erlöschender Strich, auf das Herz des Sternbildes Carina gerichtet, wie Jan vorausgesehen hatte. Die Heimat der Overlords mußte irgendwo dort draußen sein, aber das Schiff konnte irgendeinen der Tausende von Sternen in jenem Teil des Weltraumes ansteuern. Seine Entfernung vom Sonnensystem konnte man nicht feststellen.
Jetzt war alles vorbei. Obwohl das Schiff seine Reise kaum angetreten hatte, war nichts mehr da, was menschliche Augen sehen konnten. Aber in Jans Geist brannte noch die Erinnerung an den leuchtenden Pfad, ein Signal, das nie erlöschen würde, so lange er Ehrgeiz und Streben besaß.
Die Gesellschaft war vorbei.
Fast alle Gäste waren zum Himmel emporgestiegen und zerstreuten sich jetzt nach den vier Himmelsrichtungen. Es gab jedoch einige Ausnahmen.
Eine dieser Ausnahmen war Norman Dodsworth, der Dichter, der unangenehm betrunken, aber vernünftig genug gewesen war, ohnmächtig zu werden, bevor sich irgendeine Gewaltanwendung als notwendig erwies. Er war, nicht sehr sanft, auf den Rasen gelegt worden, wo, wie man hoffte, eine Hyäne ihm zu einem jähen Erwachen verhelfen würde. Für alle praktischen Zwecke konnte er daher als abwesend betrachtet werden.
Die andern noch verbliebenen Gäste waren George und Jean. Dies war durchaus nicht nach Georges Sinn: Er wollte nach Hause. Er mißbilligte die Freundschaft zwischen Rupert und Jean, wenn auch nicht aus den üblichen Gründen. George hielt sich voll Stolz für einen praktischen Charakter mit gesundem Verstand und betrachtete das Interesse, das Jean und Rupert zueinanderzog, nicht nur als kindisch in diesem Zeitalter der Wissenschaft, sondern eher als ziemlich ungesund. Daß irgend jemand noch den geringsten Glauben an das Übernormale haben sollte, erschien ihm ungewöhnlich, und daß er Raschaverak hier getroffen, hatte sein Vertrauen in die Overlords erschüttert.
Es war jetzt unverkennbar, daß Rupert irgendeine Überraschung geplant hatte, wahrscheinlich mit Jeans Billigung. George fand sich verdrießlich damit ab, daß irgendein Unsinn kommen würde.
„Ich habe alles mögliche versucht, bevor ich hierauf gekommen bin“, sagte Rupert stolz. „Das große Problem ist, die Reibung zu vermindern, so daß man völlige Freiheit der Bewegung hat. Die altmodische Methode mit dem Tischrücken ist nicht schlecht, aber man hat sie jetzt seit Jahrhunderten benutzt, und ich war überzeugt, daß die moderne Wissenschaft etwas Besseres finden könnte. Und hier ist das Ergebnis. Zieht eure Stühle heran. Sind Sie ganz sicher, daß Sie nicht mitmachen möchten, Raschy?“